Heimat und Besitz, um gewohnte Rechte geht. Darüber zu klagen, heisBt mehr beschönigen und anschuldigen als urteilen. Unbeschadet der guten Absicht muss man doch auch verstehen, mit Menschen umzugehen, sich Verhältnissen anzupassen sowie von, überlieferten Ansichten, von europäischer Herrlichkeit und Selbstbespiegelung z» befreien und unbefangen zu vergleichen. Es ist ja viel Schönes um wohlformulierte Sittlichkeitsbegriffe. Leider dienen sie weniger der Selbstzucht, als dass sie verleiten, die eigene Vortrefflichkeit nach Reden, die Mangelhaftigkeit anderer nach Handlungen einzuschätzen. Menschliche Zustände sind überaus verwickelt und parteiischer Deutung offen. J e nach Stimmung. Es fällt nicht schwer, das nämliche Volk als gut oder als schlecht zu beschreiben. Was werfen entzweite Zivilisierte einander vor, lassen kein gutes Haar aneinander, und wie loben sie sich wieder, wenn alles nach Wunsch geht, wenn sie sich brauchen. So die Leute, so die Völker. Rur die Primitiven kommen nicht zu Worte. An ihnen bleibt alles hängen. Sie . sind wehrlos gegen, üble Nachrede wie gegen verbesserte Tötungsmaschinen. Deswegen handelt es sich nicht bloss um die, über die berichtet wird, sondern auch um den, der berichtet. Wobei 6ich herausstellt, dass in der Regel der am mildesten über Eingeborene denkt, der am längsten mit ihnen lebte. Denn solange Primitiven nicht Unrecht angetan wurde, ist man ganz gut mit ihnen ausgekommen, und Entdeckern sind alle freundlich gewesen. Erst spätere Besucher haben die Sünden von Vorläufern zu büssen. Wer es eilig hat, flüchtig obenhin geht, wer Zwang ausübt, muss andere und einseitigere Eindrücke empfangen als einer, der jahrelang und harmlos mit Eingeborenen haust. Ihr geistiges Vermögen zu ergründen, ist um so schwieriger, je einfacher die Zustände erscheinen, weil eben darum der Beobachter die Leute leicht unterschätzt. E r kennt weder ihre Sprache noch ihre Denkweise noch ihre Einrichtungen, und trägt hergebrachte Gedanken hinein. E r verfolgt ihr Treiben, aber versteht nicht ihre Beweggründe. Sie begreifen ihn nicht, können ihn nicht aufklären. Und wo sie es könnten, da mögen sie nicht. Weshalb sollten sie gegen den Fremdling offenherzig sein? Widersinnig, höchst verdächtig erscheint ihnen sein Umherspüren und Aushorchen. Es ist itnen mindestens unbequem, stört und reizt sie, vergrössert ihr Misstrauen. Halb muckisch, halb ratlos stechen sie Fragen durch Gegenfragen. Ganz wie daheim. Da ungewohnte geistige Anstrengung sie rasch ermüdet, ihnen, wie sie stets klagen, Kopfschmerzen verursacht, wird es selbst den Willigsten und Begabtesten bald wüst zumute. Danach sind ihre Auskünfte beschaffen. Welche Irrtümer und ganze Reihen falscher Schlussfolgerungen aus Angaben erschöpfter, verdrossener, mutwilliger oder den Sinn der Fragen nicht einmal ahnender Leute entspringen, wird der gar nicht gewahr, der vorzeitig mit seinen vermeintlichen Schätzen heimkehrt. Natürlich denken die Leute für sich, nicht für den Fremdling. Seinetwegen hält ihre Aufmerksamkeit nicht lange vor. Das ist nicht böser Wille. Sie können schlechthin nicht anders. Sie benennen nicht einen Gegenstand, eine Handlung, sondern begutachten vielleicht Form, Tauglichkeit, oder sagen, was ihnen sonst dabei ein- oder auffällt, und wäre es die Nase des Fragestellers. Noch ärger in abstrakten, in religiösen Dingen, wo Verständigung von vornherein für Jah r und Tag ausgeschlossen ist. Denn über die Hauptsache vermögen die Leute Rechenschaft nicht abzulegen. Infolge verfehlter Fragsteilung, die der Dolmetscher steigert, verirren sie sich in den wunderlichsten Gedankengängen, erzählen kraus durcheinander, wie ihre lebhafte Einbildungskraft waltet. Nichts wird klipp und klar erledigt. Das ist der natürliche Gang und bei unserem Landvolk, obschon schwerfälliger, kaum anders. So ist ihre Weise. Mag sie ärgern oder belustigen, man hat geduldig aufzumerken und nichts vorschnell zu verwerfen. Zunächst nicht, weil all der Wust doch ihren Köpfen entstammt und ihr geistiges Vermögen kennzeichnet, sodann nicht, weil des Brauchbaren genug darin steckt, obschon es nicht dem Zwecke dienen mag, um den es sich gerade handelt. Die Kunst ist, es herauszufinden und es schicklich zu verwenden. Der Forscher wird nur zum kleinsten Teil erleben, was zur Sache gehört. Gefahren und Abenteuer, so wirksam bei Hörern und Lesern, kommen nicht in Betracht. Das Beste wird erlauscht, den Hauptgewinn liefert sprungweise der Zufall. J e mehr er nun vertraut wird mit Sprache und Lebensführung seiner Menschen, und je mehr sie ihm trauen, je mehr er prüft, vergleicht, an Einsicht gewinnt, desto mehr Ungenügendes oder Falsches muss er ergänzen oder verwerfen. Endlich kommt der Tag, wo er sich aufraffen muss, rüstig wieder von vorne, nämlich mit der Berichtigung des Verarbeiteten anzufangen. Zu vieles ist anders, als er nach Lehre und Regel erwarten konnte. Hat er sich derartig manches J a h r bemüht, so leuchtet ihm erst recht ein, wie beunruhigend lückenhaft die Ergebnisse sind. Es steckt so viel mehr in den Leuten, als der Forscher, und wäre er der klügste, in reichlich bemessener Zeit zu ergründen vermag. Immerhin hat sich so viel ergeben, dass vielerlei vom Erkundeten und nachher Abzuhandelnden nicht mit verbreiteten Auffassungen übereinstimmen wird. Solches Abweichen pflegt zu missfallen, wo Theorien zu verteidigen sind. Die zusammengefassten Ergebnisse unmittelbarer praktischer Untersuchungen werden leicht geringer eingeschätzt als die Ergebnisse eifriger Denktätigkeit, die sich mit Schaustücken und i *
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