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bloss darauf gerichtet, Menschen zu erlangen, und zwar um jeden Preis, listig oder gewaltsam. Schliesslich verriet und verkaufte unter den Eingeborenen einer den anderen. Damit vollzog sich unaufhaltsam auch die politische Zersetzung. Das Tschlna, sowie ehrwürdige Einrichtungen wurden übertreten, und der Erevel wurde weder durch weltliche noch göttliche Gewalten gerächt. Neuerungen fanden Eingang. In sicherer Eerne sitzende Häuptlinge verweigerten den Gehorsam. Geschickte Zwischenhändler gelangten zu Reichtum, Ansehen und sammelten Menschen um sich. Ehemalige Dienstleute und Unfreie, die ihre Herren beerdigt und beerbt hatten, im Lande hängen gebliebene Sklavengänge, wie die Bawümbu, fanden Siedelplätze und wählten Häuptlinge. Wer überhaupt ein Dorf oder Dörfer gründen, Leute an sich locken, einen Landstrich besetzen und behaupten konnte, gebärdete sich als Grundherr und Königlein. So schoben und schieben sich noch heute aufstrebende Leute zwischen Pürsten und Volk, die mit dem das Parvenutum kennzeichnenden Drange sich zur Geltung bringen wollen. Ih r Höchstes ist, einen Mfümu nssi vorzustellen. Denn ihre und ihres Anhangs ganze Stärke wurzelt in dem Stückchen Erde, worauf sie sitzen. Jedes dieser Reichlein ist nach dem Muster des einstigen Reiches zugeschnitten. Obgleich sich die Machtstellung von Personen wesentlich verändert hat, sind alte Satzungen erhalten geblieben, die, in der Volksseele wurzelnd, den politischen Verfall überdauert haben. Der konservative Sinn des Volkes, umnebelt von mystischen Traditionen, erkennt noch immer das Aristokratische an. Allerdings sind einige Pürstenfamilien bedenklich verarmt und üben kaum noch politischen Einfluss. Angehörige werden vielleicht in entlegenen Gebieten von einem geschwollenen Glückspilz nicht gerade rücksichtsvoll behandelt, obschon das, des Volkes wegen, manchmal übel ablaufen könnte. Andere dagegen sind glücklicher daran. Sie sind Herren ererbter Erde und Mfümu nssi im guten alten Sinne geblieben. Jedenfalls beanspruchen Personen fürstlichen Ranges Anerkennung ihrer alten Vorrechte, obgleich ihnen deren Genuss nicht überall gleich gefügig gestattet werden mag. Sie sind aber trotz alledem eine überaus begünstigte Kaste und zeichnen sich in der Regel aus durch Vornehmheit des Wesens, durch stattliche Gestalt, durch feinere Gesichtszüge, wozu das Tschlna, das die Männerwahl jeder Pürstin regelt, nicht wenig beitragen mag. Die bevorzugte Stellung, die allen fürstlichen Personen gebührt, prägt sich schon in äusserlichen Dingen aus. Sie allein haben das Recht, Elfenbein als Schmuck, sowie die feinste Art der im Lande aus Raphia- bast erzeugten befransten Gewänder, geknoteten Mützen und Schulterbehänge zu tragen. Ähnliche Mützen und Schulterkleider tragen zwar auch Häuptlinge, und weniger fein gewobene Tücher gemeine Leute, doch werden diese Stücke aus gröberen Fasern anderer Arten der Weinpalme gearbeitet. Ebenso ist den Pürsten der Genuss eines roten Pfeffers mit kleinen runden Beeren Vorbehalten. Sie reisen in Hängematten, was ihnen freilich mancher Emporkömmling nachzutun versucht, aber doch nur dort, wo er es sich getraut. E r setzt sich der Gefahr aus, dass ihn das Volk mit Schreien und Johlen ärgert und hänselt, oder auf fremder Plur ihn auszusteigen nötigt. Beides haben wir erlebt. Die Mifümu stehen über aller Gerichtsbarkeit, brauchen nicht Zeugnis abzulegen und nichts auf ihren Eid zu nehmen. Der böswilligen Zauberei können sie nur von Standesgenossen angeklagt werden, unterziehen sich aber der Giftprobe nicht persönlich, sondern lassen einen Getreuen, der sich dazu erbietet, oder ein Tier, gewöhnlich ein Huhn, für sich einstehen. Perner ist es ein Recht der Fürstin, die zugleich Mfümu nssi ist, nach Weise der Makünda durch Adoption Leute anzunehmen. Wie nachher zu schildern, kann sie sogar Unfreie, die ihren Herrn beerbt haben, zu Freien machen und auf ihrer Erde ansiedeln. Ein Fürst hat die freie Wahl unter den Töchtern des Landes, allerdings mit Ausschluss der Fürstinnen Loängos. Der Erwählten überreicht oder sendet er einen am Arme zu tragenden Elfenbeinring — luvösse lu mpündschi und macht sie damit unberührbar für jeden anderen Mann und zu einem Pürstengespons: Nkäma Mfümu, gemeinhin Nkäm’fumu gesprochen. Die Familie, der solche Ehre widerfährt, fühlt sich geschmeichelt, und Mädchen in Loängo heiraten Pürsten ebenso gern wie Mädchen anderswo. Ihre Kinder erben zwar weder Rang noch Reichtum vom Vater, der sie hei Lebzeiten nach Belieben versorgen mag, aber sie bilden sich was auf ihre Abkunft ein, und bezeichnen sich stolz als muäna (ya) menga, plur. b’äna ba menga, als Kind mit Blut. Wer einen Pürsten zum Vater hat, ist ein Pürstenkind: Muäna Mfümu, was im Munde oft wie Mäni- und Mönifümu klingt, wer einen zum Grossvater oder überhaupt zum Vorfahren hat, ist ein Pürstenenkel, ein Fürstennachkomme: Ntökulu Mfümu. Andere versäumen selten, einen Fremdling auf die hohe Abstammung solcher Personen aufmerksam zu machen. Eine Pürstin, durch die allein sich Blut, Rang und Besitz vererben, ist die meistbegünstigte aller Damen. Sobald sie mannbar geworden ist, hat sie Sitz und Stimme bei politischen Verhandlungen und ist oberster Richter, hat den Blutbann auf ihrem Grund und Boden. Sie hat das Recht, soweit es nicht durch das bereits geschilderte Tschlna beschränkt ist, sich einen Gatten zu ernennen und ihn wieder zu entlassen, die Männer beliebig zu wechseln. Will sie dem Erwählten höchste Gunst erweisen, so schmückt sie ihn, wie der Fürst sein Gespons, mit dem Elfenbeinring, erhebt ihn aber dadurch und durch Vollziehung einiger


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