Wir verliessen Bonny am fünfzehnten Juli und fuhren am folgenden Tage in den Old Calabar ein. Diese Flussfahrt ist viel wechselvoller als die auf dem Bonnyriver. Schon in der Mangrove Region treten die Ufer nahe genug an einander, dass sich auf beiden Seiten das Gewirr der über dem Wasser hervortretenden Wurzeln und die von den Aesten der Kronen herniederhängenden Luftwurzeln erkennen lassen; dann treten Palmen und dikotyledone Bäume auf; Farne und Lianen lassen die dicht an s Ufer tretenden Wälder ganz undurchdringlich erscheinen. Man begegnet einigen Canoes, die ein dreieckiges, aus Bananenblättern hergestelltes Segel führen; das linke Ufer steigt ein wenig an, und bald erhebt sich auf sanfter Anhöhe die aus dem Urwalde hervorragende Negerstadt Duketown. Zu Füssen derselben, in der Mitte des Flusses, liegt langhingezogen die Ansiedlung der Weissen, gerade so wie in Bonny aus einer Zahl verankerter Hulks bestehend. Alle senden ihre hübschen Boote; die rudernden Schwarzen haben den Paradeschurz nebst zugehöriger Jacke und Mütze angelegt, eine Art Uniform, die für die verschiedenen Häuser eine verschiedene ist. Die Boote folgen dem nur noch langsam fortgleitenden Dampfer und legen sich langseits, sobald derselbe Anker geworfen hat; die europäischen Agenten eilen auf Deck, und um den geöffneten Postsack entsteht ein ameisenartiges Gewimmel. Duketown ist der Sitz des Calabar-Häuptlings, von dem es heisst, dass er über dreimalhunderttausend Menschen gebiete. Der Besuch des Landes ist hier weit verlockender als in Bonny. Das hügelige Terrain, der mehr eingeengte Fluss, der mit Lianen durchwachsene Hochwald gehen ein wechselvolles Bild. Die Old Calabar Eingeborenen gelten für höflich, sanft und für sehr geschickt im Handel. Letztere Eigenschaft freilich würde sie kaum vor Hunderten anderer Stämme auszeichnen. Sie sollen schon seit langen Jahren aufs Strengste das Gesetz beobachten, dass keinem Weissen ein Haar gekrümmt werde, noch den in seinem Dienste befindlichen Schwarzen. Den Herrscher suchte ich in Duketown in seinem Palaste auf, wie man euphemistisch den Complex von Häusern, Hütten und Höfen nennen kann, in welchen* der Gebieter, seine Frauen, Kinder und Sclaven untergebracht sind. Der „King“, wie er von den Wei.ssen genannt wird, ist blind. Er lag in einem mächtigen, aus England stammenden Bette und machte, wie viele Neger bei der ersten Begrüssung, einen gutmüthigen Eindruck. Als „Queen“ zeigte man mir eine völlig bekleidete dicke Dame, die in irgend einem Winkel stand und an einer holzigen Wurzel kaute. Sie unterschied sich nur durch Umhüllung des Oberkörpers von den übrigen Frauen und Mädchen, unter denen einige sehr wol geformt waren. Das Innere des königlichen Wohnhauses, dessen Besichtigung mir gestattet wurde, erweckte mehr Erinnerungen an ein Leihhaus, als an Staatsgemächer. Alles mögliche Gerümpel war darin aufgespeichert: europäische Bettstellen, Spiegel mit verblichenen Rahmen und fleckiger Belegung, kümmerliche Litho- graphieen, vor Allem aber Stand- und Schiffsuhren, von denen selbstverständlich keine mehr gieng und ein Theil nur aus dem Gehäuse bestand. Die sorgfältig gehüteten Kostbarkeiten und Geräthschaften dienten also nur zur Befriedigung eines auf Nachäffung europäischer Art gerichteten Triebes und wirkten dadurch lächerlich. Diesen Eindruck werden die Neger stets bei uns hervorrufen müssen, wenn sie sich in ihren Einrichtungen und Gewohnheiten der sinnlosen Nachahmung und Verquickung mit europäischen Zuthaten schuldig machen, während in ihrer durch Jahrtausende bewahrten Ursprünglichkeit und der von unserer Beeinflussung unberührt gebliebenen Eigenart Würde und Haltung liegen kann. Das Dorf des „Königs“ zeichnete sich im Uebrigen nicht durch Reinlichkeit aus und musste auf schlüpfrigen, schmutzigen Pfaden passirt werden. Der Wunsch, den Consul Livingstone kennen zu lernen, der bald darnach auf der Rückreise nach Europa starb, führte mich in das auf einem Hügel gelegene Haus des allgemein verehrten, sehr würdigen Missionars Herrn Anderson. Consul Livingstone hatte seinen Bruder David bekanntlich auf dessen grösser Reise zum oberen Zambezi begleitet und wusste eben so wenig wie wir, dass der Leichnam des nun in Westminster Abtei ruhenden Märtyrers gerade jetzt von treuen Dienern zur ostafricanischen Küste übergeführt wurde; ja er glaubte fest daran, dass sein verschollener Bruder noch am Leben sei. Bei unserer Unterredung wollte Consul Livingstone die Verwendbarkeit des Chinin als Prophylakticum gegen Fieber nicht zugeben; .er bestätigte, dass Kruneger für den Dienst auf Landreisen nicht brauchbar seien, und sprach die feste Ueber- zeugung aus, dass die Eingeborenen in allen vom Sclavenhandel verschont gebliebenen Gegenden sich freundlich gegen die Europäer benehmen würden. Auf dem Rückwege durch den Wald, der die Abhänge des linken Stromufers bedeckt, sah ich mehrfach kleine Anhäufungen aus zerbrochenen Krügen, zerrissenen Kissen, zerfetzten Kleidern u. s. w. Sie verdanken folgender Sitte ihre Entstehung: beim Eintritt eines Todesfalls verfertigen die trauernden Weiber eine Anzahl schöner Kleider und anderer Gegenstände, die zugleich mit
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