
Grenze kamen, desto anständiger bedient wurden. Auch die
Räumlichkeiten sowie das ganze Yerwaltungswesen waren sauberer
und geregelter und stachen von der etwas arg verlotterten
Wirthschaft der Alger-Linie vorteilhaft ab. Da die Wagen,
welche wir nunmehr bestiegen, Seitengänge hatten, konnte man
ungehindert die Landschaft länger mit seinen Blicken verfolgen
und natürlich auch besser auf sich einwirken lassen, als aus den
niedrigen engen Coupefenstern heraus. Dies begrüssten wir mit
um so grösserer Freude, als gerade jetzt die Gegend zu einer
hervorragend schönen sich gestaltete. Auf weiten Wellen und
Hügeln erstreckte sich ein wahrer Urwald von grossen, kraftstrotzenden,
z. Th. gewaltigen Bäumen, wie ich sie für dies Land
nicht für möglich gehalten habe: Kork- und Steineichen zumal,
sowie einer anderen echten Querem, alle in ihrem herrlichen
Erstlingsgrün und dicht mit den herabhängenden Blüthenquäst-
chen behängen. Neben dem herzerfreuenden Laubwalde mangelte
auch der Nadelwald nicht, der wie eingestreut sich in bald
grösseren, bald kleineren Beständen abhob. Dichtes, undurchdringliches
Unterholz deckte den Boden, vereinzelt erhoben sich
Oliven- und Johannisbrodbäume, während eine gelbblühende
Genista (Spartium?) ganze Strecken überwucherte und goldene
Felder in den malerischen, üppigen Vegetationscharakter warf.
Mich durchzog der Gedanke, dass hier vielleicht noch ungekannte
Vogelformen leben könnten, jedenfalls aber eine Ornis wäre, welche
zu der bekannten Algerien’s noch im unaufgeklärten Verhältnisse
steht und der Bearbeitung eines berufenen und tüchtigen Forschers
harrt. Unwillkürlich zauberte mir der Wald seine ihm
eigenen Formen vor die Augen, als Spechte und Spechtmeisen,
Baumläufer und Goldhähnchen, Meisen, Finken und Ammern,
auch Tauben, Eulen, Ziegenmelker und das grosse Geschlecht
der Tagraubvögel. Aber auch an die grossen Vierfüssler dachte
ich, denn wenn irgendwo, so musste hier der Panther hausen,
auch der gewaltige, bis an den Bauch bemähnte Berber-Löwe
des Atlas, der dem das Dunkel der Wälder aufsuchenden, eine besondere
Art darstellenden Hirsche nachspürt, während der Wald
an kleineren Katzenarten und anderem Raubgesindel gewiss keinen
Mangel haben wird. Aufweisen mag er noch ein vielleicht noch
unbekanntes Eichhörnchen, WTaldmäuse und Baumratten, Fledermäuse
und dergl. mehr. Die Fauna von Algier und Tunis kann
daher nicht eher als endgültig abgeschlossen betrachtet werden,
bis das Dunkel gelichtet sein wird, welches in dem zum Urwalde
gestalteten Gelände noch herrscht und jedenfalls noch eine unendliche
Menge von hochinteressanten neuen Beobachtungsformen
birgt. Mit Nachdruck möchte ich daher auf diese Districte aufmerksam
machen, um den Forscher und Sammler anzuregen, in
jene Gegend vorzudringen und durch rastloses Arbeiten die
Schätze der Wissenschaft'zu erschliessen, die dort der Entdeckung
noch harren. Gegen 5 Uhr waren wir in Ghardimaou (auch R’ardi-
maou), der Grenzstation von Tunis. Alles musste aussteigen, da
Gepäckvisitation stattfand. Man behandelte uns indessen mit unserem
Massengepäck so coulant wie nur möglich, so dass wir
nicht einmal einen Koffer zu öffnen brauchten und die Angst
und Aufregung unsererseits um die Behandlung der gesammelten
Naturalien ganz unnöthig waren. Wir stiegen bald wieder in unseren
Zug, konnten uns an dem prächtigen Landschaftsbilde
nicht satt sehen und wurden geradezu berauscht durch Philomele’s
Klänge, die aus den üppigen Thälern allerorts an unser Ohr
schlugen. Allmählig nahm die Gegend wieder bekannten
Charakter an, sodass wir, ermüdet durch den Ausblick und die
Fahrt, uns in die Wagenklasse zurückzogen. Um 1 Uhr Nachts
langten wir endlich am Endziele unserer heutigen Reise, in der
uns lieb und heimisch gewordenen Stadt Tunis an.
Den nächsten Tag — S o n n ta g , d e n 15. Mai — benutzten
wir in Tunis unsere Freunde und Bekannte zu besuchen, sowie
zu Einkäufen mancherlei Art und verliessen am Montag den
16. Mai unsere Lieblingsstadt mit dem 2 Uhr-Zuge, der uns nach
Goletta brachte. Dort schifften wir uns auf offener Rhede ein.
Leider war die Fahrt eine ungemein strapaeiöse, denn ein böser
Mistral wehte, die See ging hoch, und der conträre Sturm brachte
das mühsam gegen die rollenden Wogen ankämpfende Schiff mit
10 Stunden Verspätung erst am M ittw o ch , d en 17. Mai glücklich
in den Hafen von Marseille. —
Es war S o n n ta g , d e r 19. F e b r u a r 1893, als wir Abends
Bonn verliessen, um die schon lange vorher geplante Reise nach
dem südlichsten Grenzgebiete Algerien’s anzutreten. Alle Vorbereitungen
zu dieser Reise waren getroffen. Ich war von Seiten
der französischen Gesandtschaft in Petersburg an den General-
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