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Die Erbitterung muss sehr gross sein, wenn sie sich nicht mit dem Palaver begnügen. Denn sie haben ja allenthalben Anhang, Verwandte, Verschwägerte, Blutsfreunde. Auch ist Krieg immerhin eine gefährliche Sache*, man kann angeschossen, sogar getötet werden. "Welchen Zweck hätte das? Das Leben daran zu setzen, um eine Heldentat zu vollbringen, wäre Narrheit. Ein Vaterland hat man nicht zu verteidigen, denn die Erde nimmt einem keiner, es wären denn Fremdlinge. Muss Krieg geführt werden, so geschieht es meistens strategisch, mit hin und her ziehen, wobei man unblutig, aus dem Hinterhalte, Menschen zu kapern sucht, Faustpfänder, die einem sofort das Übergewicht bringen. Viel mehr kommt gewöhnlich bei einem nach pompöser Ansage mit grossartigem Getue und Geknalle geöffneten Kriege nicht heraus. Gefechte führt man meistens als Schaustücke sich zur Lust auf, um sich mal auszutoben, den Weibern Eindruck zu machen und sich bewundern zu lassen. Nicht todesmutige Kämpfer sind die Leute, sondern mehr Kriegsspieler wie unsere Jungen, beinahe Kriegsprotzen. In den Schlachten geht es sehr laut, aber ganz gemütlich zu. Die Gegner schleichen, springen, drohen, halten Reden, werfen sich Schlechtigkeiten vor und brüllen wie die alten Griechen, schiessen auf unschädliche Entfernungen und zwar gewöhnlich, ohne zu zielen, oft mit weggewendetem Gesicht. Stürmt einmal eine begeisterte Partei vorwärts, so dass die Geschosse beinahe töten könnten, so reisst die andere schleunigst aus, und wird ihr der Atem kurz, macht sie wieder drohend Front, so laufen wieder die Verfolger davon. Oft erquicken die Weiber ihre Helden mit Atzung, eilen hin und her, mischen ihre Stimmen in das Getöse, schmälen, verhöhnen Gegner, und wagen sich trotzdem unter sie, um Feldfrüchte und Wasser zu holen. Wehe dem, der sie und Kinder bei solchen Kämpfen verletzen wollte. Gelegentlich stoppen sie weitere Vergeudung des teuren Pulvers. Die Weiber von Lubü holten vor meinen Augen unter unglaublichem Lärm ihr darauf los knallendes Mannsvolk vom unblutigen Schlachtfelde heim in ihr Dorf. Wenn einer Partei das Pulver ausgeht > wird auf die Meldung hin der Kampf abgebrochen. Is t aber die Knall- und Kriegslust sehr gross, dann liefert der Gegner wohl selbst gegen Zahlung oder Versprechen weitere Munition. Ferner wird das Geschiesse eingestellt, wenn Markttag ist, wenn Geleitsberechtigte: Handelsgänge, Leichenzüge, Boten, vor Gericht Geladene, Hökerinnen den Kriegsschauplatz kreuzen wollen. Das geschieht aus einer gewissen Ritterlichkeit, sowie aus Klugheit: Verletzung eines Unbeteiligten wäre sehr hoch zu bezahlen oder könnte die Gegner bedenklich vermehren. Kriegerische Unternehmungen sind aufregend, selten ernsthaft, es wäre denn bei voll entfachter Wut gegen Fremdlinge. Unter Stammesgenossen und Nachbarn folgen auf Heldentaten so viele Entschädigungsansprüche, Rechtshändel und andere Verdriesslichkeiten, dass man gar nicht vorsichtig genug sein kann. Im Grunde genommen erscheint es, fast anstandswidrig und unsinnig, Einheimische zu töten oder zu verwunden. Blutsachen sind immer böse Geschichten. Mit Gewalt ist keinesfalls mehr zu erreichen als durch Palaver, wobei ein jeder, freilich, wie das unter Menschen zu sein pflegt, der Geschickteste und Mächtigste am ehesten sein Recht gewinnt. Kämpfe finden nur am Tage statt. Des Nachts schläft man unbesorgt. Dörfer dürfen verbrannt, Vorräte und Vieh geraubt, aber nicht Pflanzungen verwüstet, nicht Fruchtbäume umgehauen werden. Das wäre Sünde gegen die Erde. Solche Taten vergibt man Europäern am wenigsten. Krieg führen ist geradezu unmöglich, falls die Gegner durch neutrale Erdschaften getrennt wohnen. Man müsste denn eine absichtlich mit hereinziehen wollen. Das geschieht in folgender Weise. Erdschaft A möchte Erdschaft B bekämpfen, kann aber nicht an sie, weil Erdschaft C dazwischen sitzt und ihre Ruhe haben will. Helfen alle diplomatischen Künste nicht, dann verübt A an der schuldlosen C irgendeine Gewalttat, fängt ihr einen Mann weg, schiesst ihr einen Leibeigenen an, und zwingt hierdurch Erdschaft C, weil sie um B leiden musste, gegen B mobil zu machen. Den Leuten erscheint das zwar nicht gerade anständig, aber durchaus nicht so widersinnig wie uns, auch im Privatrecht nicht. Einer tut einem schuldlosen anderen etwas an, damit der ihm nun gegen einen dritten helfe. So nahm ein Mann aus entfernterem Dorfe einem unserer Jungen ein uns gehöriges Buschmesser weg, und meinte nun, wir hätten für ihn ein Ziegenpalaver im Nachbardorfe zu schlichten. Unangenehm, aber afrikanisch — und wie unsere Schuljungen: Da hast du eins! ’s geschieht dir schon recht, dass der X mich geärgert hat! Gleich widersinnig erscheint, dass Hörige ihren Herren Kriegsdienste gegen die Erdschaft und natürlich auch gegen die Familie leisten, der sie entstammen, zu der sie doch zurückkehren, falls sie ausgelöst werden. Die Folgen haben die Herren zu verantworten. Vielleicht kämpfen nur die Hörigen mit, die sich längst eins fühlen mit der Erdschaft, vielleicht hüten sie sich, wenn es ernst wird, Blutsleute zu treffen. Als wir das Seite 62 geschilderte Kriegspalaver mit Matötila in der Nachbarfaktorei unterstützten, begleitete mich freiwillig mein Junge Ndembo. E r gehörte als Freier einer angesehenen, Matötila eng benachbart sitzenden Familie und Erdschaft an, zählte auch Verwandte unter den Gegnern. Trotzdem hätte der Junge sicherlich geschossen, wenn gekämpft worden wäre. Das verübelte ihm die feindliche Partei durchaus nicht. Denn obgleich er sich allenthalben neben mir mit gespanntem Doppelgewehr gezeigt hatte,


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