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5 4 Rechtsgeiühl. Habgier. Abscheu gegen Geiz. könnten vergolten werden. Und so geht es auch bei ihnen nicht drunter und drüber, so regeln sich die Beziehungen in ganz erträglicher Weise. Immerhin vermeidet jedermann, die Begehrlichkeit anderer zu reizen. Er sucht, wie anderswo der Steuerzahler, Erworbenes zu verheimlichen, damit er nicht abzugeben brauche. Was er vom Europäer erhält, pflegt er rasch zu verbergen oder zu günstiger Zeit in aller Stille abzuholen. Das ist Lebensklugheit, denn die Gütergemeinschaft geht weit. Yordem, als alle gleichmässiger bedacht waren, hatte das nicht viel auf sich, da suchte man höchstens ungewöhnlich grosse Ernten zu verheimlichen. Seitdem aber der Europäer seine Schätze einführt, muss man sich anders vorsehen. Reichtum bringt Gefahren mit sich. Daher schafft der Eleissige, der für sich Palmöl, Kopal oder Kautschuk gesammelt hat, und der Händler, der Güter aus dem Inneren anbietet, so viel wie möglich unbemerkt nach der Faktorei. Der reisende Händler will ferner seinen Geschäftsbetrieb, seinen Erfolg verheimlichen. Auch ist es Furcht vor dem Kinde des Neides, vor dem bösen Blick, der schaden möchte, wie man von sich selber weiss. Daher kommt es, dass einem wohl Machtprotzen, aber nicht Geldprotzen begegnen. Wie allen Primitiven mangelt es ihnen hauptsächlich an straffer, dauerhafter Organisation. Das beschränkt ihre Leistungsfähigkeit und unterscheidet sie am ausgeprägtesten von den Zivilisierten. So unverhüllt sie ihrer Habgier frönen, so ängstlich hüten sie sich, für schofel, für geizig verschrieen zu werden. Man kann getrost behaupten, dass sie den Geiz geradezu verabscheuen. Um den Verdacht fern zu halten, knickerig zu sein, sind sie fähig, mit vollen Händen auszustreuen, den vielleicht in mehreren Monaten erübrigten Verdienst in wenigen Tagen zu vergeuden. So sind sie unter sich. Anders stellen sie sich zum Europäer, überhaupt zu jedem, der nicht zu ihnen gehört. Sie huldigen dem uralten, freilich von sehr Zivilisierten noch befolgten Grundsätze: wir sind gut, andere sind schlecht, woraus sich die ebenfalls uralte Gepflogenheit der zweierlei Moral ergibt, obschon sie auch in deren Anwendung nicht schlechthin brutaler Nichtswürdigkeit geziehen werden können. Die zuerst landenden Weissen erschienen ihnen nach alter Überlieferung wie Geschöpfe vom Jenseits, deren technische Überlegenheit sie zu fühlen bekamen, deren Misshandlungen sie hinnahmen wie eine Heimsuchung. Allmählich verlor sich der Glaube, dass die hellhäutigen Fremdlinge höhere Wesen wären. Es kamen ihrer zu viele an die Küste, auch schlechte und rohe Leute, ebenso nach ihrer Meinung arme Schlucker, die sich bei ihnen satt essen wollten, vielleicht an Menschenfleisch, und schliesslich untergeordnete Europäer, die in grossen Gehöften Handarbeit leisteten. Daraus folgerte der schlaue Eingeborene, dass die Hautfarbe nicht den Herren mache, dass es bei Weissen nicht anders als bei Farbigen sei. . Aus der Zeit des Sklavenhandels haftet ihnen noch viel Demütiges an, das freilich manchmal nur schlau vorgetäuscht wird, denn sie sind Menschenkenner. Fast durchweg geringschätzig behandelt, scheuen sie zwar den Europäer, achten ihn jedoch nur ausnahmsweise und begegnen ihm, je nach Stellung und Umständen, artig, unterwürfig, aufdringlich, feig, frech, obschon stets gastfreundlich. Meistens sind sie ihm gegenüber ihrer selbst nicht sicher, befinden sich nicht im Gleichgewicht. Im allgemeinen sind die Weiber, deren Feinfühligkeit besonders zu loben ist, ansprechendere Persönlichkeiten als die Männer, denen am meisten die Mannhaftigkeit fehlt; Manchmal gleichen sie Hanswürsten, und sind doch nicht jeder Würde bar. Auch Ehrgefühl darf man ihnen nicht schlechthin absprechen. Ihre Eitelkeit ist sehr gross. Nach Kang und Stellung, nach Aufbringen äussern sich freilich die Eigenschaften sehr verschieden. Scharfe Beobachter, gute Gedankenleser, unbekümmert um den Wert der Zeit, sind sie geriebene, jede Schwäche des Europäers wahrnehmende Händler. Er ist ihnen der erwerbsgierige rücksichtslose Fremdling, dessen Art ihre Vorfahren niedergemetzelt oder verhandelt, überall schlimm gehaust, niemals Gutes erwiesen hat. E r ist der Gegner, der ihre Angehörigen mit und ohne Hexenkünste wahrscheinlich wie ehedem übers Meer verschleppt, ersäuft, im Arbeiten schindet oder sich gar von ihnen nährt. Denn was steckt in den Konservenbüchsen? So laufen ihre Gedanken, so müssen sie laufen, selbst dort, wo es friedlich zugeht. Die Überlieferung hält sie wach. Der weisse Fremdling behandelt sie als untergeordnete Geschöpfe, beutet sie in handgreiflicher Weise aus, täuscht sie, kürzt ihnen Mass und Gewicht, liefert ihnen immer schlechtere Ware, darunter Schnaps, der ihnen den Magen beizt, und Stoffe, die sich teilweise in Kleister auflösen. Sie betrügen ihn und halten sich schadlos. Auch prüfen sie seine Geduld durch Unzuverlässigkeit, durch unverzagte Bettelei, die sie, nicht ohne sein Verschulden, wie ein wohlerworbenes Recht ausüben. Trotz alledem pflegen sie mit Europäern abgeschlossene Verträge zu halten und sogar dem Schwachen, der Übeltäter vor Gericht zieht, sein Recht zuzuerkennen. Und allezeit ist gerühmt worden, dass die wenigen, oft gänzlich vereinsamt und schutzlos im Lande sitzenden Kaufleute ungefährdet unter ihnen wohnen konnten, solange sie Recht und Sitte achteten. Niemals haben sie das Gastrecht verletzt, niemals haben sie Schiffbrüchige bedroht oder schlecht behandelt, sie vielmehr gut aufgenommen und versorgt, ohne auf Belohnung rechnen zu können. Einen mittellosen Europäer, der ihre Heimat durchwanderte, hiessen sie gewiss


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