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Urfprünglich war nämlich diele mittelerythräifche Staatsform wohl gekrönt durch ein Königtum; die Inhaberfchaft diefer Macht war aber gebunden an eine beftimmt be- friftete Reihe von Jahren. Nach Ablauf diefer Frift wurde der König dann getötet und zwar urfprünglich durch die vier Erzbeamten, die auch feinen Nachfolger be- ftimmten. ■ Den tieferen Sinn diefes rituellen Königsmordes vermögen Menfchen einer materialiftifchen Zeit, einer irreligiöfen Periode kaum mehr zu verftehen. Ein folches Königtum erfcheint uns als etwas barbarifch Fremdes. Und doch handelt es fich m ihm um eine gewaltige, eine ganz große Angelegenheit. Denn die Aufgabe des Königs war es nicht, als menfchlicher Herrfcher auf Erden zu regieren, fondern fich auf Gottmäßigkeit, auf eine Fürforge aus dem Jenfeits heraus vorzubereiten. Schon zu Lebzeiten war der König Gegenftand einer Imagination. Er durfte nicht gefehen werden durfte nicht erblickt werden bei menfchlichen Genüffen, mußte die eigene Schwefter oder gar Tochter heiraten, um die Erhaltung des Götterblutes in den Adern feiner Nachkommen und Nachfolger zu fichern. Nach feinem Tode forgte er als Gott für das Wohlergehen des Volkes. In alledem liegt etwas unendlich Schroffes, Starres, Herbes, Hartes. Der Gedanke als folcher ift fall menfchheitsentrückt, greift mitten hinein ins „Jenfeits des Naturgeborenen“ und bedeutet Größe. Als Sitte ift der rituelle Königsmord, feitdem Diodor ihn uns für das obere Nubien gefchildert hat, bis in unfere Tage in Übung. Aber an Gewalt und fchick- falsübertrumpfender Starrheit müffen wir bis in die Zeit der Entftehung einer Ofirisreligion zurückgreifen, um folches aus dem Innern herauf als keimendes Erfterlebnis zu erfaffen. Um folche Entwicklung an der Wurzel zu packen, heißt es, nach Offen hin Afrika zu verlaßen. An der dem öftlichen Afrika gegenüber gelegenen Küfte Vorderindiens herrfchte vordem auch der rituelle Königsmord. Oftafrika, Südarabien, Weftvorderindien ftellen die Meeresküften der kufchitifchen oder beffer kafchitifchen Kultur dar. Hier überall war vordem die gleiche Variante des Matriarchats heimifch. Aus Südarabien, der Heimat des Persea, kam der Weihrauch. Die beginnende Aufhellung der urgewaltigen füd- arabifchen Kultur, als Zentralboden kufchitifcher Kultur, wird noch viele Überreichungen bieten. Aus diefem Becken quoll die mitteleiythräifche Kultur, befruchtete, nachdem fie in Oftafrika Fuß gefaßt hatte, Altägypten von Süden her und drang weftwärts vor bis zum Senegal. Durch diefe Herkunft wird die Starrheit, Härte, Tiefe, Fülle der mittelerythräifchen Kultur verftändlich. Hieraus erfchließen lieh viele Rätfel affikanifchen Kulturfinnes und der Lebensformen Ägyptens. Man vergißt fo leicht, daß Ägypten auf afrikanifcher Erde liegt und hat nie genügend bedacht, daß Ägypten als Kultur ftets aufnahm — auch von Süden her — und feinem Stil einlebte, — nie aber wefentlich gab. A T LA N T IS C H E K U L TU R SYM PT OM E 49 Atlantische D örr- u n d S arg b e sta ttan g - 60. Bogen m it Ober die Ha lsen d en verlau fen d en Sehnen (frontale B e e e h n u n g )- 51. Die F ra u flich t die westafrikamsche Matte DIE WELLE VON WESTEN. DIE ATLANTISCHE KULTUR (Hierzu Tafel 128—153) Wer die diefem Werke beigegebenen Kärtchen der Verbreitung einzelner Kulturfymptome und ihres fummarifchen Auftretens durchfieht, — wer dazu bedenkt, daß diefes hier doch nur ganz wenige Beifpiele aus Hunderten find, der muß mit Staunen über die Großartigkeit und Struktur diefer Kulturorganismen erfüllt werden. Das Zufällige der Kultur- erfcheinungen fchwindet. Als felhftändige Bauten erheben diefe Kulturbildungen ihre Firfte aus der Nacht verfloffener Jahrtaufende in das Licht unferer Tage. Jede ein Stil: die fyrtifche Kultur mit ihren Bardengefängen, ihren Burgbauten, Kaiten- gliederungen; die mittelerythräifche mit ihrem harren Beamtentum, ihrem rituellen Königsmord, ihrer feingliedrigen Staatsform, und nun die dritte, die atlantifche, mit ihrer Götter- und Priefterhierarchie. Denn diefe Symptome find für die atlantifche Kultur die leitenden. DieReligionsfyfteme derMittelerythräer wurden mehrfach überdeckt, verfickerten bis zur Schwererkennbarkeit unter jüngeren Schichten, unter Iflam, ja unter Chriftentum. NuramAltägyptifchenläßt fich hier — allerdings ausgezeichnet — gut erkennen, welch eigenartige Gedanken- und Götterwelt einft an den Ufern des erythräifchen Meeres lebte. Dagegen ift die atlantifche Götterlehre gut erhalten, beffer als bei irgendeinem der fogenannten Naturvölker und noch beffer als unter den Naturvölkern der alten Welt. Sie ift in faft ungeftörter Reinheit erhalten bei den heutigen Yoruba an der Nigermündung, ift ohne allzu große Schwierigkeit weftwärts bis zur Goldküfte nachweisbar und findet nach Süden hin ihre allerdings arg verniggerten Ausklänge in der Gliederung der Priefterschaften der Kongogebiete. Die Götterlehre diefes Gebietes ift rein atlantifch, d. h. fie lagert nur an der atlantifchen Küfte des Erdteiles und hat anfeheinend niemals die Oftküfte erreicht.


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