Wie oft hatte die vielgeschäftige Phantasie sich die in der Erwartung langsam verrinnenden Stunden dieser Zeit damit zu kurzen gesucht, den Moment der endlichen Ankunft auszumalen, die Scenene des Landungsplatzes in stets wechselnden, eigenartigen Bildern dem träumerisch suchenden Auge vorzuführen, und nun war doch Alles so ganz anders: da war keine Wildniss, kaum etwas Fremdartiges. Freundliche, aus Holz aufgeführte Landhäuschen blickten uns weissgetüncht entgegen, liebenswürdige Europäer druckten uns warm und freundschaftlich die Rechte, während Palmen und Neger bei der Küstenfahrt allmählich dem Auge so vertraut geworden waren, dass man sie bereits als alte Bekannte begrüsste. Es war Alles so natürlich, so gar nicht wunderbar, dass uns ein Gefühl des Bedauerns, fast der Beschämung ergriff, da sich die Vorstellungen aus der Heimat nun als so ganz irrig herausstellten. Als wir uns aber über die vorgeschrittene Civilisation, über die anmu- thende Behaglichkeit während des schnell bereiteten Males ausspra- chen, reichte man uns ein Fernrohr, wies lachend nach Norden und liess uns das am Horizont sichtbare fahle Palmdach unserer neuen Heimat mustern; da würden wir schon finden, rief man, was wir m Landana vermissten. Und wir fanden es; später aber fanden wir noch weit mehr und erkannten, dass heimisches Wesen und heimisches Leben nur als ganz dünner Firniss über dem fremden lag und schadhaft genug überall losblätterte, wo man ihn zu prüfen versuchte, so dass Wildniss und Uncultur auch hier noch mehr als nöthig zu Tage träten • Nachdem wir uns hinreichend gestärkt, und es bereits dunkelte, legten wir uns unbeholfen in die hergerichteten Hängematten, misstrauisch auf die elastische Blattrippe der Weinpalme blickend, an welcher eine jede hieng, und bedauernd auf die Träger, welche uns fortführen sollten. Aber jene hielt aus, und diese liefen m Burzern Trabe nicht nur wolgemuth, sondern selbst stolz auf ihre Last und Körperkraft am Strande entlang, gewiss ohne Ahnung, dass wir währenddem über Menschenloos und Menschenwürde philosophirten. Dabei leuchtete der Boden unter ihren Tritten von unzähligen kleinen Leuchtthierchen, und das ganze, sich überstürzende, brausende Wasser der Brandung leuchtete auch; gespenstisch huschten g rosse herzförmige Krabben (Cardisoma armatum), die Augen an den Stielen emporhaltend, seitwärts in die Löcher, und der Mond ergoss sein ruhiges, klares Licht über die Landschaft; es war eine wunderbare, berauschende Nacht, deren Eindrücke für das Leben haften und m der Erinnerung einen unerschöpflichen Quell des Genusses bergen. Die ganze Umgebung und die eigenthümliche ruhende Lage in der schaukelnden Tipoja, wobei das Auge den sternbesäten südlichen Plimmel musterte, war dazu angethan zu träumen, und die Phantasie weit weit zurück dahin schweifen zu lassen, wo sich vielleicht augenblicklich gleichgestimmte Seelen mit uns beschäftigten, ohne dass es ihnen möglich war, sich von der Scenerie eine Vorstellung zu machen. Bilder auf Bilder zogen dann, bei der ungestörten Einkehr, die wir in uns halten durften, vorüber. Da kam uns wieder der unbewusste Drang des Knaben zum Bewusstsein, den es schon früh über die engen Grenzen der Spielplätze und der Vaterstadt hinauszog; die unruhige Sehnsucht späterer Jahre nach fernen Völkern und Ländern, um beizutragen zur Kenntniss und Erforschung weiter, reicher, ge- heimnissvoll sich verschliessender Gebiete. War der unbesiegbar scheinende Trieb, der sich schliesslich Bahn brechen durfte, auch wirklich das, wofür er gelten wollte und nicht etwa ein durch reichliche Lectüre erfindungsvoller Reisewerke künstlich gezogener Hang zum Abenteuerlichen? War der Forschungsdrang nicht wie bei vielen Ändern herausgewachsen aus der Unlust zur regelrechten Arbeit und angestrengten Berufsthätigkeit? War der Begriff des Grossartigen und Erhabenen, das uns in andere Bahnen, als der natürliche Bildungsgang vorschrieb, hineingedrängt hatte, nicht in einem Wahne der Selbsttäuschung entstanden? Darüber müssen endgültig Andere richten, natürlich aber war es, dass man am Orte der. Thätigkeit angelangt fragend den Blick in die Zukunft richtete und aus den schnell verrinnenden Secunden der neugestaltigen Gegenwart einen Anhalt darüber zu gewinnen suchte, ob dem guten Willen auch eben solche Erfolge entsprechen würden. Wol dem, welchem in solchen Fällen ungeschwächte Körperkraft und frisches in den Adern kreisendes Blut, ein unerschütterliches Vertrauen auf sich selbst erlauben, dem auf jede keimende Muthlosigkeit eine innere Stimme den sicheren endlichen Sieg verheisst! Macht doch diese Ueberzeu- gung fast allein den glücklichen Reisenden und bedingte in alter uud neuester Zeit die grossartigen Resultate, die wir staunend verzeichnen. Also muss es gelingen! ruft man sich zu; aber, antwortet es wieder, ist es denn überhaupt auch möglich? Harren nicht auf allen Zweigen der Kunst und Wissenschaft vergebens wichtige Fragen der Lösung und werden nicht gewisse Hindernisse so lange die Welt steht, der Kraft, dem Genie und Verstände unüberwindlich bleiben? Könnte nicht auch in diesem Falle ein unlösbares Räthsel aufgegeben worden sein? So waren ungefähr die Gedanken und Träume als ihnen plötzlich durch einen Ruck der haltenden Tipoja ein Ziel gesetzt wurde.
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