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ftufen des Menfchen bis zum Greife, kehrt zur Erde und von da in den Menfchen zurück — in ewigem, vertikalem Kreislauf. Im Sozialen ordnet der Ältefte. Der Jüngere rückt nach. Auch hier im Lehenslauf der Rhythmus der Pflanze. Und dabei ift die ganze Kultur der Pflanze gewidmet; von der fchweren Ackerarbeit bis zum dionyfifchen Frohfinn. Heiliger Jubel umtoft die Leiche des Greifes, der nun bald wiederkehrt, den wieder zunehmenden Mond, die Reife des Kornes und die Weihe reifer Jünglinge. Unbegrenzt wie das Ackerland, das das Sippengehöft umgebende Ackerland, ift die Erde. — Großes, ach übermäßiges Weitengefühl (vgl. „Paideuma“) ift allen Menfchen der tellurifchen Kultur eigen. Die chthonifche Kultur geht aus von der Häufung im Boden, fie gräbt fich im Boden die Wohnung, das Bett, den Speicher. Weite Räume im Innern, verzweigt wie die Wurzeifafern einer Pflanze, kennzeichnen häufig ihr Wefen. Das Backen der Speife erfolgt zunächft •in der Grube, dann im Erdofen. (Kärtchen S. 79.) Langfam, ganz langfam löft die chthonifche Kultur fich aus ihrer urfprünglichen Wurzelhaftigkeit los zu einem -— fagen wir Luftwurzeldafein. Weiter bringt fie es urfprünglich nicht. Denn immer wieder neigt die Seele lieh der Tiefe als dem Ausgangs- und dem abfchließenden Endzuftande in der Erde, im Schöße der Mutter Erde zu. Immer wieder kehrt die chthonifche Kultur bei aller Feinheit, Differenziertheit, Zierlichkeit zu dem Gedanken des Lebens im Mutterlande am Anfang und Ende der Dinge zurück. Nur Hades, nur Schatten- und Gefpenfter- reich winken dem fterbenden Chthoniker. Es ift, als wiederhole fich in diefer Kultur das Wefen des Objektes, dem fie urfprünglich alle produktive Fähigkeit widmet: die des Tieres! Die chthonifche Kultur fetzt ein mit dem Haustier, mit Fleifch, Blut, Zucht, mit Bindung an den Raum. Denn Viehzucht bringt Grenzen. Diefer Stamm hütet bis zu jenem Bach, und drüben liegt das Gelände des nächften Stammes. Nicht die Vertikale, fondern die Horizontale ift Richtlinie. Auffteigen der Menfchen zum Alter, Nachrücken von unten nenne ich vertikal. Das kennt die Chthonik nicht. Sie ift gebunden an den geo- graphifchen Flächenraum und erkieft den Tüchtigften unter fich (die Frau zum Gatten, der Stamm zum Führer, in der Zucht den beften Stier) und fchichtet damit Kaften übereinander, wie die Tellurik Stände nebeneinander ftellt. Horizontal der Raum, begrenzt durch das Recht des Nachbarn; als der der Lebenden gefchichtet über dem der Toten, der Gefürchteten, Gehaßten, der verfluchten Gefpenfter — fo erwächft dem Höhlengefühl der Menfchen die chthonifche Kultur. — (Vgl. Paideuma S. 40 ff. und 90 ff.) Die tellurifche Kultur ift heute die Grundlage aller Völker der Zega, die chthonifche die aller älteren Völker der Sahara und Kleinafrikas. Beide liegen alfo geographifch nebeneinander. Beide lind einfeitig pflanzenhaft, die eine nach der Richtung des Wurzel- pols, die andere nach der des Keimpols. Aber in ihren Urformen fließen fie nicht zu- fammen zu der Einheit der Pflanze. Damit öffnet fich eines der herrlichen, der tiefen Geheimniffe des Dafeins. Und diefe myftifche Tiefe gewinnt an Ausdehnung dadurch, daß die tellurifche Kultur ftets patriarchalifch war, bleibt und fich auswirkt. Das, was in der Polarität der Pflanze in vertikaler Ergänzung und Einheit zur Bildung der Blüte an der Spitze führt (alfo zur Sexualität), das liegt als Kultur a priori in fexualer Auswirkung nebeneinander. Aber was bedeutet die Richtung, in der die zwei Einanderergänzenden liegen gegenüber den Rollen, daß fie einander überhaupt ergänzen daß teUurifch-äthiopifch-patriarchalifche Kultur einerfeits und chthonifch-hamitifch- matriarchalifche andererfeits in diefer Lage nachweisbar find als Früh- (um nicht zu fagen „Ur“ -). formen, und daß die erythräifch-fyrtifche und atlantifche Kultur demgegenüber als Epigonen aller Alten und doch auch wieder als Erftlinge neuer Wefen, d. h. hiftorifcher Gefundheit, in Afrika auftreten! Wer von allen denen, die heute fo leichthin vom Schönen, Edlen und Tiefen primitiver Kultur und primitiver Kunft fprechen, macht fich je klar, welche gewaltigen Klüfte unfer kleines, intellektualiftirch gewordenes Vermögen zu verliehen von der wurzelhaft gewaltigen Großartigkeit jener Vorgänge trennt, nämlich die Summe alles deffen, was unferem Auge erreichbar ift: das aber ift alles, alles aus der hiftorifchen Zeit. Und gerade die hiftorifche Zeit, die „Zeit der Weltgefchichte“ , aus der die vielleicht noch faßbaren Dokumente flammen, bedeutet die weiteft und tiefft gähnende der trennenden Klüfte. Möglicherweife liegt aber gerade das erfte ganz, ganz fchwache Zeichen einer Annäherungsahnung in dem fich uns aufdrängenden Gefühl der Befcheidung, in dem aufdämmernden Bewußtrein unterer epigonenhaften Bedeutungslofigkeit. DAS METAPHYSISCHE WESEN DER TELLURISCHEN KULTUR Vielleicht find wir hier am wefentlichften Punkte unteres Buches angekommen; möglich, daß die hier behandelte, aus den Karten fich uns erfchließende Wirklichkeit Sinn und Wefen des Stoffes fo weit zu eröffnen vermag, daß fie als Tatfache unter Auf- faffungsvermögen erreicht. Deshalb halte ich es für notwendig, hier noch etwas ausführlicher zu werden, wenn eingehende Darlegung auch anderer Stelle Vorbehalten bleibt. Zunächft ein Lebensbild vom Wefen tellurifcher Kultur. Ein Gehöft! Mitten in der Zega. Weit ausgedehnt das Land. Hier und da Farmen. Büsche und Bäume dazwifchen; auch offenkundige Brachen. Das nächfte Gehöft vielleicht aoo, vielleicht nur 100, vielleicht aber auch goo Schritte entfernt. Das Gehöft selbft: eine Reihe von Hütten, Kindern, Burfchen und Mädels, Jungverheirateten, wür


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