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Eitelkeit gefällt und nebenbei einträglich ist, umgeben sie sich mit Gefolge und Beamten, denen sie gegen Geschenke und Dienstleistungen wiederum Titel, auch die längst bedeutungslos gewordenen Titel der Stützen des alten Reiches verleihen oder doch erlauben. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erscheinen sie mit diesem Hofstaat, der an grossen Tagen noch allerlei ererbte oder nachgemacbte Würden- zeicben mit sich schleppt: Stäbe, Ehrenschwänze, Doppelglocken, Zeptermesser, Elfenbeinbörner. J e älter diese Geräte sind oder erscheinen, desto höher werden sie geschätzt, weil sie beweisen, dass man nicht von gestern ist. Nach Geltung und Titeln streben alle. So stellen sie gewissermassen eine primitive Aristokratie und Bureaukratie vor. Gleich Kleinadel und Geheimräten bedeuten sie mehr als der gemeine Mann. Zahlreich laufen umher die Mafnka, Mankäka, Mangövo und so weiter; gelegentlich hausen mehrere einer Klasse im nämlichen Dorfe. Ob sie hohle Titel führen oder wirklich etwas vorstellen, merkt man erst bei grossen Palavern. Am seltensten sind sie im Herzen des Landes, wo noch verhältnismässig viele Pürsten auf Ordnung halten und wo der Ngänga mvümbi noch einen nahe wohnenden Oberherrn vorstellt. Auch sonst bestreitet man manchem Betitelten das Recht, sich aufzuspielen, obgleich man es ihnen kaum verwehren kann oder zu lässig dazu ist. Wenn einmal die Parteien aufeinander platzen, dann duckt sich auch der stolze H e r r^ d e r , so lange die Luft rein war, sich als ein gewaltiger Mann gebärdete. Oder er wird geduckt. Ich habe gesehen, dass ein Machtprotze, der sich zu einem grossen Palaver mit schallendem Lärm in das Dorf tragen liess, unter unwilligem Geschrei einfach aus seiner Hängematte geschwenkt wurde, zum grossen Jubel der Weiber und Kinder, und sich nachher ziemlich verdutzt auf seinen Platz setzte. Nicht zu verwundern ist es, dass die im Kampf ums Dasein in beständiger Übung erhaltenen Grossleute, seien sie anerkannte Erdherren oder gewöhnliche Häuptlinge, gewiegte Diplomaten und gewandte Redner sind, oder über Leute verfügen, die solche Begabung besitzen. Sogar Frauen verwenden sie oft als Unterhändler, wohl wissend, dass dieBe für viele Dinge tauglicher sind als Männer. Ebenso sind sie gute Menschenkenner und verstehen mit Leuten umzugehen. Denn Menschen, Unfreie, sind ihr wahrer Reichtum, ihre wirkliche Macht, und um diese sich zu erhalten, müssen Herren aller Art ihren Anhang bei guter Laune erhalten. Sonst haben sie keinen Zulauf, werden sogar von Missvergnügten verlassen, die anderen willkommen sind und nach dem Erdrechte Unterkunft und Schutz finden. Wen aber sein Anhang im Stich lässt, der ist eine gefallene Grösse und muss selbst irgendwo unterkriechen. Anders ist es mit den alten Erdschatten. Da trennen sich Leute aus Anhänglichkeit und des Schutzes wegen, den ein anerkannt starkes Gemeinwesen unter gediegenem Obmann bietet, nur schwer von der Erde und von dem Herrn. Erweist sich dieser gar zu unfähig, so stellt man ihm einen Tüchtigeren zur Seite, der die Erdschaft zu vertreten, ihre Beschlüsse auszuführen hat. Daher findet man gelegentlich zwei Häuptlinge, einen erblichen Erdherrn und einen Aushelfer, so eine Art Hausmeier, im selben Gemeinwesen, sogar eine Frau neben einem Manne als Leiterin, die ungefähr so wie die Makünda waltet. Yerwaiste Erd-* schäften holen sich einen Erdherrn, womöglich Fürst oder Fürstin, gern von auswärts. Auf fehlerlosen Körperbau, auf Stattlichkeit und gute Haltung, auf gute Manieren der Hauptperson wird stets grösser Wert gelegt. Das verlangt nicht bloss der Schönheitssinn, das Untertänigkeitsgefühl, der ursprüngliche Heroenkultus. Vorzüge des Körpers und Geistes sind Gaben von Nsämbi. Mit einem kümmerlichen Oberhaupte verfiele man dem Gespötte der Nachbarn. Ein Erdherr ist nie zugleich Kriegsoberster, Vorkämpfer; er wird keinen Gefahren ausgesetzt. Wie immer die Machtverhältnisse unter Grossleuten sich verschieben mögen, die alten, .überlieferungsreichen Erdschaften wird keiner anzutasten oder zu sprengen wagen. Das wäre wider Ordnung und Recht. Dann ginge eben alles aus den Fugen. Man darf wirklich sagen: Heilig ist die Erde und beinahe heilig die Erdschaft. Sie ist sogar ein festerer Verband als die sehr hoch gehaltene Familie. Denn Zweige grösser Familien gehören bisweilen zu verschiedenen Erdschaften, und jeder Zweig hält sich derartig an seine Erde gebunden, dass Blutsverwandte tatsächlich entgegengesetzte politische Interessen vertreten und feindlich zueinander stehen können. Allerdings wirken solche Beziehungen darauf hin, Zerwürfnisse zu verhindern oder gütlich zu ordnen. Eine weitere Lockerung des Gefüges der Erdschaften ist unvermeidlich, weil immer mehr Machthaber sich selbständig ansetzen, weil Gebiete immer mehr aufgeteilt werden und weil Europäer sich zahlreicher einfinden. Nicht der Landhunger, denn Land gibt es genug, sondern der Menschenhunger wird den Erdschaften gefährlich. Ih r Wesen ist Macht. Denn anders können sie ihr Recht nicht finden, da es kein Staatsoberhaupt mehr gibt. Deswegen suchen sie Menschen jedes Standes an sich zu ziehen und sind nicht mehr so heikel wie vordem. Dadurch wird, obschon alte angesehene Familien sich brüsten, in vielen der einst streng gegliederten Verbänden die Kluft zwischen Freien und Unfreien, zwischen Erdgeborenen und Angegliederten allmählich überbrückt, wozu auch gewisse, von alters her den Unfreien günstige Ausnahmen im Erbgange beitragen. Die totemistische Clanschaft weicht der sozialpolitischen Erdschaft.


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