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Am folgenden Morgen war es kein kleines Geschäft*, die müde getanzten Träger zu wecken, was bereits um halb fünf geschah. Die Besorghiss, Mani Mbandschi könnte bei längerer Ueberlegung ändern Sinnes werden, machte die höchste Eile zur Pflicht, und ich verabschiedete mich von dem „guten Prinzen“ gegen sechs Uhr. Er trug einen noch abscheulicheren Filzhut, als am Tage zuvor, und sah aus, wie das böse Princip. Es war einer der herrlichen Morgen, die auch wir an unsern heissen klaren Hochsommertagen kennen lernen. Die Landschaft zeigte die ganze Pracht eines Waldgebirges von der Grossartigkeit, wie Deutschland ■ sie in dem Schwarzwald entwickelt hat; tief eingeschnittene, weit erstreckte Thäler, von der Sohle bis zu den Kämmen mit Hochwald bestanden, beherrscht von dem schroffen felsigen Nsumiberg und mehreren ändern, das dunkle Grün durchbrechenden Kuppen und Spitzen gaben ihr das Gepräge. Ein halbstündiger Marsch bergab brachte uns an die im Grunde des Thals gelegene „Pforte“. Dieses berüchtigte Thor führt durch einen, das Thal versperrenden Palissadenzaun, und wurde von dem verschmitzten Mani Mbandschi zur Erpressung eines Zolles von den aus Yangela kommenden Kautschuk-Karawanen errichtet. Ein Bevollmächtigter öffnete das Thor, und wir überschritten den klaren, felsgebetteten Lukumba, einen Nebenfluss des Kuilu. Zur Linken lag das kleine Dorf Mbuku, einer ältlichen Prinzessin gehörig, der selbst die kunstvolle Tätowi- rung keine Reize mehr verleihen konnte. Das freie, nur mit Kräutern, Gestrüpp und Ananashecken bestandene Terrain wich sehr bald wieder dem Walde, dessen Halbdunkel uns nun von Neuem aufnahm. Wir hatten ausser dem Lukumba noch den Tschisafo zu kreuzen. Beider Thäler sind tief und steil eingeschnitten und haben felsige Seitenschluchten, in denen Talkschiefer zu Tage steht. Farne und Moos bekleiden die Wände und erhöhen das Romantische der Umgebung. Der Weg ist steinig und wurzelreich, dabei so steil, dass wir . einmal in dreizehn Minuten mehr als neunzig Meter stiegen. Wie gut also, dass meine Kräfte mit der letzten Nachtruhe zurückgekehrt waren. Und nun stand eine herrliche landschaftliche Ueberraschung bevor. Wir erreichten nach dreistündigem Marsch eine Wald wiese, die zu den oberen Hängen der linken Uferberge des Kuilu gehört, und- sahen aus einhundertfünfzig Meter Höhe in das romantische Thal hinab; tief unten wälzte der Fluss seine Wasser in vielfachen Windungen zwischen den dicht bewaldeten Bergen hin. Wer je vom Katzenbuckel in’s Neckarthal hinab gestiegen ist, dem mussten hier Reminiscenzen wach werden. Nur sind die Berge des Kuilu höher, und die ganze Landschaft hat einen wilderen, unzugänglicheren Charakter. Man erspäht keinen Pfad am Ufer, kein Dorf, das die grosse Einsamkeit unterbricht, kein Canoe, das die schimmernde Fläche belebt; unentweiht fliesst der Fluss, zwischen unentweihten Ufern. Der Weg verliess bäld die eben erreichten Kuilu-Höhen und zog sich wieder landeinwärts. An der Grenze der Landschaft Nkongo, dem Uebergangsgebiet von Mayombe nach Yangela, wurde gerastet und zwar an einem Platze, den die Karawanen des vorhandenen Wassers und der Lichtung wegen gern benutzen; in einige Bäume waren zwar keine Namen oder Initialen, wol aber verschiedene menschliche Gesichter eingeschnitzt. Der Platz erschien ausserordentlich behaglich, und ich hätte am liebsten den Rest des Tages daselbst zugebracht, um in voller“Ungestörtheit mein Tagebuch zu schreiben und die Notizen zu ordnen, aber der jähe Wechsel des Wetters trieb zu eiligem Aufbruch. Unter heftig stürmendem Winde, der die Zweige von den Aesten brach, die Bananen knickte, begann der.Regen, und die schmalen, furchenartigen Negerpfade wurden zu eben so vielen Rinnsalen. Trotzdem war es ein Genuss, in der rasch abgekühlten Luft munter vorwärts zu gehen, und so erreichte ich im Laufe des Nachmittags, völlig durchnässt, aber vergnügten Sinnes das Dorf des Tschi- kossu, während für meine Träger das Vergnügen erst anfing, als sie am hellen Feuer sasseri. Denn die Neger' sind fast ausnahmslos sehr empfindlich gegen Regen und vermeiden ihn, wo sie können. Das Dorf lag im Walde, es war noch im Bau begriffen und machte einen sehr unbehaglichen Eindruck, weil die gefällten Stämme mit Aesten und Zweigen kleine Verhaue zwischen den Hütten bildeten. Die Wände sah ich zum ersten Mal aus Baumrinde hergestellt, innen mit Blättern ausgefüttert. Der Regen fiel ununterbrochen, aber die Begierde den weissen Mann zu sehen, hatte trotzdem Scharen von Männern und Frauen aus der Umgegend in’s Dorf geführt, und ich wurde, als ich dann der Ruhe pflegen wollte, von meinem Factotum Nduli mit den Worten geweckt: die Weiber seien da, den Weissen zu betrachten, ich möchte aufstehen und mich zeigen. Das Abend-Palaver mit dem Häuptling Tschikossu stand dem der verflossenen Nacht an Unannehmlichkeit nicht nach. Der Dorfherr war natürlich nicht zufrieden, mit dem, was ich ihm anbot, und- er drohte mir, mit Gewalt zu nehmen, was ich nicht gutwillig geben wollte. Ich besass nur eine einzige Büchse, einen Snyder-rifle, den Herr Reis mir geliehen hatte; um so stärker wappnete ich mich mit meinem Zom und rief dem feindseligen Schwarzen zu: er könne thun, was er wolle; ein Weisser habe keine Furcht, er möchte nur kommen. Tschikossu zog murrend mit dem Geschenk ab, das ich für ihn be


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