1 9 4 Alter Brauch. Erde heilig. Erdrecht. Bei den mehrfach erwähnten, im Gebirge unfern vom Kongo hausenden Bafiöti erlebten wir folgendes: Wir wurden überaus freundlich aufgenommen. Die Begrüssung war vorüber. Hunderte von fröhlichen und staunenden Menschen umdrängten uns. Als wir uns aber anschickten, von dem uns gebrachten Palmwein zu trinken, verstummte sogleich aller Lärm; lautlos sanken alle Leute zur Erde und verharrten hockend oder knieend mit niedergeschlagenen Augen, bis wir unseren Durst gelöscht hatten. Darauf erhoben sie sich wieder ebenso lautlos und klappten die Hände. Dergleichen ist an der Küste schon längst nicht mehr zu beobachten. Auch übte der gewandte Oberhäuptling, der uns am nächsten Tage mit Alt und Jung persönlich durch sein kleines Beich geleitete, noch einen zweiten selten gewordenen Brauch. Zum Gedenken unseres Aufenthaltes, der ersten Weissen, die seine Dörfer besucht hatten, liess er am Palaverplatz einen stattlichen Merkpfosten in die Erde setzen. Als ihm hernach die Zivilisation über den Hals gekommen ist, wird er das Denkmal wohl manchmal wehmütig angeschaut haben. — Nicht allein die politische Gliederung, sondern auch die gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse hängen aufs innigste mit dem Grund und Boden, mit der Heimat zusammen. Sie wurzeln gleichsam darin. Nsämbi, der Schöpfer der Bafiöti, hat ihr Land, ihre Erde ihnen als ein Wohngebiet anvertraut. Der Ma Loängo war eine Art Statfe- halter für Nsämbi und der Mfümu nssi wiederum ein Statthalter des Ma Loängo, Vertreter seines Erdstückes, wo das Staatsfeuer brannte, mit allem, was dazu gehörte. Ihre Erde ist den Bafiöti mehr als ein Schauplatz, worauf ihr Leben sich abspielt. In und aus der Erde wirkt ein Etwas, das alles durchdringt, Vergangenes und Künftiges vereinigt. In der Erde ruhen ihre Toten, und sie selber werden einst zur E rde gehen. Aus der E rde spriessen die ihr anvertrauten, sich aus sich selbst erneuernden Saaten und Stecklinge, die des Ackerbauers Dasein sichern, wachsen die nährenden Früchte des Waldes und der Kampine, die Gräser und Kräuter, womit die Tiere ihren Hunger stillen. Der Erde entquillt das kühle, labende Wasser, ohne das kein Hausen wäre. Alles Lebende entnimmt dem Boden seine Kraft.D ie Auffassung unserer Leute Hesse sich dahin wiedergehen, ass sie ihre Erde als ein von Nsämbi stammendes Lehen für heilig halten. Daraus leiten sie Rechte und Pflichten ab, die man in ihrem Sinne als ein Erdrecht — nsslku, lunsslku — zusammenfassen kann. Es sind heilige Satzungen, rechtlich und religiös zugleich. Nssi bedeutet nicht bloss Landstrich, Gebiet, sondern Land und Leute miteinander, eine gesellschaftlich und räumlich geschlossene, mit Grund und Boden innig verwachsene Gemeinschaft. Nssi ist die Mutter Erde mit allem, was in ihr ruht, aus ihr hervorgeht und ihr wieder zufällt, somit auch das Volk, der Stamm, die Familie, und dazu die Vorfahren, deren Seelen heimatberechtigt bleiben. Im Besonderen meint nssi den Gau, die Flur, die Gemarkung, kurzum das Stückchen Erde, worauf bodenständig und haftpflichtig verbundene Menschen leben. Das Gelände, der Boden heisst ntöto, und als Feldstück, als Pflanzung bearbeitet, nssöla. Die Geltung der Personen in solchem Verbände und damit ihre Stellung zur Erde ist sehr verschieden. Zu oberst steht der Mfümu nssi, der Herr der .Erde, einst stets ein Fürst. Sagen wir: Der Erdherr. Ihm zunächst stehen als Berater und Verwalter die Häuptlinge von verschiedenem Range, die Grossleute — mukulüntu, plur. bakulüntu gg der Häuptlingschaften, der Dörfer, Weiler und Familien. Auf diese folgen die Freien, welche Bezeichnung aber relativ zu nehmen ist, weswegen wir im besonderen lieber Erdsassen sagen wollen. Es sind die Herrenkinder, richtiger Herrinnenkinder, die b’äna ba ngäni oder bangani, sing. Tnuäna (mu) ngäni oder mungäni (ein recht selten werdender Ausdruck), die von freien Müttern stammen, die ya menga, mit Blut, nämlich frei- oder edelbürtig, bütu nssi, zur Erde geboren sind. Bereits im Säuglingsälter als Erdsassen öffentlich anerkannt, sollen sie vor dieser Festlichkeit, die erst stattfindet, nachdem sich in der Geburtshütte ihre dunkl'e Hautfarbe ausgebildet h a t, mit keinem entblössten Teile ihres Körpers die Erde berühren. Auch darf Feuer während der Abschliessung weder hinein- noch herausgetragen werden. Das gilt ebenso für Mädchen, bei denen die Zeichen der Reife eintreten, also für sinkümbi, weswegen sie mit einer Wächterin oder Belehrerin die Jungfemhütte — nsö tschi- kümbi 11 beziehen. Auch der Schmied — mfüssi, plur. bafüssi — soll beim Arbeiten eine Matte unterlegen, streift sogar Sandalen oder Mattenschuhe an die Füsse, falls er ein grosses Werk vorhat. Alle bangäni, also die Erdsassen oder Herrenkinder, sind zugleich bässi, sing, mussi, seltener auch balssi, sing, mulssi, welche Ausdrücke wohl auf die uns schon von der Makünda her bekannten zurückzuführen sind: b’äna ba nssi, sing, muäna mu nssi, Kinder der Erde. Sie sind die Vollbürger, die Gau- oder Markgenossenschaft, besser die Erdgemeinschaft, oder kurz und wörtlich: Die Erdscbaft. Bässi 6ind eben Erdstück und Bewohner zusammen, und sie als Freie haben für alles äufzukommen, was beide angeht; mögen sie ein grosses oder kleines Gebiet halten und viele oder wenige, oder gar nur ein einziger, der Erdherr sein. Die Erdeassen beraten und entscheiden in Angelegenheiten ihrer Erde, in der Regel freilich wie die Weiber und oft, wie die Hörigen es wollen. Sie meinend, von ihnen redend, pflegt man den Namen ihrer Erde hinzuzufügen, womit das politische Gebilde ebenso sicher bezeichnet ist, als
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