Madeira und Teneriffe. Nach sechstägiger Fahrt wurde Madeira erreicht, wo man uns eben die Zeit Hess, an Land zu gehen, und wo wir sahen, was alle Reisenden sehen, die zum ersten Male Madeira'betreten: ein grünes, aus dem Meere hoch aufsteigendes Eiland mit blumenerfüllten Gärten und weissen Landhäusern, die sich um Funchal gruppiren wie ausgeschwärmte Bienen um ihren Korb. In den steilen Strassen der Stadt begegneten uns die über Kieselpflaster hingleitenden Ochsenschlitten, der gerade Gegensatz zu unseren eleganten Equipagen und doch demselben Zwecke dienend. Wir sahen Männer mit kleinen, oben gestielten Mützen (einem Eichelnäpfchen vergleichbar), Frauen mit buntgestreiften Röcken und Jacken,, ohne Unterschied des Alters gleich hässlich, zerlumpte braune Knaben, die mit alten Weibern um die Wette bettelten, die gelangweilten Gesichter der Bevölkerung, die resignirten Mienen der von fern her gekommenen Leidenden Alles unter der Einwirkung eines viel gepriesenen, durch seine gleichförmige Temperatur in Lethargie versenkenden Klimas. Wie anders wirkte da Teneriffe, das wir dreissig Stunden später anliefen, mit seinem classischen Pic, den zackigen, schroff zum Meere abstürzenden Felsenbildungen, nur hier und da Spuren von Vegeta- , tion zeigend, bis endlich in einer fruchtbaren Mulde der Hafen von Santa Cruz erschien. Man kann sagen, dass die beiden Inseln kaum minder schroffe Gegensätze zum Ausdruck bringen als die Nationen, denen sie gehören: ein portugiesisches Madeira, aber ein spanisches Teneriffe — den sanft gearteten Portugiesen die freundliche, grünende Insel, den stolzen Spaniern das schroffe, von fruchtbaren Adern durchzogene Felseneiland. Am neunten Tage der Fahrt passirten wir den Wendekreis des Krebses, und da es Juni war und die Sonne das Maximum der nördlichen Declination fast erreicht hatte, so sahen wir sie auch sogleich im Zenith und Tags darauf bereits am nördlichen Himmel culminiren. Auf der Höhe des Cabo Branco kamen wir der africanischeh Küste auf sechszehn Seemeilen nahe, und zahlreiche Sturmvögel, die uns folgten, verriethen deutlich die Nähe von Land. Hier wurde auch der erste Wal' beobachtet, unverkennbar an dem aufgeworfenen Doppelstrahl, der wie eine niedrige Fontaine im Winde zerstob. Später, namentlich in der Nähe des Aequators und südlich davon, sahen wir diese Thiere. häufig. Sie treten zu gewissen Zeiten so zahlreich auf, dass sie die Schiffe der Walfänger in diese Gewässer locken. Bis zum siebzehnten Breitegrad dampften wir unter der Mitwirkung eines lebhaften Passats, so däss die „Nigretia“ zehn bis elf Knoten machte. Der nachlassende Wind deutete auf das tiefere EinGestirne. Unglücksnacliricht auf hoher See. 9 dringen in das Gebiet der Tropen, das sich ausserdem noch durch die erhöhte Temperatur anzeigte. Bald traten wir in die Zone der tropischen Regen ein, und verliessen dieselbe, der Jahreszeit entsprechend, wiederum etwas nördlich vom Aequator. Heftige Gewitterregen stürzten auf uns herab, die nicht selten zu förmlichen Tornados ausarteten. Plötzliches Entstehen, gewaltiger Verlauf, schnelles Vergehen sind diesen durch Sturm, Donner, Blitz und Regen gekennzeichneten Erscheinungen eigenthümlich. Der tiefer und tiefer sinkende Polarstern deutete an, dass Europa ferner und ferner rückte, aber das Fremdartige einer neuen Welt trat uns zunächst nur in der veränderten Ansicht des gestirnten Himmels entgegen. Nun konnte man mit hereinbrechender Nacht das gewaltige Sternbild des Skorpion bewundern, das sich über einen ganzen Himmelsquadranten hinwegzog, ferner die glänzenden Centaurensterne und daneben, durch diese etwas verdunkelt, das südliche Kreuz, das bei der Culmination dem grossen Bären gerade gegenüber steht. Sterne, die früher hoch standen, hielten sich nur noch in der Nähe des Horizontes und andere, die in der Heimat weit vom Zenith vorübergehen, strahlten jetzt von demselben herab. — Es war mein häufiges Vergnügen, diese Veränderungen zu verfolgen, ganz abgesehen von der praktischen Bedeutung, die eine sichere Orien- tirung am Himmelsgewölbe für die astronomischen Ortsbestimmun- gen hatte. In einer dieser Nächte kam ein Dampfer in Sicht, näherte sich uns, rief uns an, und sandte ein Boot herüber. Es war die „Africa“, derselben Compagnie gehörig wie die „Nigretia“ und die „Yoruba“. Der Bootsmann meldete, dass die „Yoruba“ am Cap Palmas gestrandet sei, und kehrte ungesäumt zur „Africa“ zurück, die auf der Pleim- reise begriffen war. Diese Unglücksnachricht, so unerwarrtet auf weitem Ocean, in stiller Nacht überliefert, machte mir einen um so tieferen Eindruck, als die „Yoruba“ das Schiff war, mit dem ich ursprünglich reisen sollte; nur die Unmöglichkeit,' alle Vorbereitungen zu beenden, hatte den Termin der Abreise um vierzehn Tage verzögert, und nicht wissend, welch rauhes Geschick meiner selbst in wenigen Tagen harrte, pries ich die Fügung, die mich an Bord der „Nigretia“ geführt hatte. , Am Nachmittag des dreizehnten Juni tauchte die bergige Küste von Sierra Leone vor uns auf. Bald wälzte der Fluss seine schmutzig gelben Fluten gegen uns; ein schwarzer Lootse kam an Bord, ein unübertroffener Vertreter jener Classe von „perfect (negroe-) gentle- men“, die Sierra Leone eigenthümlich sind und die ein widerwärtiges
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