Page 21

27f 32-1

20 Lagos. Die Nigermündungen. dampfer der englischen Regierung zu uns gelangen, obwol kein anderer Ort der Küste so gute Brandungsboote und so geübte Bemannung besitzt wie gerade Lagos. Diese Ansiedlung ist unter englischer Verwaltung mächtig aufgeblüht, trotzdem auch hier die Handelszufuhr durch das Verhalten der Eingeborenen zuweilen Störungen erleidet. Auf der Rhede sieht man stets eine Zahl grösserer Kauffahrteischiffe, von denen auffallend viele die deutsche Flagge führen. Am zweiten Tage kamen die Boote und am Abend des neunten Juli lichtete der „Benin“ von Neuem seine Anker. Wiederum waren wir um eine Unglückspost reicher; denn in Lagos wurde uns das Gerücht bestätigt, dass die „Monrovia“, ebenfalls ein der „African Steam Ship Company“ gehöriges Fahrzeug, beim Brassflusse Schiffbruch erlitten habe. Nun waren die drei Dampfer, welche im Monat Mai Liverpool verlassen hatten, zu Grunde gegangen, und nicht ohne gerechte Sorge durfte ich mich fragen, ob unser Capitain diese traurige Zahl um eine zu vermehren bestimmt sei. Die Temperatur blieb während der ganzen Zeit durchaus erträglich, aber die Regen setzten mit erneuter Heftigkeit ein. Die See war so bewegt, dass, als wir nach nächtlicher Fahrt vor Benin anlegten, keiner der auf Fracht und Nachrichten aus Europa begierigen Händler Boote herauszuschicken wagte. Wir umsegelten nun die in den Guineabusen vorspringende Ecke des Nigerdeltas, und zuweilen gelang es, eine der vielen Mündungen des kolossalen Flusses zu unterscheiden. Der Anblick des flachen Schwemmlandes hat etwas ungemein Trostloses, zumal wenn die Wolken recht tief hängen und es in der Frühe um acht Uhr noch so dpnkel ist wie bei uns an einem trüben .Novembermorgen. Am Nachmittag des elften Juli, also nach zweitägiger Fahrt von Lagos, fuhren wir in das Aestuar des Bonny ein und kamen beim Dunkelwerden glücklich über die Barre. Der Fluss erscheint hier noch meilenweit von schmutziger Farbe, die Ufer sind kenntlich an ihren Mangrove-Wäldern; das breite Aestuar ist so reich an Bänken und Untiefen, dass der Schiffahrt nur zwei Canäle für die freie Bewegung bleiben. Das Ganze bietet ein echtes Bild westafricanischer Flussmündung mit allen charakteristischen Zügen eines von Schwemmland begrenzten Stromes, der den Wirkungen von Ebbe und Flut stark ausgesetzt ist. Land und Wasser haben sich hier gegenseitig bedingt. Das sanfte Ansteigen des Con- tinents veranlasste die Flüsse zur Bildung flach ausgebreiteter Ablagerungen, und waren diese einmal vorhanden, so mussten Lagunen und Altwasser, Aestuare und Untiefen entstehen, während der unabänderliche Wechsel von Ebbe und Flut die schlammigen Bänke Bonnyriver. Schwimmende Factoreien. 21 mit Mangroven bedeckte und die gefährliche Barre durch den Fluss zog. Bald nach dem Passiren der Mündung fuhren wir zum ersten Male auf, so sanft freilich, dass nur die Wenigsten es merkten; auch wurden wir sogleich wieder flott. Nun aber begann ein ängstliches Sondiren. Offenbar hatten wir den richtigen Canal verloren; es war jedoch zu spät, ihn wieder zu suchen, denn die Nacht brach herein, und wir mussten Anker werfen. Die zum Hochwasser aufgestaute Flut fing an, sich zu verlaufen; in demselben Masse vergrösserte sich auch die Gefahr, die Brandung kam näher und näher, und alle Chancen waren da, dass das Schiff bei Niedrigwasser auf dem Sande sitzen würde. Deshalb nannten wir unsern Abendthee mit stets bereitem Galgenhumor „our last tea“. Er war es indessen nicht; Mitternacht, wo unser Loos sich entschied, gieng glücklich vorüber, und am folgenden Mqrgen um sechs Uhr befreite sich der Dampfer aus seiner fatalen Lage; um acht Uhr lag er wolbehalten in Bonny, langseits des mächtigen Schiffsrumpfes des „Adriatic“. Eine grosse Zahl ähnlicher Schiffsrumpfe, englisch „Hulk“, die in mässiger Entfernung von einander verankert sind, belebt das Bild und giebt der Flusslandschaft bei Bonnytown einen höchst eigen- thümlichen und befremdenden Anstrich. Wäre der Strom nicht durch die Canoes der Eingeborenen und die mit Schwarzen bemannten Boote der Europäer belebt, so könnte man glauben, eine Flotille von Todtenschiffen vor sich zu sehen. Die Takelage ist verschwunden, die Maste sind in ein Drittel ihrer Höhe gekappt, und über dem Deck erhebt sich ein Dach von Holz oder Zink. Die Arche Noah unserer Kinderspielzeuge scheint nach solch einem Modell construirt zu sein. Anfänglich machen diese Hulks sowol einen plumpen wie unheimlichen Eindruck, doch erfüllen sie eine friedliche und wolthätige Bestimmung. Jedes derselben stellt ein Haus vor in doppeltem Sinne: ein Handlungshaus und ein Wohnhaus der angestellten Beamten. — Kein Weisser lebt am Lande, noch werden daselbst Waaren aufbewahrt; der Aufenthalt an den sumpfigen Flussufern gilt mit Recht für äusserst ungesund, und Waaren sind viel 'sicherer an Bord der abgetakelten Fahrzeuge aufgehoben, als auf dem festen Lande. Die Uebersicht über das ganze Etablissement ist leichter, die Disciplin unter den in Dienst befindlichen Schwarzen lässt sich straffer handhaben, das Löschen und Laden geht schneller l^nd sicherer von Statten. Der Alles beherrschende Handelsartikel in Bonny sowol wie auf den übrigen Mündungsarmen des Niger ist das Palmöl, das die


27f 32-1
To see the actual publication please follow the link above