
ermüdete Körper nunmehr mit dem Verlangen seiner Rechte
vor uns trat. Wir fühlten uns über alle Maassen ermüdet
und abstrapazirt. Dazu hatte sich bei meiner Frau eine gefährliche
Dyssenterie eingestellt, die mich hochgradig besorgt
machte. Unsere Leute gaben sich heute ebenfalls der Ruhe im
vollsten Sinne des Wortes hin, sie lagen und schliefen den ganzen
Tag, obschon der Rammadan mit gestern vorüber war, und sie
sich nun für die ausgehaltenen Fastenunbilden reichlich entschädigen
konnten. Aber der Wunsch nach Ruhe war eben bei
Allen vorherrschend. Nichts desto weniger durchzog Jeden der
Gedanke, dass das Ziel erreicht sei, mit berechtigtem Stolze und
Selbstbefriedigung. Der Tag verging mit Erledigung der laufenden
Arbeiten, welche sich in den letzten Tagen sehr angestaut hatten.
In einer Epicerie übernahm die Frau des Hauses unsere Verpflegung
in rühmlicher Weise. Bei den sehr geringen Mitteln,
welche ihr zu Gebote standen, und dem oft gar nicht zu beschaffenden
Materiale verstand sie es meisterhaft, die Bedürfnisse
unseres Magens voll und ganz zu befriedigen. Zwar hatte sie
sich erst mit Händen und Füssen gegen unsere Bewirthung gesträubt,
doch wusste ich nur zu genau, aus welchem Grunde das
geschah. Als ihr die Erlaubniss dazu vom französischen Com-
mandanten ertheilt war, ging sie sofort um so bereitwilliger an
die Herstellung unserer Mahlzeiten, als ihr ein ganz lucrativer
Gewinn daraus entsprang. Selbige nahmen wir in einem Seitenstübchen
der Epicerie ein und theilten sie stets mit dem Befehlshaber
der Spahis, dem Brigadier Mr. de L., der mit uns zu Tische
sass. Es war ein sehr anregender, wohlunterrichteter und schöner
Mensch, aus einer gebildeten Familie stammend, mit dem wir
uns in angenehmster und belehrendster Weise unterhalten konnten.
M o n ta g , den 17. A p ril 1893. Heute hielt es mich nicht
länger in den Wänden. Um 6 Uhr morgens eilte ich mit Herrn
W. hinaus, um die nähere Umgegend von Gardaia zu sehen und
kennen zu lernen. Diese trägt einen ganz anderen Charakter
als alle bisher gesehenen Wüsten-Gelände. Es ist ein eigen-
thümliches, felsiges und steiniges Bergland, welches die Pentä-
polis umgiebt. Gerade wo die Stadt gegründet wurde, erheben
sich nach beiden Seiten die Höhenzüge in WTellenform, die höher
und höher steigend zu wahren Bergriesen sich gestalten und so
gewissermassen die Städte schützen und bergen. Weite Aus-
und Fernblicke gewähren die Kuppen und höchsten Spitzen der
Berge. Erhaben sind die Eindrücke, welche man dort oben empfängt.
Man sieht sich umgeben von schaffenden Naturkräften,
die auf einst gewaltige Erdkatastrophen schliessen lassen. Tiefe
Risse und Spalten thun sich vor einem auf, Runsen führen in den
Bauch der Berge und schauerliche Thäler klüften Riesenwände
auseinander. Felsblöcke haben sich aufgethürmt oder liegen
schrägkantig auf dem Abhange des Berges, den loses Steingeröll
von oben bis unten deckt. Und der Mensch selbst als winziges
Stäubchen in diesem grossen All erzittert und erbebt vor der gewaltigen,
ernst redenden Natur. Drunten in dem Thale aber erheben
sich die Städte der Menschen, die fleissig ihre Hand an
den unwirthlichen Boden legen, um sich ihn fruchtbar zu gestalten.
Was sie vermocht haben mit ihrer Ausdauer und ihrem
Fleiss, davon zeugen die Palmenwälder im Thale, die eine langhingestreckte,
kaum absehbare Oase bilden. Wie versunken in
dieses Bild stehen wir einige Minuten still, bis unsere Blicke
wieder in die nächste Umgebung fallen. Welche Gegensätze,
welche Wandlungen! Unten im Thale die Lieblichkeit und die
Fülle des südlichen Himmels, hier oben die nackte Wildniss!
Arm, unendlich arm ist die Bergwüste, und dennoch nicht todtl
Schwarze Vogelgestalten, gleich ,als seien sie Kobolde der unwirthlichen
Höhen, tanzen trippelnd auf einem Felsblock umher,
singen schlicht und brav ihr schmätzerartiges Liedchen oder verfolgen
sich in nebenbuhlerischer Fehde in der Luft. Eine unendliche
Anmuth umwebt, ein unbeschreiblicher Liebreiz durchzieht
das Wesen dieser Vögel. Hier oben auf den Höhen zeigen
sie sich furchtlos dem Menschen in unmittelbarer Nähe, tanzen,
singen und fliegen um ihn herum, dass es eine wahre Lust ist;
bald zeigen sich die weissköpfigen, bald die einfarbig schwarzen
— beide im Wettbewerb um ihre Schönheit, gefallsüchtig und
unwiderstehlich, — und doch so bescheiden in ihren Ansprüchen,
gleichbedeutend in ihrer Stellung, ebenbürtig nach ihrem Wesen!
Wie unbeschreiblich arm wäre der Berg und mit ihm die ganze
Bergwüste, wenn er dieser Vögel entbehren müsste! Aber Mutter
Natur weiss auch ihre Stiefkinder gerecht zu behandeln, sie mit
ungeahnten Vorzügen zu versehen und sie mit unvergleichlichen
Reizen auszustatten. Es ist selbstverständlich, dass mich diese Vögel
hochgradig interessirten, und ich es mir angelegen sein liess, die
Naturgeschichte derselben zu klären und zu fördern. Selbige lag
noeh ganz im Argen, da wir nur von wenigen Reisenden, die zu