Page 59

27f 32-1

dessen forschendes Auge auf allen Welttheilen geruht hatte, diese neuen Verhältnisse. Gestützt auf die Resultate seines rastlosen Mühens und mit Hinzuziehung der von mir selbst gesammelten Informationen be- riethen wir, was zunächst für die geographische Exploration zu thun sei, und kamen überein, dass der Kuilufluss die erste Operationslinie werden sollte. Dem Kuilu wurde der Vorzug gegeben vor Tschikambo, das Dr. Bastian aus eigner Anschauung kannte, und vor Nkondo, von wo ich soeben zurückgekehrt war. In unseren Ueberlegungen spielten Muthmassungen und Voraussetzungen natürlich eine grosse Rolle, wir standen eben vor einem unerforschten Lande und konnten nicht wissen, mit welchen Mitteln, wenn überhaupt, das Ziel zu-erreichen sei. So trennten wir uns denn am elften October 1873, Dr. Bastian, um in der Heimat unsere Sache weiter zu führen, und ich, um dem. unbekannten Laufe, des Kuilu zu folgen und einen Weg in’s Innere ausfindig zu machen. Bei dem Wenigen, das ich aus dem Schiffbruche der „Nigretia“ gerettet hatte, nahmen die Reisezurüstungen nicht lange Zeit in Anspruch, und am sechzehnten October 1873 verliess ich die Station Tschintschotscho, die nunmehr für den Empfang der erwarteten Expeditionsmitglieder bereit war. Mein Weg führte mich nordwestlich, zunächst längs des traurigen verlassenen Strandes, wo man Nichts als Fächerpalmen sieht, nach Massabe-Tschibona. Der Luemmefluss wurde im Canoe passirt, und dann die Reise in derselben Einförmigkeit zwischen der wogenden Brandung und den Hyphaene-Beständen fortgesetzt. Erst bei Winga, jetzt berüchtigt durch die Ermordung des weissen Agenten und • das Niederbrennen seiner Factorei am siebenundzwanzigsten November 1874, entfernt sich der Weg vom Meere, • das man bei Pontanegra von Neuem erreicht. Hier findet sich eine grosse Anzahl von Factoreien, die im Jahre 1873 alle in Betrieb waren; nicht weniger als sechs Nationalitäten sind daselbst vertreten, nämlich Portugiesen, Spanier, Holländer, Deutsche, Franzosen und Engländer. Eine . eigenthümliche Veranlassung, die Gastfreundschaft eines Eingeborenen, hatte sie während meines Aufenthaltes sämmtlich an einem Tische versammelt. Der angesehene Neger Mufuka Thomas nämlich, der von den Weissen ver- trägsmässig regülirte Steuern erhebt, wünschte eine Erhöhung seiner Einnahmen zu bewirken und ärrangirte zu diesem Zwecke ein Frühstück im Freien, im Schatten von Palmen und Gajubäumen, wozu alle Factöreibesitzer geladen wurden. Nach reichlicher BeWirthung der Gäste (die Küche wär halb einheimisch, halb portugiesisch), hielt der Mufuka eine magnifique Rede, worin er in wahrhaft rührender Weise'"das Unrecht aüseinandersetzte, das ihm im Vergleich zu anderen besser dotirten Häuptlingen an anderen Puncten der Küste widerführe. Leider konnte ich dem Verlaufe der Unterhandlung nicht beiwohnen, weil Eieber mich unter Dach und Fach trieb. Dadurch wurde ein zweitägiger Zeitverlust verursacht. Im weiteren Verfolg des Weges hatten wir den für Loango bedeutsamen Songolö zu durchwaten, der in wechselnder Folge ein reissendes Wasser oder ein lagunenähnlicher Fluss ist, verliessen dann den Strand und bogen rechts in das Land ein. YWite Steppe, dürrer Boden, vereinzelt aufragende Hügel, zerstreute Baumgruppen, zuweilen Maniokfelder, ab und an in der Entfernung ein Dorf, blauer Himmel mit Haufenwolken, heisse, trockene Luft, grosse Stille — das war das Gepräge des stundenlang durchreisten Landes. Der Weg zog sich wieder zum Meere und führte zu einem Factoreiencomplex, der von den Weissen schlechtweg Loango genannt wird. Eine weite Bucht mit ruhigem Wasser gewährt hier den ankernden Schiffen mehr Sicherheit, als dieselben an den meisten Puncten der hafenlosen Küste finden, und Laden und Löschen ist mit geringen Verlusten verknüpft. Man hätte also erwarten dürfen, hier einen Centralpunct des Handels zu finden. Statt dessen sieht man eine Ansiedelung, welche alle Spuren des Rückgangs trägt und einen Beleg dafür liefert, dass die Launen, die vorgefassten Meinungen der Neger über die Gunst natürlicher Bedingungen triumphiren. Die Eingeborenen, welche Handelsbeziehungen mit Europäern unterhalten, fassen wechselnd für diesen oder jenen Ort der Küste Vorliebe und lenken den Absatz ihrer Producte dorthin. Ihre Handelsstrassen gleichen dadurch Flüssen mit wechselnden Mündungsarmen. Beim Verlassen Loangos wurde meine Aufmerksamkeit auf eine hohe, verfallene Steinmauer gelenkt, an deren Fusse der Weg entlang gieng. Denn Steinbauten sind bei den Eingeborenen zum Mindesten etwas ebenso Fremdartiges wie Schuh und Stiefel. Ich erfuhr dann auf meine Erkundigung, dass das alte Gemäuer zur Umfassung eines Hofes, während der Zeit der sogenannten „Emigration“, gehört habe. Die Abschaffung der Sclaverei gab nämlich zu einem System Anlass, welches, ohne - die proclamirten humanitären Grundsätze formell zu verletzen, die Vortheile der früheren Zeit zu erhalten suchte. Demgemäss wurden die Neger nun nicht mehr als Scläven gewaltsam fortgeschleppt, sondern „emigrirten freiwillig“ in gewisse Colonieen. Wo die Factoreien von Loango auf hören, sieht man einige


27f 32-1
To see the actual publication please follow the link above