470 Totemismus, Deflation. Seltsames Tschlna. üble Folgen ausbleiben und verlocken andere zum Nachahmen. Wie vieles sich sogar bei der Fürstenkaste geändert hat, ist bereits Seite 191 behandelt worden. Dennoch halten viele Eingeborene, sicherlich die meisten, noch erstaunlich fest wenigstens an manchen Kegeln ihres Tschina, und dessen muss, wer mit ihnen verkehrt, rücksichtsvoll gedenken. Namentlich Speisenverbote und Heiratsverbote werden noch sorgsam beachtet, sind meistens — ein Adoptions-Tschlna kann ja ganz frisch sein — auch die ehrwürdigsten und sind bedeutsamer als alle Vereins- und Bundessymbole, Geburts-, Krankheits- und Fetischauflagen. Manche Gegenstände des Tschlna, die sich dazu eignen und die Phantasie anregen, werden vielfach bildlich dargestellt. Es sind das namentlich Fische, Eidechsen, Skorpione, Vögel, Antilopen, Geräte. Sie zieren Arbeiten in Holz und Elfenbein, Faserteppiche, wo sie eingeknüpft, Baststoffe, wo sie eingewoben oder eingestickt, Baumwollzeuge, wo sie’ aus andersfarbigen Stoffen, ausgeschnitten, aufgenäht worden sind. Hier erscheinen die Darstellungen mehr als künstlerische Einfälle. Aber an allerhand Gerät, Topfzeug, Kalabassen und anderem Besitz, selbst an Türen und Hüttenwänden, wo sie eingeritzt, eingebrannt, eingekerbt, aufgemalt oder eingeflochten Vorkommen, sind sie zugleich Marken, sozusagen Urbilder von Wappen. Sogar in Tätowierungen kommen sie vor. Ganze Musterkarten solcher Marken und Wappen, auch teilweise farbig ausgeführte, die ich nach Berlin einsandte, sind daselbst, wie leider so vieles von unseren Sammlungen, nachher nicht mehr aufzufinden gewesen. Die Zeichnungen aus dem Gedächtnisse oder nach flüchtigen Skizzen wieder- zugeben, erscheint nicht ratsam. Abschliessend liesse sich folgende Definition aufstellen: D er im Tschlna verborgene Totemismus der Bafiöti ist der Glaube an Beziehungen zwischen gewissen zu Symbolen erhobenen Arten von Lebewesen, Gegenständen oder Erscheinungen und gewissen Gruppen von Menschen, die durch ihre stets vom Vater ererbten Satzungen zu verpflichteten und mit Heiratsverboten belegten Gemeinschaften verbunden sind. Enthaltung des Sym- boles, wenn es danach geartet ist, wird meistens streng, Schonung beliebig, Verehrung gar nicht geübt. Zuletzt sei noch ein seiner Natur nach seltener, aber um so bemerkenswerter Fall eines Tschlna mitgeteilt. In einem Dorfe am oberen Kullu lebten zwei Söhne einer Mutter, ein straffer Knabe von etwa vierzehn und ein Bursche von zwanzig Jahren. Beide waren gut und normal gewachsen , aber beide besassen regelrechte schöne Brüste. Äusserlich konnte man sie von ihrer leiblichen Schwester, die verheiratet und bereits Mutter war, nicht unterscheiden. Auf den Brüdern lastete, ihrer unnatürlichen Beize wegen, das Verbot, jemals ein Weib zu berühren. Wie ein anderer F all bewieB, batten wir es keineswegs mit einem landesüblichen Einige Bemerkungen über die Banganga. 471 Tschlna zu tun. Auch war der Vater der Brüder mit den nämlichen, freilich schon verfallenen Beizen ausgestattet. E r hatte die auffällige Eigenart auf seine Söhne vererbt, und das sollte, wie versichert wurde, so nicht weitergehen. Die in Erinnerung an Humboldts Amerikaner gestellte Frage, ob der Vater seine Kinder auch gesäugt habe, erregte unbändige Heiterkeit. Einem späteren Besucher könnte sie nun leicht bejaht werden. — Noch einige Bemerkungen über die Banganga selbst. Wer sich auf die Ansicht von der durchgängig ungleichen-Veranlagung und der daraus gefolgerten verschiedenartigen Bestimmung der Menschenrassen versteift, wird geneigt sein, schon um des Beleges und um seiner Selbstschätzung willen, im Wesen der Primitiven nur oder vorwiegend hässliche, und niedrige Züge zu entdecken. Als ob die bei Zivilisierten fehlten. So werden, obschon es ohne genügende Einsicht weder gerecht noch wissenschaftlich ist, Zaubermeister schlechthin als Schwindler, Betrüger oder bestenfalls als betrogene Betrüger gebrandmarkt. Vieles in ihrem Tun, an unseren Zuständen gemessen, mag ja unsinnig und unehrlich erscheinen. Aber deswegen widerspricht es nicht ihren Verhältnissen. Es gibt doch, und das ist viel schlimmer, unter Zivilisierten Banganga schlechter Art genug, die ohne Kundschaft nicht vorhanden wären. Und wie reden denn unsere grimmen Freigeister über Lehren und Bräuche der Kirchlichen, unsere verbissenen Naturheilkünstler über Arzneien und Handlungen der Studierten? Wie unsere Geistlichen und Arzte glauben die Banganga ganz entschieden an ihre Überlieferung, an ihr Können, an ihren Beruf. Mit ihrem Volke sind sie überzeugt, dass Gutes und Böses von höherer Gewalt verhängt wird, dass Seelen, Gespenster, Hexenkünste und Krankheiten den Menschen bedrohen, und glauben ebenso, dass man den Willen Höherer sich günstig stimmen, gefährliche Wesen bezwingen und allerlei Übel bekämpfen könne. Alles fügt sich in ihren Vorstellungskreis ein. Wäre das bei uns anders? Sie sind angelernt worden, sie haben über- lieferungsmässig Kunst und Wissen mit ihren Fähigkeiten verbunden, und fühlen sich ihren Aufgaben gewachsen wie andere Menschen auch. So helfen sie den Furchtsamen und Beladenen, gestärkt und getragen vom Bedürfnis des Volkes, von Begungen, die doch selbst bei Zweiflern immer wieder hervorbrechen, sobald ihnen der Mut sinkt. Natürlich ist allgemein Menschliches nicht ausgeschlossen, dass nämlich Meister "sich selbst erlauben, was sie bei anderen verdammen, dass sie die Menge ab und zu ein bisschen blenden und täuschen. Dieses Spiel durchschaut das Volk ganz gut. Aber aus alter Gewohnheit, zum lehrreichen Beispiel, zum Vergnügen, aus Bedürfnis lässt man trotzdem zaubern. Man hat nichts Besseres. Nur manchmal dringt, wie beschrieben, eine
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