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urwüchsige Einbildungskraft und die naive Glaubenskraft der Masse die Mythe. Nach ihrer Auffassung besteht irgendwie ein Zusammenhang zwischen Atmen und Denken. Die guten Gedanken mit schönen Erinnerungen wohnen in der Brust, im Herzen, die schlechten Gedanken, listige Anschläge und Grübeleien sitzen im Kopfe. Kubäla, denken, nachdenken, sinnen, merken; kubäla ku ntima, im Herzen bewahren, liebevoll, dankbar gedenken; tschibäla, plur. bibäla, der Gedanke; lubälu, das Denken; mubäli, plur. babäli, der Denker oder, so recht nach Art unserer Bauern: der Sinnierer. Im alltäglichen Verkehre wird man so recht gewahr, wie zähe die Leute an Einzelheiten kleben. Seien diese für uns wesentlich oder nebensächlich, ihnen prägen sich alle der Reihe nach ungefähr gleichmässig stark ein. Und wie sie aufgenommen wurden, müssen sie auch vorgetragen werden, sonst reisst die Gedankenreihe rettungslos ab und muss wieder von vorne angefangen werden. Sie fassen nicht zusammen, springen nicht in die Mitte der Sache, melden nicht klipp und klar, was sie wollen. Da kann schon ein Beobachter, der nicht sorgsam vergleicht, in den Irrtum verfallen, die Leute seien anders als wir veranlagt. Aber wie sehr erinnert ihre AVeise an die unserer Kinder, an das noch heutzutage so schwerfällige Gehaben unserer Landbevölkerung, an die höchst wunderlichen, aus dem Volke stammenden Briefe und Anzeigen, an die Zeugenaussagen vor Gericht, endlich an die langatmigen Erlasse von Behörden und an die weitschweifigen Titel von Büchern aus früherer Zeit. Breit und reichlich, und immer hübsch eins nach dem anderen, das erscheint ihnen folgerichtig. Daher ihre Umständlichkeit, die das Einvernehmen erschwert und unsere Geduld verbraucht. Daher bei jeder Gelegenheit ihr Aufzählen aller Dinge so ziemlich, wie man scherzhaft behauptet, von Uranfang der Welt an. Daher ihr artiges, aufmerksames oder mindestens gelassenes Zuhören. Einer, zu einem Palaver gerufen, der vielleicht eine mehrtägige Wanderung hinter sich hat, wird, sobald an ihm die Reihe ist, keineswegs zur Sache sprechen, sondern von sich und aller Welt. E r wird mit Worten und Gebärden getreulich einzeln schildern, wie alles zugegangen ist. Wie der Bote kam, wo er ihn traf, was er dachte, sagte, was sie taten, was Erau, Schwester, Bruder, Onkel, Kinder, Nachbarn meinten, und wer weiss, was sonst noch. Endlich wie er sich vorbereitete, seine Lenden gürtete, sich verabschiedete, was er anordnete. Dann, wie er gegangen, welche Pfade, wie sie beschaffen waren, das Gras, der Wald, welches Dorf er berührte, wie sein Gastfreund ihn begrüsste, was sich begeben hatte, was die Leute dazu sagten, was er sagte, tat, wie er weiter zog, wo er ruhte, ass, trank, wen er unterwegs traf, was er sagte, was der sagte, woher der kam, was dort passiert war, wohin der wollte, wie sie sich trennten, wie er müde wurde, welche Vögel flogen, wie das Waldhuhn rief, welches andere Dorf er berührte, was es dort Neues gab — und so fort Tag für Tag. Alledem hören die Versammelten andächtig zu und merken es sich sogar. Solche Einleitungen verstehen sich von selber. Der nächste Redner macht es kaum kürzer, der dritte und vierte auch nicht. Derweil ist es Abend geworden, und man vertagt sich auf morgen, wo andere die Vorträge weiter spinnen. Ein unmittelbares Eingehen auf die Sache selbst ist so gut wie ausgeschlossen; es wäre lfnhöflich, würdelos, ganz und gar unpassend. Dagegen wird mehr sachlich verfahren, fällt viel des Überflüssigen weg bei grossen Verhandlungen über Gau- und Staatsangelegenheiten, bei Totenfeiern, weil die von geschulten oder mindestens erfahrenen Sprechern für ihre anwesenden Parteien geführt werden, weil es um höhere als persönliche Streitigkeiten geht. Da kommt der gute Takt der Leute zur Geltung. Umgekehrt bat vor Gericht die umständliche Genauigkeit der Aussagen ein besonderes Gewicht: sie pflegt, wie bei uns, überzeugend zu wirken. Diese Umständlichkeit, dieses Kleben an Form und Reihenfolge, dieses Unvermögen, rasch einen Entschluss zu fassen und auszuführen, überhaupt der Mangel an Organisation, ist ein Glück für Reusende, die erregte oder aus früherer Erfahrung feindlich gesinnte Stämme zu passieren haben. Wenn sie nur tüchtig darauf los marschieren, entschlüpfen sie nacheinander allen ihren .Gegnern, bevor die über ihre Anschläge einig geworden sind. Nur nicht zurück. Wer schnell vorgeht, Wege wechselt, allenthalben überrascht, ist ganz sicher, jedenfalls viel sicherer als einer, der zaudert oder sich mit allerlei Untersuchungen aufhält. Dem gleichen Unvermögen der Leute entstammt ihr bodenloser Leichtsinn, ihre manchmal verblüffende Verwegenheit, was alles sich mit ihrer Sorge um die eigene Person nicht reimen will. Sie lernen zwar auch durch Erfahrungen, nehmen diese wenigstens auf, verwenden sie aber im gegebenen Augenblicke meistens zu langsam. So laufen sie gedankenlos und wie stumpfsinnig ein über das andere Mal in die nämliche Falle, bringen sich immer wieder in die nämliche Gefahr, das heisst, sie befinden sich plötzlich darin, bevor ihre Gedanken auch so weit waren. Rechtzeitig ermahnt, hüten sie sich, unvernünftig zu sein, wenn nicht der Leichtsinn doch siegt. Frauen schöpfen Wasser immer wieder an Uferstellen, wo menschenfressende Krokodile lauern. Benachbarte Schöpfen, etliche derbe Schläge mit Stangen ins Wasser, oder wenige Pfähle als Zaun werk gäben Sicherheit; aber vorgesorgt wird nicht. Rauchende Männer hocken unbekümmert um offene Fässchen und verteilen loses Pulver. Geht es los, so wird eher an Hexerei als an Dummheit gedacht.


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