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Thieren an zwanzigtausend Menschen zum Opfer fallen sollen. Drei Viertheile dieser Verluste werden gegenwärtig Giftschlangen zur Last gelegt, denn die Schreckensthaten der Tiger, mit denen man ehedem Grausen erregte, sind durch das einmüthige Zeugniss zahlreicher Sportsmen, deren mancher Hunderte erlegt hat, auf ein bescheidenes Mass herabgesetzt worden.*) Die angeführte Zahl erscheint allerdings furchtbar hoch, gewinnt jedoch eine andere Bedeutung, wenn sie, im rechten Sinne verwendet, der Gesammtzahl der Bevölkerung gegenüber gestellt wird. Mindestens hundert Millionen Menschen bewohnen die Gebiete, deren Verluste einbegriffen sind; alljährlich finden demnach von einer Million Menschen höchstens zweihundert ihren Tod durch wilde Thiere. Dieser als der äusserste aller Länder berufene Tribut, welchen das Thierleben der Wildniss an Menschen einfordert, vermag unsere Phantasie noch weniger aufzuregen, wenn verglichen mit den traurigen Ergebnissen, welche der Entwickelungsgang der Cultur unter uns zeitigt: Im Königreiche Sachsen enden während desselben Zeitraumes und von der nämlichen Anzahl doppelt so viele Personen allein durch Selbstmord. Und wie viele fallen in Culturländern den Betriebsmitteln der Industrie direct und indirect zum Opfer? Könnte der Indier, wenn er ungenau unterrichtet würde, seine Wildnisse und Bestien nicht für ungefährlicher halten als unsere Cultur? Man ist überdies berechtigt, die Richtigkeit jener Angaben zu bezweifeln. Denn wissenschaftliche Untersuchungen über Schlangen und die Wirkungen ihres Giftes geben blos Aufschluss über den Schaden, den sie verursachen kön n en. Die Belege über die that- sächliche Grösse desselben sind auf anderem W ege zu beschaffen. Sicher aber ist Statistik in Indien nicht Statistik in unserem Sinne; wäre sie es, so hätte sie zunächst die wichtigere Aufgabe zu lösen, nämlich die Anzahl der Personen festzustellen, welche elend Hungers sterben, aus Mangel an genügender Nahrung zu Grunde gehen. Deren • U n s beunruhigen diese U n g lü ck s fä lle n ich t , w e il w ir mit den Verhä ltnissen vertraut sind; wenn aber Jemand, de r diese E in s icht nicht besässe, led ig lich jen e Berichte kennen lernte, würde er nicht unsere treuen Hausthiere für recht gefährliche Geschöpfe halten müssen ? *) A u s der erstaunlichen Menge von T ig ern wird immer nur de r eine und andere zum Menschenfresser — man -ea te r und verbreitet Entsetzen in je einem bestimmten D is t r ic te ; da er ba ld genau bekannt und ausgekundschaftet wird, findet er in der R e g e l b a ld seinen Meister. D ie übrigen nähren sich von den v ielfa ch altersschwachen und überzähligen R in d e rn sowie kle ineren Hausthieren der Indier — c a t t le - lif te r — oder von W ild — g am e -k ille r . D ie letzteren sind nützlich und verdienen eine verständige Schonung — die Eingeborenen sind keineswegs erfreut über das Niederschiessen a lle r T ig e r r^-ty da ihre Lebensweise wesentlich dazu b e iträ g t , die Ern ten zu sichern, die F e ld e r vor Verw üstun g dureh die unzähligen Hirsch e und Schwe ine zu bewahren. sind aber viel mehr als die, welche durch die oben genannten Thiere umkommen. Die Ermittelungen werden vorzugsweise von niederen Regierungsbeamten, von eingeborenen Dorfvorstehem eingezogen und zwar in Gebieten, die grösstentheils als Wildnisse zu betrachten sind. Eine genaue Ueberwachung des Treibens der Bewohner, eine Feststellung der Anzahl und namentlich der Ursachen vorkommender Todesfälle ist vorläufig nicht durchzuführen. W o es geschehen kann: bei den allenthalben verstreuten Truppen, auf den zahlreichen Pflanzungen wie bei allen Märschen und Jagdzügen, .da entsprechen die Erfahrungen nicht der allgemeinen Annahme, -r-' - ’ Die einzige grosse und dauernde Sorge des Reisenden in der Wildniss ist. die um Beschaffung der Nahrungsmittel; die schlimmste Plage, die schier unerträglich werden kann, ist die der winzigen Thiere, der Insecten; die einzige allgegenwärtige Gefahr in Tropenländern ist, die des Klimas. Die Furcht vor Schlangen, Skorpionen und anderem giftigem Gewürm verliert selbst der Aengstlichste überraschend schnell; die blutgierigen grösseren Raubthiere wird er in den meisten Fällen gar nicht zu Gesicht bekommen. Huldigt er aber dem Waidwerk, so gewinnt er in Folge seiner Bemühungen sehr bald die Ueberzeugung, dass sie ihm äusserst schlau und vorsichtig aus dem W eg e gehen, dass Hel- denthaten kaum zu verrichten sind. Wenn nicht der Zufall ihn ungewöhnlich begünstigt, vermag er sie nur mit Hülfe einer kleinen Armee von Treibern, oder auf klug vorbereitetem nächtlichem An stande zu erlegen. Die Mitglieder der Loangoexpedition sind während dreier Jahre niemals Augenzeugen eines durch Thiere verschuldeten Unglücksfalles gewesen*). An Gelegenheit dazu hat es nicht gefehlt, denn Giftschlangen sowie Krokodile sind in Menge, Leoparden wenigstens noch in ziemlicher Anzahl vorhanden. Dagegen haben wir mehrere glaubwürdige Berichte erhalten, welche hier zusammengestellt werden sollen, weil sie besser als allgemeine Behauptungen geeignet sind, das Gebaren der schädlichen Thiere zu chärakterisiren und die Seltenheit schlimmer Ereignisse zu bestätigen. — Die Leoparden sind schlaue Räuber, die, wo sie sich einmal eingenistet haben, mit grösser Frechheit Schafe, Ziegen, Hunde und Federvieh stehlen. Die Eingeborenen fürchten sie nicht weiter und *) Ich habe b ish er überhaupt b los drei Menschen durch w ild e T h ie re, und zwar nur durch gereizte umkommen sehen. Zw ei wurden durch Schwanzschläge harpunirter W a le zu Tode getroffen, einer wurde von einem verwundeten Eisbären getödtet.


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