Page 202

27f 32-1

und hatte uns schwere Prüfungen gebracht; in der Nacht vom 30. zum 31. Mai waren die besten Träger, auf die allein noch gerechnet werden konnte, sämmtlich entflohen, und wenn sie auch nach wenigen Tagen wieder eingebracht wurden, so waren doch alle Hoffnungen, den Vormarsch im Juni antreten zu können, vernichtet. Wer hätte es gewagt, sich so unzuverlässigen Leuten auch nur auf wenige Meilen anzuvertrauen? Wer konnte zweifeln, dass sie bei der ersten Gelegenheit den Reisenden und das Gepäck mitten in der Wildniss verlassen und das Weite suchen würden? Unter den obwaltenden Umständen mit ihnen aufzubrechen, wäre ein unverantwortlicher Leichtsinn gewesen, der das Material der Expedition dem fast sicheren Verderben aussetzte, ohne auch nur die geringste Aussicht auf Resultate zu bieten. Wir hatten unseren Führer vor allen Dingen zu überreden gesucht, persönlich nach Europa zu gehen und dort den Sachverhalt darzulegen; denn von einer (Korrespondenz, die mit der Antwort circa vier Monate beanspruchte, konnte kein Heil erwartet werden, da in dieser Zeit die Lage der Dinge sich bereits so geändert haben konnte, dass die eingeholten Instructionen in keiner Weise mehr passten; hier war nur durch persönliche Auseinandersetzung Verständniss zu schaffen; nur so durften wir hoffen, eine neue Basis zur Weiterfüh- rung des Unternehmens vereinbaren zu können. Nur wenn beide Theile,' die Heimat und wir, in gleicher Weise die Schwierigkeiten kannten und sich mit der zur Erreichung von Erfolgen nöthigen Geduld wappneten, nur wenn beide Theile volles Vertrauen in den gegenseitigen guten Willen und die zur Durchführung des Werkes erforderliche Ausdauer, Energie und Befähigung setzten, war an ein allmähliches Reifen der ausgestreuten. Saat zu denken, und dies Ziel war ohne eine Conferenz beider Theile nicht zu erreichen. Für eine solche hatten sich denn auch einstimmig die Mitglieder der Expedition entschieden, und Dr. Güssfeldt als unser Führer hatte schweren Herzens die Mission übernommen, sich persönlich mit der Heimat über die Art der Fortsetzung unseres Werkes zu verständigen und war zu diesem Zwecke am 7. Juli zu Schiff gegangen. Unter dem Drucke der Ereignisse waren wir alle zu der Ueber- zeugung gelangt, dass die engagirten Trägfer niemals ihrem Zwecke würden entsprechen können, und dass auf sie in keiner Weise zu rechnen sei; wir hatten diese unsere Ansicht schriftlich aufgesetzt und unserem Führer mitgegeben, der sich in der langen Zeit vergeblicher Bemühungen dasselbe Urtheil gebildet hatte; er konnte in der That ebenso wenig wie wir ahnSn, dass wir bereits den Höhepunct Abmarsch und Flussfahrt. 119 der zu überwindenden Schwierigkeiten erreicht hatten, und dass schon relativ geebnetes Terrain vor uns lag. Bis zu seinem Wiedereintreffen an der Küste, an dem natürlich Niemand zweifelte, mussten mindestens vier Monate vergehen, und wir waren daher übereingekommen, die Zwischenzeit in der Weise auszunutzen, dass Dr. Pechuel-Loesche und ich eine längere Reise an den Kuilu zu naturwissenschaftlichen Zwecken unternähmen, während auf der Station ausgedehnte Pflanzungen von Mais und Maniok angelegt würden, sowol um die zurückbleibenden Träger zu beschäftigen, als um die Unterhaltungskosten derselben zu verringern. So waren wir denn mit siebzehn unserer Leute, denselben, deren Flucht vor Kurzem missglückt war, Mitte Juli von der Station abgegangen und hatten in bester Ordnung den Ausgangspunct unserer Operationen, den Kuilu, erreicht. Jene Leute hatten wir nicht etwa aus erwachtem Vertrauen zu unseren Begleitern erwählt, oder um eine Probe, die überflüssig erschien, anzustellen, sondern weil uns andere nicht zu Gebote standen. Sie waren willig gefolgt, hatten Tag für Tag ihre Lasten tadellos getragen und Nachts treulich behütet. Keine Unordnung, kein Lärm, keine Widersetzlichkeit oder murrende Unzufriedenheit hatte den Zug der kleinen Karawane gestört. Erstaunend erkannten wir unsere Leute kaum wieder und- waren um so. begieriger zu erfahren, wie sie sich auf der weiteren Reise, die nun zu Wasser fortgesetzt werden sollte, benehmen würden. In dieser Lage waren wir an jenem Morgen, an dem mir der oben erwähnte Vergleich in den Sinn kam. Sobald der von der Ebbe freigelegte Schlamm wieder von Wasser bedeckt war, und wir mit der steigenden Flut leichter stromaufwärts zu kommen hoffen durften, sollte die Abfahrt beginnen. Als die Uhr auf acht zeigte, und die beiden flott gewordenen Canoes an ihren Stricken hin und her schaukelten, wurde das Signal zum Einsteigen gegeben. Wenige Worte genügten, die noch Säumigen anzutreiben. Der Eine schnürte eilig §ein Bündel, der Andere rettete schnell noch Frühstücksreste, um die Pausen der voraussichtlich langen Fahrt ausfüllen zu können, ein Dritter brachte das glimmende Holz, das, um die Pfeifen in Brand zu halten, auf Reisen niemals fehlen durfte. " Bald sass Jeder an seinem Platze auf dem Rande des Canoes, und zehn Ruder entführten uns langsam der gastlichen Insel, von der gutmüthige Spottrufe noch lange das augenscheinliche Ungeschick unserer Leute geisselten, und viele Augen mitleidig die unstäten Bewegungen der Fahrzeuge verfolgten.


27f 32-1
To see the actual publication please follow the link above