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vergnügte er sich doch vierzehn Tage später auf einem grossen Tanzfeste in Matötilas Dorf. Dergleichen mutet uns freilich zunächst als recht fremdartig und „wild“ an, ist aber im Grunde genommen nicht viel anders als bei Zivilisierten. Lehrt doch die Geschichte, wie kriegsbereite Staaten sich gegen andere hinderliche, die schwächer waren, verhalten haben, sie diplomatisch zu gewinnen versuchten oder einfach vergewaltigten. Ebenso können nahe Verwandte im Kriege gegeneinander kämpfen und in Freundschaft weiter leben, ganz wie in Afrika. Die Blutrache — lukündu, welches Wort an die Heimstätte und an die Makünda erinnert — geht in der Mutterlinie und richtet sich niemals gegen Weiber und Kinder, sondern nur gegen Wehrhafte. Sie entspringt weniger der Rachsucht als dem Glauben, dass die Seele eines verbrecherisch im Leben Verkürzten nicht eher Ruhe finde, als bis dem Täter ein Gleiches geschehen sei. Obwohl so gut wie aufgehoben, weil man lieber verhandelt und Wergeid einzieht, wird die Blutrache noch manchmal von Unversöhnlichen ausgeübt, auch um kleine Dinge. Blut für Blut. Wir erlebten solche Tat: Unser Koch, kein Freier und kein lobenswerter Geselle, war vor Jahren bei einer Tanzrauferei tüchtig in die Backe geschnitten worden. Die Sache wurde damals im Palaver ausgeglichen, war sonach völlig abgetan. Der Messerheld hatte Stellung in einer fernen Faktorei gefunden. Eines Tages besuchte er unser Gehöft und stellte sich an die Tür zum Warenraum, »pnser böser Koch verliess sein Feuer, schlenderte über den Hof und versetzte im Vorbeigehen dem Burschen den gleichen Schnitt, den er von ihm empfangen hatte. Geschrei, starker Blutverlust, Zulauf von Menschen, grosse Aufregung. Unser Dolmetscher warf sich in grossen Staat, nahm seinen Stolz, ein reich mit Messing verziertes Buschmesser alter Arbeit zur Hand, bewaffnete zwei seiner Leute und zog mit ihnen, sein Messer präsentierend, in würdevollem Gänsemarsch um den Hof, sodann der Blutspur nach ins Weite. Bald darauf erschien der bepflasterte Verwundete wieder mit etlichen Freunden und schnippelte einen blutigen Span von der Türschwelle. Mit diesem Blutzeugen zog er ab. Später kamen mehrfach Häuptlinge, die den Tatort besichtigten, Verhöre anstellten und Gewicht darauf legten, dass der Koch eigens die Küche verlassen hatte und über den Hof geschritten war, um den Gegner zu verletzen. Das Messer, das uns gehörte, nahmen sie mit. Der Fall war verwickelt, betraf E rdrecht und Privatrecht. Der Verletzte war Höriger eines Hörigen des binnenwärts sitzenden Erdherren. Der Täter war Höriger unseres Mahöma, und der Maböma lag schwer krank. Wir sassen auf der Erde des mittelbar geschädigten Erdherren, hatten aber als flintenreiche nnd nicht handeltreibende Fremdlinge eine gewisse Ausnahmestellung. Die galt freüich nicht, wenn die Herren kamen, um die bedungenen monatlichen Abgaben einzuheimsen, sollte nun aber plötzlich von grösser Tragweite sein. Der uns dienende Koch hatte in unserem Gehöft den Hörigen eines anderen überfallen. Wir hatten die Tat nicht verhindert und sollten deswegen für alles aufkommen, was Rechtens war. So die umwohnenden Grossleute. Wir folgerten anders. Der Übeltäter war Höriger eines anderen, ging uns demnach nichts an. Aber innerhalb unserer Pfähle war die Tat geschehen, das Blut hatte unsere Schwelle besudelt, folglich stand uns Blutgeld zu. Übrigens: wenn wir gleich einer Erdschaft verantwortlich gehalten würden, dann brauchten wir ja auch keine Abgaben mehr zu bezahlen, könnten im Gegenteil allerhand Rechte beanspruchen und zunächst die Sache selber erledigen, den Koch aufbinden. Das war eine Klemme. Der Fall konnte gut werden: Für die Grossleute Palavern nach Herzenslust mit den unvermeidlichen von uns zu spendenden Stärkungsschnäpschen, für uns viel Belehrung durch einen wahren Rattenkönig von Prozessen. Leider nahm die vielversprechende Angelegenheit ein vorzeitiges Ende. Unser guter Maböma starb. Der Taugenichts von Koch wurde angeklagt, seinen Tod durch Hexerei bewirkt zu haben, unterzog sich, leider ohne unser Wissen, der Giftprobe, erlag ihr und wurde verbrannt. Aus war das Palaver: Wer den Menschen hat, lebendig oder tot, hat in ihm sein und anderer Recht. Aber der Koch war eingeäschert. Hexenvernichtung löscht gemeine Forderungen. Schluss. Erde drauf. Wenn einmal die Erbschaft des Maböma geregelt wurde, mochten privatrechtliche Ansprüche erhoben werden; aber das stand in weitem Felde. Und dann handelte es sich wieder um wichtigere Dinge, als um Bussgeld für einen blutigen Schnitt. Die meisten Häuptlinge regieren nur eine Häuptlingschaft, nämlich ein Dorf oder haben wenigstens darin ihren Rückhalt. Aber das genügt ihnen, um sich grossklingende Titel beizulegen oder durch Geschenke vom Erdherrn zu erwerben, der selbst wieder vielleicht zum Reichsverweser gepilgert ist, um sich feierlich mit Mütze ngünda , Schulterbehang — tschinssemba — und hoher Würde — tschiene und ngenda bekleiden zu lassen. Wie einst der König und die mächtigen Erdherren nach ihren Gebieten, so nennen sich etwa Vorsteher der Dörfer Ntümbu, Mpuela, Nköndo und so fort schlankweg Ma Ntümbu, Ma Mpuela, Ma Nköndo. Das Land wimmelt von Leuten mit Ma, und wenn sie ihre Sprache schrieben, würden sicherlich noch viele die Pluralform ma (Seite 175) vom Rufnamen abtrennen und feudal verwenden. Sie können sehr viel an Selbsterhöhung leisten und von Schmeichelei verdauen, tragen auch Mützen und Schulterbehang. Auch die alten höfischen Formen äffen sie nach, was wenigstens vorteilhaft für die Forschung ist. Weil es ihrer


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