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Wo flüchtiges Wild, wie der Vogel in der Luft, überhaupt keine Veränderungen am Boden oder in der Vegetation hinterliess, weder Blatt, Halm noch Steinchen verrückte, noch Drucker, Schramme, Glättung hinterliess, da ist auch der Meister mit seinem Witz zu Ende, sei er, wer er sei. Aber der Wilde hat Zeit. E r ermüdet nicht so leicht und will essen. So schliesst er, die Gewohnheiten der Tiere kennend, wo etwa auf günstigerem Boden die Fährte wieder gefunden werden könnte. E r beginnt zu kreisen, läuft stundenlang hin und wieder. Hat er auch damit kein Glück, regnet oder schneit es gar, so gibt er schliesslich die Nachsuche auf. - Handelt es sich um ein Stück Wild, das man um jeden Preis haben möchte, so bleibt nur übrig, geduldig zu warten, bis am Tage die weitsichtigen Aasvögel oder in der Nacht die lärmenden Raubtiere verraten, wo es steckt. Daheim und in Indien dient in verzweifelten Fällen als letztes Hilfsmittel eine Dorf herde, die langsam durchs Dickicht getrieben wird und durch ihr Gebaren den Fund anzeigt. Übrigens werden viele Fehlsuchen gerade durch die Eingeborenen selbst verschuldet. Falls es sich nicht um wehrhafte Tiere handelt, wobei sie dem Europäer gern den Vortritt lassen, warten sie nämlich nicht, bis angeschossenes Wild sich niedergetan hat und todkrank geworden ist. Fleisch ist ihnen zu verlockend. Hat man seine Leute nicht fest in der Hand, so gehen sie nach dem Anschüsse los wie schlecht abgeführte Hunde, folgen der warmen Rotfährte und machen das Wild wiederholt hoch. Nachher geht bekanntermassen die Hatz ins Unendliche und oft über die Kräfte. Unter den Bafiöti haben wir nur etliche tüchtige Jäger gefunden, aber auch diese huldigten der Unsitte, angeschossenem Wilde sofort nachzusetzen. Dann galt es mitzulaufen, denn sonst feuerten sie, auch um ihr Jagdrecht zu wahren, sicherlich noch ihre überladenen Gewehre aus nächster Nähe selbst in ein schon verendetes Tier ab, und verdarben- Fell wie Braten. Ähnlich wie mit der Scharfsichtigkeit der Wilden verhält es sich mit ihrem Ortssinn. Was wir so nennen, ist Ortsgedächtnis, ist eine erworbene Fähigkeit, die auf einem lebhaften gegenständlichen Erinnerungsvermögen beruht, auf einem Wiedererkennen unzähliger Einzelheiten, wodurch das Zurechtfinden im Raume ermöglicht wird. Es handelt sich demnach vorzugsweise um richtiges Sehen und Auffassen, manchmal auch zugleich um Riechen und Hören, um Anspannung aller Sinne. Dazu kommt noch das gewohnheitsmässige Einprägen und Abschätzen der Richtungen, die abwechselnd verfolgt worden sind, unter Beachtung des Windes und Wolkenzuges, der Gestirne, des Laufes fliessender Gewässer. Im Freien, bei weitem Blickfelde kommt man natürlich besser zurecht als im Walde und Dickicht, wo die Aussicht beschränkt ist und heim Hin .und Zurück zwei Seiten der Gegenstände vor Augen treten. Da helfen vielfach an Standorte gebundene Leitpflanzen oder künstliche Marken, geknickte Zweige und von Stämmen geschälte Rindenstücke. Wie der Grossstädter in den Strassen, der Förster im Walde, findet sich der Eingeborene in seiner Wildnis zurecht. Gelangt er darüber hinaus ins Unbekannte, dann verfolgt er nötigenfalls seine Spuren rückwärts. Vermag er dies nicht, ist er in gänzlich fremde Gebiete geraten, fehlen ihm alle fernen Landmarken-, so kann er sich gründlich verirren. In der Regel verliert er in solcher Lage den Kopf vollständig und- wird gänzlich unbrauchbar. Ich habe Eingeborene im Gefühle des Verlorenseins wie wahnwitzig gegen Busch und Gras anspringen sehen, als wollten sie sich gewaltsam aus der Irre befreien. Dann ist es Zeit für den Reisenden, der sich überhaupt niemals Führern sorglos überlassen; sollte, selbst sein Glück zu versuchen. .. j Höher als der beschriebene Ortssinn steht das Richtungsgefühl, der sogenannte Richtsinn, worunter indessen kein sechster Sinn oder, wie manche es wollen, die von Kompassmenschen reden, eine geheimnisvolle, von der Erfahrung unabhängige Kraft, sondern nur der vollendet ausgebildete Ortssinn zu verstehen ist. Wer es so weit gebracht h a t, verirrt sich nicht mehr. E r wird zwar nicht mit unfehlbarer Sicherheit zu einer gewissen Stelle gelangen, aber doch stets die Richtung einschlagen, die ungefähr zu dem erstrebten Ziele führt. Am Tage, bei verlässlichem Winde und Wolkenzug, oder wenn. Gestirne ihm leuchten, will das wenig besagen, desto mehr bei stillem Wetter, bei bedecktem Himmel, im Nebel, wenn es regnet oder schneit, in stockdunkler Nacht. Sich unter . solchen Verhältnissen in Wüste oder Wald, in Blachfeld oder Gefelse zurechtzufinden, ist eine Meisterleistung. Im Gedächtnis derartig Begabter haften eben gegenständliche Eindrücke und räumliche Beziehungen dermassen fest und folgerichtig, dass sie ihrem Ziele zustreben können, ohne sich wesentlich zu irren. Eine Kunst ist es, kein angeborener sechster Sinn. Immerhin versagt nach meiner Erfahrung diese Kunst vollständig bei schwerem Sturme, natürlich erst recht bei Staub, Schnee oder Regen. Und zwar nicht bloss beim Ankämpfen gegen den Wind, was die Körperkräfte rasch verbraucht, sondern auch beim Bewegen mit dem Winde oder wenn man irgendwie untergekrochen ist. Der Aufruhr und das Getöse, der schütternde Boden lähmen und verwirren die geistigen Fähigkeiten. Mit gutem Ortssinn begabte Menschen scheinen weder schwindelig noch seekrank zu werden. Das allgemein Gesagte gilt uneingeschränkt auch für die Bafiöti. Gesunde Augen sind unter ihnen nicht scharfsichtiger als unter uns. Kurzsichtige, Weitsichtige, Schwachsichtige kommen vor. Verirrte haben


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