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92 Die Zeit der kleinen Regen. Gräber von Weissen, durch ihre Verwahrlosung einen traurigen Eindruck hervorbringend. Dann tritt eine plötzliche Veränderung der Landschaft ein. Die Küste fällt in einiger Entfernung vom Strande steil, zuweilen senkrecht ab und zeichnet sich durch rothe und gelbe, sehr lebhafte Färbungen aus sowie durch die pittoresken Formen, die in Folge der Auswaschungen entstanden sind. Die Entwickelung ist hier grossartiger, als bei den Steilabfällen zwischen Banana und Muanda; indess kommt ihr nur ein episodenartiger Charakter zu, denn bald wird die Küste wieder flach und behält diese Gestalt bis zum Kuilu bei. Es bot sich Nichts, was das Auge hätte fesseln können, und da der Strand schlecht war, so bestieg ich die Hängematte und vergnügte mich damit, den Himmel zu betrachten. Wie anders erschien er jetzt als sieben Wochen zuvor auf der Reise nach Landana. Damals standen wir noch in der kalten Nebelzeit, jetzt aber waren wir in die heisse Zeit, in die Zeit der „kleinen Regen“ eingetreten. Freilich hatte die Dürftigkeit der ersten Niederschläge es verhindert, dass die Vegetation sich in ihrer ganzen Herrlichkeit entfalten konnte, aber heiterer war die Jahreszeit doch trotz Hitze und zu befürchtender Regen. Das Meer erschien ruhiger, seine Färbung minder melancholisch, und der im tieferen Blau erstrahlende Himmel zeigte nun jene prachtvoll zusammengeballten Haufenwolken, die durch alle Nüancirungen Von Grau und Weiss so graciös und duftig in sich gegliedert erscheinen. Allmählich ertheilt ihnen das sinkende Tagesgestirn, das uns zur Mittagsstunde scheitelrecht zu Häupten gestanden hatte, andere und gesättigtere Farben; und geraume Zeit, nachdem die Sonne bereits in’s Meer getaucht ist, bewundern wir noch die Lichteffecte, die sie an ihnen hervorbringt. Unter solchen Eindrücken erreichte ich den Kuilu. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, als ich den stattlichen Fluss zum ersten Male erblickte. Eine elende Factorei erhob sich am linken Ufer, etwa eine Viertelstunde von der Mündung entfernt. Ihr gegenüber, in der Nähe des rechten Ufers, auf einer langgestreckten Insel, lag ein weit stattlicheres Gehöft, die Factorei des Shr, Reis, Agenten des holländischen Hauses. Dorthin liess ich mich noch an demselben Abend übersetzen und bat um Gastfreundschaft. Sie wurde mir nicht nur bei diesem ersten Besuche, sondern später zu wiederholten Malen im weitesten Sinne des Wortes gewährt. Auch meinen Gefährten wurde auf ihren Reisen Aehnliches daselbst zu Theil, und wir erinnern uns alle mit derselben Dankbarkeit, wie sehr wir Herrn Reis verpflichtet sind. An der Mündung des Kuilu. 93 Ohne die Hülfe meines Gastfreundes hätte ich nicht vermocht, schon nach wenigen Tagen die geplante Reise flussaufwärts anzutreten. Den kurzen Aufenthalt auf der Insel benutzte ich zu kleinen Flussexcursionen, zur Ausmessung der Breite des Stromes, zur astronomischen Bestimmung der Position der Factorei sowie zur Re- gistrirung der widersprechenden Angaben gewisser Eingeborenen über die menschenfressenden Völker jenseits des Waldes. Ich wusste schon von Dr. Bastian, dass sich eine „Mayombe“ genannte Factorei flussaufwärts befände; nun hörte ich hier die erfreuliche Nachricht, dass Shr. Reis in allerjüngster Zeit noch oberhalb dieses Platzes einen anderen Handelsposten am Kuilu eingerichtet und unter die Reis’ Insel und Factorei. Leitung des schwarzen Lingster Makossu gestellt habe. Demgemäss nahm ich mir vor, bis zu diesem vorzugehen, daselbst mich festzusetzen, das Land, wenn es möglich wäre, nach allen Richtungen zu durchstreifen, weitere Erkundigungen einzuziehen und, wenn sich Leute zur Begleitung finden liessen, einen Vorstoss tiefer in’s Iniiere hinein, in nordöstlicher Richtung zu versuchen. Von der Factorei-Insel aus erscheint der Kuilu als stattlicher Strom von etwa dreihundertfünfundsiebzig Meter Breite. Beide Ufer sind dicht mit Mangrovegebüsch bestanden, das besonders kräftig entwickelt ist und mit seinem Laubdach die vielen durch das Dickicht führenden Canäle hoch überwölbt. Hier halten sich Chimpansen auf und


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