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52 Schaustücke. Wissenswertes. Lesefrüchten behilft. Leicht fügen sich eigene Gedanken, schwierig sind die der anderen zu fassen. Nicht was der Beobachter denkt, sondern wie die Beobachteten denken, bedarf der Klärung. Auch kennzeichnen Schnitzwerk, Schurz, Kahn, Flöte das Seelische der Primitiven nicht mehr als Marmorbild, Frack, Panzerschiff, Orgel das der Zivilisierten. Und verstreute Angaben in Reisewerken, die wohl die Phantasie befruchten, aber häufig sich selbst widersprechen und Bedenken erwecken, ob ihre Urheber die Zeit, die Fähigkeit oder überhaupt die Absicht hatten, der Sache ernsthaft gerecht zu werden, solche wendbare Angaben können das Wichtigste nicht ersetzen, wozu es beinahe schon zu spät ist: dass endlich auch der primitive Mensch methodisch erforscht werde wie alles andere in der Natur. Unbegreiflich, dass man ein Wildvolk genügend zu kennen meint, wenn man Schädel und Geräte von ihm im Schranke, Bräuche und Sitten im .Buche hat. Erstaunlich, dass man draussen in der Wildnis dem Wesen der Pflanzen und Tiere mehr wissenschaftliche Tätigkeit widmet als dem Wesen der Menschen und damit zugleich den grossen Fragen der Menschheit. Eine letzte Schwierigkeit stellt sich heraus bei dem Bestreben, nicht bloss recht zu berichten, sondern die empfangenen Eindrücke auf andere entsprechend zu übertragen. Nämlich die Stimmung zu treffen und schon durch die Art der Darstellung das Wesen der Leute zu veranschaulichen , den Leser mitten in die Zustände zu versetzen. Wer so mit Worten zu schildern vermöchte wie der Impressionist mit Farben, könnte das Richtige treffen. Aber die Ausdrucksmittel versagen. In dem der Berichtende Genauigkeit erstrebt und erstreben muss in einer Sprache, die, anderen Verhältnissen dienend, andere und fest umrissene Vorstellungen erweckt, verfällt er auch dem Zwange dieser Sprache, worunter die Treue der Schilderung leidet. Wie dem nun sei, er hat vielerlei zu beschreiben, was er erfahren hat im Zusammenleben mit seinen Eingeborenen, mit Männern, Weibern, Kindern, die ihm schon als Gegenstände langer Beobachtung nicht gleichgültig bleiben konnten. Ih r Dasein mit seinen Einrichtungen, ihr Sinnen und Trachten, ihre Lust und ihr Leid haben ihn berührt. E r hat mit ihnen gelacht und getrauert, er hat sich über sie geärgert und gefreut. Im Grunde genommen ging alles so zu wie bei anderen Menschen auch. Gutes und Böses nacfi Personen und Verhältnissen. Alles in allem ist das Wesen der Bafiöti kurz folgendermassen zu kennzeichnen: Phantastisch, unentschlossen, fahrlässig, dauernder Anstrengung abhold, doch sehr redegewandt, mit guter Fassungskraft und trefflichem Gedächtnis begabt. Heiter, empfänglich für Komisches, geEigenart der Bafiöti. 53 sellig, gutmütig, zügellos in der Erregung. In verblüffendem Gemisch zartsinnig und roh, gefühllos und mitleidig, feig und verwegen, habgierig und verschwenderisch. W^eder absichtlich grausam noch blutdürstig, kaum nachtragend oder rachsüchtig. Eitel, sauber, manierlich, auf Anstand haltend. Sie ehren das Alter, loben die Gerechtigkeit, tadeln Lüge, Geiz, Gemeinheit, fürchten die Schande und halten die Freundschaft hoch. Gross ist ihr Familiendünkel, gross die Liebe zu ihren Kindern, grösser, an Verehrung grenzend, die Liebe der Kinder zur Mutter. Ein Volk besteht aus einem Gemisch von Persönlichkeiten. Wenige führen, die übrigen folgen. Wie anderswo gibt es in Loängo Gemeine und Vornehme, Kluge und Dumme, Gute und Schlechte. Wie anderswo wird getäuscht, verraten, gestohlen, verführt, vergewaltigt, falsch geschworen, totgeschlagen; es werden Roheiten und Nichtswürdigkeiten verübt. Aber Übeltaten sind nicht mehr als bei uns allgültig zu nehmen. Das Wichtige für die Beurteilung eines Volkes ist nicht, was bei ihm geschieht — wo bliebe sonst unsere gepriesene Kultur —, sondern wie das Geschehene von der Gesamtheit aufgefasst wird. Danach ist den Bafiöti kein schlechtes Zeugnis auszustellen. Wobei nicht zu vergessen ist, welchen verderblichen Einflüssen sie ausgesetzt gewesen sind, wie schändlich und grausam von europäischen Sklavenhändlern und Sklavenhaltern unter ihnen gehaust worden ist. Sie haben ihre Tugenden, die sie freilich als solche nicht zu rühmen pflegen, vielmehr ausüben, weil es sich so gehört. Wenn sie ihre Ideale zu nennen wüssten, wären es die folgenden: satt sein, recht viel gelten, ehrsam beerdigt und lange betrauert werden. Die Selbstsucht, die aber weniger der Person als dem Verwandtenkreis gilt, beherrscht ihr Sein. Haben wollen sie, immer haben. Alles dreht sich ums Haben mit dem unverblümten zähen Begehren unserer Kleinleute und Bauern. Doch wissen sie weder, dass sie selbstsüchtig sind, noch trachten sie, es zu verbergen. Sie denken gar nicht daran, uneigennützig zu erscheinen. Der Starke nimmt, der Schwache gibt. Der Grosse ist der Esser, der Kleine wird aufgegessen. Diese uralte, alles beherrschende Lebensordnung ist auch ihre Ordnung, offen, ungeschminkt. Woraus folgt, dass sie eigentlich bloss verteidigungsfähigen Besitz anerkennen, was sich übrigens gerade so gut von Zivilisierten behaupten lässt. Denn wie anders lägen alle Verhältnisse, wenn jeglicher Besitz unantastbar wäre. Es gäbe ja keine Weltgeschichte mehr. Die Leute erstreben Macht, die Familienbande und genossenschaftliche Bünde verleihen. Die Schwachen hängen sich an die Starken. Die Gemeinschaften halten fest zusammen. Der Mächtigste ist wieder abhängig von seinen Leuten. Das erstaunlich ausgeprägte Rechtsgefühl des Volkes dämpft die Willkür. Gewalttaten erregen unliebsames Aufsehen und


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