
Erster Theil.
Reiseschilderung.
F r e it a g , den 26. F e b r u a r 1892 verliessen wir — meine
Frau und ich — Abends 9 Uhr 26 Minuten Bonn und wählten wie
in früheren Jahren auch diesmal wieder die Route Köln-Paris-
Marseille. D o n n e r s ta g , den 3. März stiessen wir um 2 0Minuten
vor 2 Uhr von Europa’s Küste ab und machten mit dem grössten
Schiffe der Compagnie Transatlantique „Général Chancy“ eine
wenn auch keineswegs ruhige, sodoch sichere und schnelle Fahrt.
Das Schiff ging ausgezeichnet und legte die 417 Seemeilen, welche
Marseille von Alger trennen, in 24 Stunden zurück. Somit waren
wir ungefähr um dieselbe Zeit in Alger, um welche wir tags-
vorher Marseille verlassen hatten.
Der Blick auf die vorlagernde Stadt vom Schiffe aus gewährt
einen seltenen Genuss. Amphitheatralisch baut sie sich
auf den sanft zum Meere abfallenden Hügeln auf und erstreckt
sich mit ihren Vororten weit nach Osten wie nach Westen. Da
die blendend weissen Häuser hart an den Quai stossen, dieser
aber hochgelegen die Stadt in geschwungener Linie umgürtet,
contrastirt das Conglomérat der blendenden Häusermasse eigenartig
zu dem duftigen Himmelsgewölbe über der Stadt und zu
dem blauen Mittelmeerspiegel unter ihr. Füge ich noch hinzu,
dass der Hintergrund durch malerisch schöne Berggruppen gebildet
wird, die in leichten Bogenlinien, bald zackig und bizarr
gestaltet, bald lieblich geschwungen sich abheben, so mag dem
Leser der Eindruck eines vollendet schönen Gemäldes vorgespiegelt
werden. Thatsächlich entspricht die Lage der Stadt —
von der See aus gesehen wenigstens — den Begriffen des Franzosen,
welche er in dem Worte: „ravissante“ niederlegt, voll und ganz.
Dieser Eindruck bleibt jedoch leider nicht gewahrt, wenn man
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