ganz bedeckt blieb, so wussten wir in vielen Fällen nicht, wo wir uns befanden, was der Capitain eines Morgens zu mir mit den Worten ausdrückte: „I don’t know where we are, no more than you“. Tröstlich ist dies gerade nicht zu hören, wenn man soeben erst einen Schifibruch hinter sich hat und Nichts sehnlicher wünscht, als den Endpunct der Reise möglichst schnell zu erreichen. Man würde für die langsame Fahrt nur entschädigt werden, wenn sich häufig Gelegenheit böte, an Land zu gehen. Leider ist das. Schiff meist gezwungen, weit vom Lande zu ankern; und die langen, parallelen Wellenzüge, die sich unausgesetzt gegen das flache Vorland des Continents heranwälzen, machen das Landen in den kleinen Booten oft sehr misslich; aber selbst wenn sich dieses hat glücklich bewerkstelligen lassen, bleibt die Gefahr, dass die Rückkehr unmöglich wird. Am Abend des achtundzwanzigsten Juni hatten wir Freetown verlassen und ankerten am Vormittag des dreissigsten vor Monrovia, der Hauptstadt Liberias. Ein Leuchtthurm auf einem ip’s Meer vorspringenden, bewaldeten Hügel, hoch aufspritzende Brandung, hinter dem Hügel das Dorf, einige Ziegeldächer, flaches Land, auf welches schwarze Regenwolken tief herabhiengen, war Alles, was sich erkennen liess. Nach kurzem Aufenthalte giengen wir weiter, befanden uns am zweiten Juli auf der Suche nach Cap Palmas, waren indessen am Abend ebenso klug, wie am Morgen, und erst in der Frühe des dritten wurde constatirt, dass wir nur neun bis zehn Seemeilen von dem Ziel unserer Wünsche entfernt sein könnten. Wegen des strömenden Regens und der hohen See mussten nicht nur die Cabinen-Luken, sondern auch die Fenster über dem grossen Salon geschlossen bleiben, und weil von letzterem aus eine häufig offen stehende Fallthür in den unteren Schiffsraum führte, so entwickelten sich wahrhaft mephi- tische Dünste, die in der feuchtwarmen Atmosphäre doppelt widerlich zur Geltung kamen. Der Nebel gestattete wenig zu sehen, als wir uns dem Cap Palmas näherten. Zur Rechten hat man den Leuchtthurm, dann ein schmales Felsenriff; halb auf den Strand aufgelaufen sahen wir die „Yoruba“, einen Dampfer wie die „Nigretia“, vor uns liegen; sie war, nachdem sie durch Aufschlagen auf den Fels ein Leck erhalten, mit vollem Dampf auf das flache, sandige Ufer gesetzt und dadurch vor dem Sinken bewahrt worden. Da lag sie nun, und neben ihr war aus Segeln ein Zeltlager improvisirt, wo man einstweilen die Ladung des Schiffes barg. Um unser Schiff herum wurde es besonders lebhaft. Wie der Bewohner der Steppe mit seinem Pferde verwachsen scheint, so scheinen die Kruneger vom Cap Palmas mit ihren Canoes verwachsen. Die Fahrzeuge sind sehr schmal und zierlich, und können nur wenige Menschen aufnehmen. Ein Europäer würde sich in einem solchen Canoe vermuthlich nur sehr kurze Zeit halten können und dann Umschlägen; die Kruneger aber handhaben in knieender Stellung ihre leichten Ruder mit staunenswerther Geschicklichkeit, und trotz -der heftigen Bewegungen jedes Einzelnen bleibt das Gleichgewicht der Gesammtheit bestehen. Sie können jede beliebige Wendung ausführen, ihren Canoes jede beliebige Geschwindigkeit ertheilen und gleichen, indem sie ihr Spiel mit der tobenden See treiben, eher Amphibien in Menschengestalt als wirklichen Menschen. Eine Scene der eigenthümlichsten Art entwickelte sich vor unseren Augen. Einer der lebend an Bord mitgeführten Ochsen war in der Nacht gefallen und wurde, nachdem man ihn abgehäutet, in ganzer Figur über Bord geworfen. Sofort stürzten sämmtliche Canoes in wilder Hast und unter lautem Geschrei« ihrer Insassen auf den schwimmenden Leichnam des Rindes los, und von allen Seiten sah man geschwungene Messer, die in dem Fleische herum wühlten, während ekler Geruch den sich öffnenden Eingeweiden entquoll. Jedes Canoe wurde der Feind des ändern, und um so heftiger entbrannte der Kampf, um so lauter wurde das Gebrüll, je glücklicher einige der wilden Streiter waren, und je schneller sich diese mit guter Beute zurückzogen. Schliesslich sprang ein Mann, mit einer Hand den noch umstrittenen Rest des Ochsen fassend, in’s Wasser, in der Hoffnung, die Gegner zum Loslassen zu bewegen; aber letztere machten es nun eben so, und jetzt sah man diese Wilden schwimmend den Kampf fortsetzen, unausgesetzt die Messer schwingend, als ob sie sich mitten in dem aufgeregten Elemente ermorden wollten. Erst als das letzte Stück des viel umworbenen Leichnams einen Herrn gefunden, war die Schlacht zu Ende, die Harmonie schien wieder hergestellt, und friedlich kehrten die Canoes zum Strande zurück. Das wilde Schauspiel hatte etwas ungemein Packendes; was widerlich daran war, wurde durch die entwickelte Bravour und Geschicklichkeit reichlich aufgewogen. Diese herkulisch gebauten Naturmenschen, deren Blösse ein leichter Lendenschurz kaum bedeckte, mussten im Vergleich zu der pseudocivilisirten Sierra Leone-Gesellschaft fast sympathisch erscheinen. Noch am dritten Juli setzten wir die Reise nach Cape Coast fort. Am fünften Juli sahen wir trotz Wolken und Regen ein Stück der Küste. Diesem Umstande dankte der Capitain die Bemerkung, dass wir uns bereits dreissig Seemeilen jenseits des Ortes befanden. Wir Loango. I. • z
27f 32-1
To see the actual publication please follow the link above