waren Morgen- und Abendvisiten zu machen, oft konnte sogar in der stärksten Mittagshitze ein Gang nicht verschoben werden. Ich mag nicht verhehlen, dass ich es oft innerlich verwünschte, dass mein Beruf der Küste kein Geheimniss hatte bleiben können, und dass nicht nur Humanitätsrücksichten, sondern auch das Interesse der Expedition uns zu stets gleicher Zuvorkommenheit allen Fremden gegenüber zwangen; denn wer konnte wissen, wie weit Jeder der Patienten später in die Lage kam, uns die wesentlichsten Dienste zu leisten? Es ist dieser Fall auch eingetreten, und mit Freuden dürfen wir anerkennen, dass die geleisteten Dienste von Vielen hundertfach vergolten worden sind. Um die Mühen und Unzuträglichkeiten, welche mit dem Krankendienst verknüpft waren, besser zu verstehen, bleibt noch übrig mit einigen Worten auf diesen einzugehen. Wer einem eingerichteten, mit Wärtern wolversehenen Lazarethe in civilisirten Landen vorsteht, begreift kaum, was es heisst, alle Handreichungen selbst zu leisten, Apotheker, Arzt und Gehülfe in einer Person zu sein; wer nur mit gesitteten Patienten umgeht und jeden, der ihm nicht behagt, abweisen darf, denkt sich kaum in die Lagen hinein, in die man verwilderten Europäern oder Negern gegenüber kommen kann. Wir werden nimmer das wüste Getöse vergessen, das eines Tages, als wir bei Tisch sassen, vom Nachbarhause heranwogte und näher und näher kommend immer mehr anschwoll, bis man endlich einen von mehreren Anderen geführten, blutenden Neger unterscheiden konnte, der von einer in entfesseltster Wildheit schreienden, springenden, gesticulirenden Masse zu uns geleitet wurde. Es war ein im La- zareth beschäftigter Diener, dem ein kranker Holländer ein Tischmesser in den Leib gestossen hatte, weil er einen Befehl nicht schnell genug ausführte. Glücklicherweise verlief die Wunde zwischen den Muskeln abwärts, so dass keine inneren Organe verletzt waren, und verheilte schnell. Trotzdem aber vergieng eine geraume Zeit, ehe die ungeheure Erregung beschwichtigt, ehe das Ereigniss vergessen, ehe der Groll gegen die weisse Race verschwunden war, von der sich ein Individuum vergangen hätte, und manche unangenehme Scene musste durchlebt werden, ehe das Lazareth von den rohen Gesellen, die ohne mein Wissen schon lange ihren Befehlen mit von den Betten aus geworfenen Gläsern, Messern und Gabeln Nachdruck verliehen hatten, gereinigt war. Am deprimirendsten wirkte zu Zeiten der Mangel nicht nur einer geeigneten- Krankenkost, sondern jeglicher Nahrung überhaupt, so dass oft mehreren Negern Flinten gegeben werden mussten, um im "Walde Glanzstaare zu schiessen, die gerade massenweise auftraten; denn waren sie auch nicht wolschmeckend, so gaben sie doch mit Palmöl, Reis oder Bohnen zubereitet, ein nahrhaftes Gericht. Am fühlbarsten war zweifellos der Mangel grünen Gemüses; zwar hatten wir Samen aller Art mitgebracht, die uns zu Statten kommen sollten und später auch von grossem Nutzen waren; aber erstens wachsen und gedeihen sie nur in der Periode, welche überhaupt schon Ueber- fluss bietet, der Regenzeit, und dann kann man ein recht guter Astronom, Geologe, Arzt oder Techniker sein, ohne etwas im Garten^ bau zu leisten, ja man kann sogar ein recht guter Botaniker sein und doch lange Erfahrungen sammeln müssen, ehe man in einem fremden Klima weiss, wann, wie und was man zu säen hat. Damals wenigstens, wo wir des Wechsels der Nahrung am meisten bedurften, hatten wir absolut keine Aussicht, Etwas zu ernten. So wurde das Lazareth für die Station ein schweres Kreuz, an dem sämmtliche Mitglieder zu tragen hatten, und doch waren hier immer nur die relativ leichter Erkrankten untergebracht und der Zeitverlust bei ihrer Behandlung gering den anderen Fällen gegenüber, in denen die Leidenden nicht mehr transportirt werden konnten und mit einem beschwörenden Briefe zugleich die Hängematte oder das Canoe sandten, um mich zu dem stundenweit entfernten Orte abzuholen. Es wäre unmenschlich, bei solcher Gelegenheit einem Verzweifelnden mitten in der Wildniss Hülfe zu verweigern, wenn man die einzige Person ist, die sie zu gewähren vermag, und zugleich unklug, da man die Vorwürfe der ganzen Küste mit allen Folgen für die Expedition auf sich laden würde, wenn der Kranke elend, ohne die erbetene Hülfe erhalten zu haben, vielleicht umkäme; es ist aber auch eine grosse Zumuthung, solchen dringenden Bitten immer nachzukommen, wenn auf der anderen Seite die Pflichten für das grosse Unternehmen geltend gemacht werden, und man sich gestehen muss, dass zur Erreichung der in der Heimat mit Recht erwarteten Resultate die Ausnutzung der vollen Zeit des ganzen Tages erforderlich sei. Indessen so schwer es auch oft war, eine .angefangene Arbeit zu unterbrechen, Hessen wir doch nach reiflicher Ueberlegung die Menschlichkeitsrücksichten stets obsiegen, und nie gieng ßine Hängematte von Landana oder Massabe, nie ein Canoe von den am Tschiloangoflusse gelegenen Orten Insono oder Tschimfimo leer zurück. Wir hofften, dass, wenn ge- wissermassen sämmtliche Europäer der Umgegend unsern ärztlichen Rath gebraucht und eingesehen hätten, dass auf der einen Seite Unmögliches auch vom Arzte nicht verlangt werden könne und auf der anderen gegen die klimatischen Fieber das altbewährte Mittel Chinin
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