Wir fpüren die Berührung durch diefe Glieder. Wie wir ehedem die Flüffe und Berge und Namen diefes Erdteils entdeckten, fo nehmen wir jetzt wahr, daß diefer l'cheinbar lehlofe Koloß eine Seele hat, daß er eine Seele hat und uns nun erwacht. Jetzt fehen wir, daß wir Afrika entdeckt hatten, daß es uns aber bis dahin unbe- kannt war. DREI ERDTEILE Als das Merkwürdigite an diefem Afrika erfcheint mir immer wieder, daß lein Inneres uns Io verwandt iß. Der ehrwürdige Schweinfurth pflegt die Afrikaner „Sommereuropäer“ zu nennen. Und wer diefes Wesen Afrikas innerlich erfaßt hat, erfieht den unendlich tiefen Sinn diefes Wortes. In dem durch Eklektizismus ausgezeichneten Kulturftadium, in dem wir uns befinden, nimmt Afrika eine ganz eigenartige Stellung ein. „Man“ schwärmt in den „Salons für chinefifche Philofophie, für indifche Weisheit, für afrikanifche Plaftik. Im erften Augenblick ein ungeregeltes Durcheinander! Ein fchärferes Hinfehen zeigt aber eine aus- gefprochene Unterfchiedlichkeit, einen Gegenfatz. Schon feit Jahrhunderten — laßen wir zunächft das Altertum! fchatzen wir indifche Stoffe, chinefifche Porzellane, weftaliatifche Edelftein- und Metallarbeit, innerafiatifche Teppiche. (In all diefer Zeit gab Afrika uns noch nichts.) Heute nun find wir durch die fchöne Schale in das Innere vorgedrungen. Der Kraken Afien laugt fich mit feinen Tentakeln Magie, Religionslehre, Philofophie und Dichtung im bürgerlichen Haufe ein. Und da, wo Afien Bücherfchränke und Vitrinen füllt, erobert es den Teil in unferem Seelenleben, der durch Alltäglichkeiten überfättigt ift und fich nach Aufmunterung durch Ambra, Morphium und Opium fehnt. Solches nämlich und mchts anderes bedeuten uns diefe prunkenden Stoffe, diefe köftlichen Geräte, diefe fchwefienden Teppiche und fchmeichelnden Farben, diefe weichen Regungen des Taktes und diefe buhlerifch finnverwirrenden Raumauswirkungen. Alles das war den weiblichen Fran- zofen äquivalent von Grund auf, uns Deutfchen aber in jeder Zeit der Kraftentfaltung Ausdruck morgenländifcher Lethargie. Wie anders unfer Verhältnis zu diefem Riefen Afrika! Unfere Jugend fordert Natur. Wiederentdeckung ältefter fchlichter Naturverbindung, Rückkehr zur Natürlichkeit. Die Kunst ruft nach Vereinfachung. Und aus diefem Sehnen heraus berührt der jetzt erft uns erwachende Stil in dem entgegengefetzten Triebe: im Drang nach eigener Urfprünglichkeit, die aus diefem Wefen Afrika, aus diefer ungefchlachten Plumpheit, diefem kindlichen Naturalismus heraus uns felbst, unferer eigenen Kindheit verwandt erfcheint. Und in der Tat ift beobachtet worden, daß unfere Kinder bunte indifche und chinefifche Götterbilder beifeite legten, wenn ihnen einfache afrikanifche Holzfiguren greifbar wurden. Der Riefe Afrika berührt mit feinen plumpen Gliedern unfere Seelen an Stellen, die den Tentakeln des Kraken Afien unzugänglich find. EUROPA ALS BESCHAUER Zeige mir die Stelle, von der aus du Umfchau hältft, und ich will dir fagen, was du fehen wirft! Die Weltbetrachtung am Ende des vorigen Jahrhunderts — vom kulturmorphologi- fchen Standpunkt aus endet eine große Periode mit dem Beginn des Weltkrieges (fiehe weiter unten) — hatte den „ Erdteila Europa in fteigendem Maße aus den umgebenden Ländermaffen herausgelöft und als felbftändigen, in lieh gefchloffenen Bau, als Welthochburg auffteigen laffen. Diefe Weltbetrachtung von diefer Warte forderte alfo felbftverftändlich: W ir als aus- ftrahlender Mittelpunkt und alles andere als beleuchtete Umwelt. Zu allen Zeiten des Wachfeins waren die Völker und Nationen von ihrer Erftberufung, von ihrem Höchft- wiffen, von ihrer Gipfelhaftigkeit überzeugt. Diefe Anfchauung hatte zur naturgemäßen Folge, daß die fchulmäßig gelehrte Weltgefchichte als wefentlich nur das berückiichtigte, was fich auf europäifchem Boden abfpielte, das, was die Kulturumbildung auf euro- päifchem Boden entfeheidend beeinflußte und das, was zur Erklärung des auf europäifchem Boden fich Abfpielenden notwendig war. Die Wiffenfchaft der Gelehrtenftuben bückt natürüch weiter. Aber die Schule kannte nur Europa als Gelichtsfeld der Ge- fchichte. Die Umwelt der anderen Erdteile wurde auf den Boden der „Erdkunde“ ge- fchoben und hatte hier eine Bedeutung nur mit den Namen von Flüffen und Orten, mit Einwohnerzahlen und mit den Tagesintereifen. Diefe fchulmäßige Weltbetrachtung ftimmte natürüch mit den Grundkräften und den Wirkungsformen der europäifchen Seele voükommen überein. Wenn Europa auch nur über eine fchriftlich beftätigte Gefchichte von zweieinhalb Jahrtaufenden zurückbücken konnte, fo hat es doch in diefem Zeitraum eine Kulturform keimen, blühen und fruchttragen gefehen, die es durch eine unüberbrückbar erfcheinende Kluft von den anderen Erdteüen getrennt hatte. Die Früchte, an denen wir fie erkennen können, gipfeln in der ungeheuerüchen Kunft der Analyfe und des Spezialiftentumes (fiehe Einführung in den Atlas Africanus, C. H. Beck 1921), wie fie anderen Kulturen nie eigen war und deren Trägern auch nie verftändlich geworden ift.
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