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scharfe äusserliche Merkmale sie.leiten, falls nicht besonders starke Triebe sie- anspartnen. Wie sie die Aussenwelt nicht als ein Ganzes, sondern nur als eine- Vielheit von Gegenständen sehen, so drängen sich in ihrer Innenwelt lauter Einzelheiten' in unübersichtlicher Reihe, an der sie sich gleichsam entlang tasten müssen. Über sich unversehens einschiebende Zwischenglieder kommen sie nicht leicht hinweg. Sie werden gehemmt, abgelenkt und wissen schliesslich nicht mehr, was sie eigentlich vofhatten. Wie unsere lebhaften Kinder. Plötzlich, infolge irgendwelcher Gedankenkreuzung, erinnern sie sich wieder des Vergessenen und gehen daran, es nachzuholen. Doch auch damit sind sie nicht allzu eilig. Zeit hat ja keinen Wert, und morgen ist auch ein Tag. Alles das prägt sich auch in ihren Erzählungen aus, die gegenständlich scharf sind, aber bald'voller ermüdender Aufzählungen, Abschweifungen und Wiederholungen verlaufen, bald sprungweise und scheinbar zusammenhanglos vorrücken, und mit vielerlei Gleichnissen bereichert werden. Ihnen machen sie viel Vergnügen wie unseren Kindern die Folge der Einzelheiten in Fabeln und Märchen. Der Witz dagegen trifft häufig den Nagel auf den Kopf. Auch ihre Weistümer sind gut , oft schlagend. Ebenso fehlt es ihnen nicht an Humor, wie schon ihre Kunstwerke beweisen. Der Europäer, der sie launig zu nehmen weiss, die Lacher auf seine Seite bringt, kann viel durchsetzen. Spass muss sein und findet eine gute Statt, nur darf er nicht die starke Empfindlichkeit, die Eitelkeit verletzen. Freilich ist Vorsicht geboten, damit sie den Weissen nicht falsch einschätzen. Eine Zusage ist unbedingt zu halten. Auch wäre es unklug, sie mit ausweichenden Redensarten aber mit gegenständlichen Versprechungen abzufertigen. Diese vergessen sie gewiss nicht, deuten sie, in ihrer Weise, selbst Kinder wissen ihre Sache geschickt zu führen, und: setzen einen vielleicht nach langer Zeit damit in Verlegenheit oder ins; Unrecht, wobei sie: durch seltsame Gedankenverbindungen verblüffen können. Sie verfahren durchaus nicht unlogisch, fussen aber meistens auf anderen Voraussetzungen als wir, worüber zu streiten fruchtlos ist.. Es ist wie bei unseren Kindern: man überzeugt nicht, und man verliert an Ansehen. Wie wenig die Leute ihre Gedanken meistern können, sobald ihre Triebe erregt werden, zeigt sich so recht, wenn man unvorsichtig ihre Habgier weckt. Zum Beispiel bei Übungen im Übersetzen, im Wortbestimmen. Selbst der Tüchtigste und Willigste dürfte den Zweck der Unterhaltung vergessen, wenn man ihm etwa mit dem Satz käme: Ich gäbe dir gern' einen Rock, wenn du ihn tragen wolltest. Darauf schnappt er sicherlich ein. E r ; denkt nicht mehr ans Übersetzen, sondern nur noch ans Haben, und bittet nun dringend um den Rock, den er gewiss tragen, sogleich anziehen werde. Erhält er ihn nicht, so klagt er vielleicht nachher, der Weisse habe sein Anerbieten nicht gehalten oder habe ihn genarrt. Der Gegensatz zwischen Einbildung und Wirklichkeit kommt ihnen schwer zum Bewusstsein. In das Wesen der Dinge dringèn sie kaum ein. Vielmehr genügen ihnen Ahnlichkeitèn, Schein, ebenso gleichzeitige, ob auch räumlich weit getrennte, und wiederum ungleichzeitige, aber räumlich verbundene Erscheinungen und Ereignisse, um zu schliessen, zu urteilen. Ein Bursche begrüsste mich freudig in entlegener Gegend mit der Versicherung, er kenne meinen Bruder. Meinen Einspruch wies er mit der Begründung ab, sein weisser Mann wäre in eben solchen naturfarbenen Kniestiefeln einhergegangen, die allerdings im Lande nicht üblich sind. Aus ihrer Neigung, allerlei nicht Zusammengehöriges, Gegenstände wie Kräfte, aufeinander zu beziehen, miteinander zu vermengen, und Trugschlüsse abzuleiten, dürfte auch manches zu erklären sein, das uns in religiösen und namentlich in rechtlichen Dingen als seltsam und widersinnig berühren wird. Natürlich drängt sie ihre Auffassungsweise und ihr Misstrauen dazu, in allem Fremdartigen zunächst Unheil für sich und ihre Heimat zu wittern. Als katholische Missionare gelandet waren, die B-egen ausblieben und die Pflanzungen kümmerten, setzte sich die Bevölkerung in den Kopf, dass daran die geistlichen Herren, namentlich ihre langen Gewänder, die Schuld trügen. Solche Kleidung war noch nicht dagewesen. Anderswo sollte ein ausgeschiffter braver Schimmel den Handel verdorben haben und wurde Gegenstand schwieriger Palaver. Ein Fäktorist battè argen Verdruss, weil er eine krumme Flaggenstange von einheimischem Holze ohne weiteres durch einen eingeführten schlanken Mast ersetzt hatte. Ein blanker Gummimantel, ein absonderlicher Hut, ein SchaukelstühJ, irgendeine Maschinerie mag höchst verdächtig werden. Die ganze Küstenbevölkerung kann sich über einen Segler mit neuer Takelung, über einen Dampfer mit einem Schornstein mehr als bisher aufregen. Alles das ist bedeutsam. Und wenn irgendwo Schlimmés, geschieht, wird es gleich mit dem Auffälligen in Beziehung gebracht. Es rumort in den Köpfen. Einfall verwebt sich mit Einfall. Nichts ist geordnet, nichts steht fest, nichts erscheint unmöglich. Wie die Anregungen kommen, so springen verworrene Vorstellungen auf, schwächen sich gegenseitig oder packen mit unwiderstehlicher Eindringlichkeit die Gemüter. Gleich ist ein Wunder fertig. Das Unsinnigste kann zur Überzeugung werden. Gegengründe sind machtlos. Man glaubt, was’ man hört, und man zweifelt nicht, denn dazu gehört Überlegung. Wäre das bei uns ganz, anders? Bedürfnis nach Aufregung, Rechthaberei. Lust am Übertreiben tun das ihrige. So schaffen die 6*


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