Page 12

27f 124

Damit aber^erfüllte Europa lieh felbft. Denn nachdem einmal die wilde Blume Kultur in Europa zu hoher Zucht und Veredelung kam, mußte lie in diefem vertikal und horizontal meiTtgegliederten Erdteil eineUnzahlVarianten,MirchungenundBegleiterrcheinungen hervorrufen, die in eine ungeahnte Höhe der Entwicklung der Perfönlichkeit und Individualität auslief, damit aber auch das Wertmaß für die Betrachtung anderer hot. Diefem Wertmaß zufolge mußte Afrika als Wefen dem Europäismus langweilig, un- intereffant bleiben. DAS BESCHAUTE AFRIKA Denn Afrika ift der gefchloffenfte Erdteil. Afrika hat in der Horizontalen kaum einen brauchbaren Hafen (für einen großen Weltverkehr). Afrika wird nach feiner vertikalen Wesenheit immer wieder ohne Unrecht mit einem umgedrehten Präfentierbrett verglichen. Afrika ift fo einförmig geftaltet, daß feine Ströme den Eindruck erwecken, als wüßten fie nicht, wo fie hinlaufen follten, und fo rinnen lie, nicht wie in anderen Erdteilen der näher gelegenen Küfte zu, fondern irgendwo in das Inland hinein, in dem die meiften in Trockenzeiten der Vorgeschichte einmal in einem Sumpfgelände ausdörrten. So kommt es, daß die vertikale Bildung nur in geringem Maße die breitenmäßige Klimabildung modifiziert, und daraus folgt, daß Afrika äußerlich genommen in feiner Kulturbildung ebenfo wie in feiner Tier- und Pflanzenwelt wenig zur Variantenbildung neigt. Damit aber ift Afrika der natürliche Boden einer gefunden Synthese und einer ungeheuerlichen Fähigkeit zur Beharrung. Ich werde in diefem Buche zeigen, welche Bedeutung für die Kulturgefchichte gerade aus diefem Grunde Afrika hatte, daß hier heute noch Kulturfymptome lebendig find, die in der übrigen Welt entweder längft durch paHierende Nachkommenfchaften erftickt und überfchüttet wurden, oder aber im Mangel an Nahrung verdorrten. Diefe Seite Afrikas mußte aber dem egozentrifchen Prinzip Europas gleichgültig bleiben, 1t bis diefes Prinzip erfchüttert wurde. BETRACHTUNGSWANDEL Die europäifche egozentrifche Weltbetrachtung hatte mit Beginn des Weltkrieges eine Spannung erfahren, der die Kataftrophe fchon rein äußerlich als Löfung entfprach. Die materialiftifchen und mechaniftifchen Ausdrucksformen hatten eine Krufte gebildet, unter der die Muskulatur der Kulturfeele nicht mehr entwicklungsfähig, jedenfalls unentwickel- bar für die Äußerung auf der Bewußtfeinsfläche und den Realitäten gegenüber wurde. Als Europa im XV. Jahrhundert die Welt entdeckte, erfchütterte dies die europäifche Kultur und rief fpontane Bewußtfeinsäußerungen hervor. Als dasfelbe Europa im Beginn des XIX. Jahrhunderts den Weltverkehr und den Welthandel ins Leben rief und damit die im XV. Jahrhundert begonnene Kulturleiftung vollendete, fetzte eine analoge Erfcheinung mit dem Weltkrieg ein. Damit ift dann aber auch eine derartig gewaltige Erfchütterung der egozentrifchen Weltbetrachtung eingetreten, daß fich ihr nur vollkommen ztikunftslofe Völker verfchließen können. Hier, wo es fich um Afrika und feine Unbekanntfchaft handelt, ift dies befonders bezeichnend. Mit dem Weltkriege rückten die Afrikaner auf europäifchen Boden, entdeckten alle Kolonialämter, daß am Objekt Afrika feine natürlichen Kulturträger die bedeutungsvollften Faktoren feien, und wirkte fich alles in allem das aus, was Europa, ohne fich deffen bewußt zu werden, feit Jahrhunderten felbft berufen hatte. Mit Erftaunen erlebt die europäifche Kultur, daß die Geifter, die fie rief, fich einheimaten, die einen zur quantitativen Nutznießung und damit zur größten Gefahr der Eigenerhaltung; die anderen zur Wefenserfchließung und damit zur Erweiterung geistiger Weltbildung. Da entdecken wir, daß wir einen für unwefentlich erachteten alten Bekannten haben, der uns in feinem reichen Innenleben, in feiner tiefen menfchlichen Synthefe, ein Unbekannter geblieben ift, — das entdecken wir, die wir mit der Weltkataftrophe zum Ekel am alten Egozentrismus, zur Ergänzung der Analyfe, d. h. zur Synthefe gedrängt werden, zur Synthefe, die wir anftreben mit aller unbewußten Kraft unferer Kultur. Da es nun gilt, das Wefen diefes Afrika zu erfchließen, und wir dabei von der Anficht ausgehen, daß die ganze Welt, die „Afrika“ heißt, die Wohnfläche mit allem, woraus fie gebildet ift, mit ihren Lateritfeldern und Erzmaffen, ihren Pflanzen und Tieren, ihren Menfchen und Völkern einen zufammenfaffenden Ausdruck finden muß im Paideuma, im Seelischen der Kultur — wenn w ir von folcher Anfchauung ausgehen, fo ift es wohl altbewährter eigener Kulturbetrachtungsweife entfprechend das Natürliche, wenn wir von dem ausgehen, was wir von der gefchichtlichen Tiefe diefes Kulturwefens wiffen. VORDEM UND HEUTE Europa hat fich fehr früh auf feinen egozentrifchen Standpunkt zurückgezogen. Die älteften Schriftfteller Europas waren fich nicht ganz einig, ob Ägypten zu Afrika (Libyen) oder zu Afien zu rechnen fei. Ägypten blieb bis zur Neuzeit der Gefchichts- fchreibung ein Anhängfel Eurafiens, das übrige Afrika blieb der europäifchen Wiffen- fchaft aber nur bedeutungsvoll als Südküfte des Mittelmeeres.


27f 124
To see the actual publication please follow the link above