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genommen, auch von Unbeteiligten, denn daraufhin kann, falls nachmals etwas Übles sich ereignet, eine Anklage auf böswillige Hexerei erhoben werden. Schimpferei gilt für unanständig. Manche Gebärden mögen verschiedene Bedeutung haben. Der Ausdruck der Gemütsbewegungen im Antlitz ist bei allen Menschen gleich. Die reizvolle Mienensprache ist eine uralte Weltsprache, die einzige, die alle Menschen verstehen und die häufig offenbart, was Worte verbergen sollen. Freilich kommt, bei den Bafiöti vieles auffälliger heraus als bei uns. Es ist viel Bühnenmässiges in ihrem Gebaren. Auch klagen, schreien, weinen, lachen sie mehr in homerischer Weise, weil sich das so gehört. Das Alter ist verhaltener als die Jugend, die sich mehr gehen lässt und ganz gern einmal übertreibt. Über recht Lustiges können die Leute Tränen lachen, immer wieder losplatzen, wobei sie sich gegenseitig zu überbieten suchen und sich den Leib halten. Wer tiefes Leid trägt, herzliche Trauer empfindet, hält sich einsam und weint sich aus. Man sieht hinter den vor das Gesicht geschlagenen Händen die Tränen rinnen. Bei öffentlichen Totenklagen werden freilich Tränen vergossen, weil der Brauch es so will. Meistens sind die Männer demonstrativer als die Weiber, vielleicht erscheinen sie auch nur so, weil sie die Beobachtung weniger scheuen und im öffentlichen Leben mehr hervortreten. Vor nicht langer Zeit erklärte ein Fachmann in seinem Lehrbuche wörtlich, dass die Neger eine viel geringere geistige Begabung als die übrige Menschheit besässen, dass sie sich zwar abrichten, aber nur selten wirklich erziehen liessen. Wie unheilvoll wirken solche Behauptungen. Man meint Verbündete der alten Sklavenhalter und andere Leute zu hören, die allerlei zu bemänteln haben. Pflegen doch Menschen sich zu rechtfertigen, indem sie denen, die sie vergewaltigen, Schlimmes nachsagen. Die Geistesbeschaffenheit, die Veranlagung von Primitiven ist doch viel zu wenig untersucht worden, als dass darüber abschliessend geurteilt, dass von höheren und niederen Bassen, von kennzeichnendem Zusammenhänge körperlicher und geistiger Merkmale oder gar von einer Prädestination gehandelt werden könnte. Auch im Zivilisierten steckt noch sehr viel vom Wilden. Beide trennt nur eine Spanne Zeit. Unsere Altvorderen haben ebenfalls Missionare umgebracht. Und vormals, als andere Völker schon geleistet hatten, was die Grundlage unserer Ausbildung geworden ist, was heute noch emsig durchforscht und bewundert wird, sind sie schwerlich eine bessere Art von Wildvolk gewesen, als gegenwärtig auf Erden lebt. Was ihre Nachkommen begangen haben, trotz Christentum und gerühmter Kultur, das lehrt die Geschichte. Ebensowenig wie sich Jahrhunderte und Jahrtausende in Jahrzehnte verdichten lassen, ebensowenig werden sich Afrikaner schneller als die Vorfahren ihrer Beurteiler zu anderer Weltanschauung und Lebensführung bekehren lassen, selbst wenn man sich einsichtsvoll darum bemühte. Aus Nächstenliebe geht zu ihnen doch nur der Missionar. Welche Aufgabe ist es, unsere eigenen Kinder zu schulen, unsere Bekruten auszubilden. Wie schwierig ist es überhaupt, uns Persönlichkeiten zu erziehen, obschon sie unter uns geboren sind und inmitten unserer Einrichtungen aufwachsen. Wie soll da der einfältige Mensch den vielfältigen, der Primitive den Zivilisierten begreifen, wie soll er Ansprüchen genügen, die zunächst unvereinbar Bind mit seinem Dasein und mit seinem Vorstellungsvermögen? Da sind Misserfolge nur natürlich, beweisen aber durchaus nicht die Unfähigkeit. Sie liegen mehr im Ungeschick des Vorgehens und in den Verhältnissen als in der Begabung der Menschen. Was einem gut dünkt, dient anderen darum nicht zum besten, nicht einmal innerhalb, viel weniger ausserhalb der eigenen Gemeinschaft, und was draussen anders erscheint, ist deswegen noch nicht verwerflich. Daheim, wo es doch viel schwerer wiegt, liegt noch genug im argen, ist noch so sehr viel zu bessern. Wenn wir aufzurechnen vermöchten, wieviel unter Zivilisierten allstündlich gegen Becht, Menschlichkeit, Ordnung und Sittlichkeit gesündigt wird! Und abgesehen von allem Schlimmeren, das doch grossenteils verborgen bleibt: Wie wird unter uns im täglichen Verkehre geklagt über Faulheit und Dummheit, über Boheit und Hinterlist, über Unzuver- lässigkeit, Unredlichkeit und schlechte Gesinnung. Wie wird über das Gesinde geseufzt, das, obgleich unter Schulzwang und erzieherisch wirk e n d e n Verhältnissen aufgewachsen, so wenig geneigt und fähig ist, sich dem Willen der Herrschaft anzubequemen und zu tun, was geheissen worden ist, was der einfache Menschenverstand verlangt. Die Lamentationen draussen und daheim verärgerter Leute gleichen sich überraschend. Das sollte man Afrikanern zugute halten. Um wieviel schwieriger und verwickelter müssen sich die Angelegenheiten gestalten, wo der Widerstreit der Interessen verschärft wird durch verschiedenartige Vörstellungskreise und durch mangelhafte Verständigung. Wie leicht geht das Urteil fehl, wo der Abstand zwischen Erhofftem und Erreichtem oft entmutigend gross ist, wo Entbehrungen und klimatische Einflüsse die Beizbarkeit steigern, Verdrossenheit und Verbitterung, sogar Widerwillen und Hass erzeugen. Es kann gar nicht anders sein, als dass Afrikaner, überhaupt die Primitiven lernen, den Zivilisierten zu misstrauen, dass sie sich dem Willen beliebiger Fremdlinge, selbst wenn sie ihn begriffen, nicht fügen. Wer ihre Kreise stört, muss Widerstand gewärtigen, zumal wo es um 4


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