solchen verlogenen Leuten stammenden Auskünfte der Völkerkunde vorenthalten werden. Hier wäre vor allen Dingen Vorsicht geboten. Gewiss ist über Lügenhaftigkeit nicht einseitig nach Temperament, sondern nach sachlichen Prüfungen und Vergleichen zu entscheiden, und das fällt recht schwer. Anderswo wird ebenfalls gelogen, ja das öffentliche Leben Zivilisierter ist doch eigentlich auf Abwehr von Unredlichkeit eingerichtet. Gibt es trotzdem redliche Zivilisierte, warum soll es keine rechtschaffenen Primitiven geben? Der Europäer ist Richter und Partei zugleich. Von jeher hat ihm wenig daran gelegen, die Afrikaner Treu und Glauben zu lehren. E r könnte überhaupt von missachteten Leuten, die ihn kaum begreifen, geschweige denn von solchen, die ihn nur als Zwingherren kennen, nicht ehrenwerte Gesinnung verlangen. Der Afrikaner lügt, wie andere Leute lügen, aus Furcht, Misstrauen, Verwirrtheit, mit böser Absicht, um des Vorteils willen. Zumeist aber faselt er, weil er sorglos ist, weil er bei Gleichgültigem nicht achtsam bleiben kann, weil er sich eines beliebigen Weissen wegen nicht sonderlich anstrengen mag, noch mehr aus reiner Lust am Fabulieren. Die Phantasie geht ihm durch; er glaubt selber sein Jägerlatein. Auch reizt es ihn, seine naive Verschlagenheit und phantastische Findigkeit, seinen Witz und Mutwillen am Fremden, der ihn doch auch gehörig anlügt, zu erproben und ihn zu narren. Ferner erscheint oft Lüge, was lediglich Missverständnis ist, weil nichts anderes vorausgesetzt wird. Zweierlei Weltanschauungen vertragen sich schlecht. Endlich hängt viel ab von der gesellschaftlichen Stellung der Personen, vom Vertrauen, das sich der Europäer erworben hat. Es wird nicht allezeit und von jedermann absichtlich die Unwahrheit gesagt. Wir haben nicht wenige glaubwürdige und redliche Eingeborene gekannt. Das gleiche bezeugen alte Berichterstatter, unter ihnen Sklavenhändler, für unsere Leute. Endlich halten diese selbst unter sich das Lügen jedenfalls für dumm und verwerflich. In einer Hinsicht traut der Mfiöti den Europäern unbedingt, nämlich wenn er Geschriebenes erhält. Zwar kann er es äusserst selten selbst entziffern, merkt sich aber genau, was auf dem Vorgelesenen steht, und lässt sich gelegentlich darüber nochmals von anderen Weissen belehren. Ein Blatt Papier — mukända, plur. mikända: Rinde, Haut, Hülle, und mit tieferem, später zu erklärenden Sinn — worauf durch Kritzeleien Worte und Gedanken genau übermittelt wurden, war ein Wunder. Nicht anders zu fassen, als dass ein Teil vom Schreiber, von seiner Seele, das Sprechende mit hinüber wanderte zum Empfänger. Natürlich musste auch grösser Zauber dabei sein. Daher die Ehrfurcht, die geblieben ist, während das Staunen ob des Wunders schwächer geworden ist, weil etliche selbst die Kunst des Lesens und Schreibens erlernt haben. Ein Bote, der seine mukända frei in ein Stäbchen eingeklemmt trägt, läuft unangefochten durchs ganze Land. Alle Europäer halten gewissenhaft darauf, dass mikända, meist Bestätigungen von Guthaben, eingelöst werden. Sonst würden Handel und Wandel leiden. Papier und Bleistift schätzt der in Misshelligkeiten geratene Kaufmann als seine besten Waffen; fällt er in die Hände seiner Gegner, so löst er sich durch eine- mukända. Und der Eingeborene, der daheim nicht Schätze aufstapeln mag, lässt sich vom Händler lieber einen Gutschein als Rum und Stoffe aushändigen. Drollig berührt es, wenn er die mit Bleistift geschriebenen Zeichen ganz ernsthaft mit Staub oder Sand bestreut, was nicht lediglich eine lächerliche Nachahmung ist, sondern tieferen Sinn hat: Erde bekräftigt, heiligt. So gibt es wohlhabende, ja reiche Leute im Lande, deren Besitz vorwiegend in Papieren besteht, die sie verstecken, bei sich tragen, unter Umständen sogar dem weissen Manne anvertrauen. So ist es wenigstens uns geschehen. Das Wesen unserer Leute, ihre Auffassung vom Rechten, hauptsächlich ihr Verhalten gegenüber dem Europäer, mögen Schilderungen einiger Begebenheiten weiter kennzeichnen. In entlegener Gegend, an einem fahrbaren Wasserlaufe, versuchte ein kleiner Händler sein Heil. Das Geschäft begann sich zu beleben. Während er einmal abwesend war, und zwei Mietlinge die flüchtig errichtete Niederlage bewachten, wurde er in der Nacht um Rum und einige Ballen Zeug bestohlen. Nach seiner Rückkehr klagte er bei den Häuptlingen und brachte es als erfahrener Mann zu einem Palaver. Die ermittelten Diebe wurden verurteilt, an ihn als Ersatz und Busse den mehrfachen Wert des Gestohlenen in Landeserzeugnissen zu entrichten. Obgleich der Händler vollständig machtlos war-, erfüllten sie binnen einem halben Jahre ihre Verpflichtung. — Was in einem Palaver zu Recht erkannt worden ist, pflegt unverbrüchlich eingehalten zu werden. Schwierig ist nur, einen RichterBpruch zu erlangen, weil die, die ihn zu fürchten haben, tausenderlei Ausflüchte ersinnen, um die Angelegenheit zu verschleppen. Deswegen ist es recht förderlich, einen beliebigen Mann der Gegenpartei als Geisel aufzugreifen. Das taten wir, um in einer kleinen Sache mit einer ziemlich entfernt sitzenden Gemeinde uns rasch zu einigen. Die Angehörigen kamen schnell genug zum Palaver und erkannten unser Recht an. Da sie, was nicht allerwärts gebräuchlich ist, auch Schweine züchteten, und uns nach einem Braten gelüstete, forderten wir als Busse ein Schwein. Das wurde zuge* standen, worauf wir, wie üblich, den Gefangenen lösten. Leider hatten wir vergessen, Grösse und Wohlbeleibtheit des Borstentieres zu vereinbaren. Richtig brachten die Schelme zwar ein Schwein, aber gewiss das kleinste und magerste Ferkel, das sie hatten auftreiben können, und sie
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