
Annahme wurde noch bekräftigt durch eine Fussnote, welche der
Herausgeber des Ibis unter Tristram’s Sylvia deserticola setzte und
dieselbe mit der Sylvia deserti, Loche identificirte. Somit glaubte
ich also, dass Tristram’s Artname fortan nur als ein Synonym
zu dem von Loche gelten könnte und der Werth desselben hinfällig
würde. Aber Tristram’s Diagnose wollte nicht recht passen
auf Loche’s.deserti, so sehr ich auch seine Worte der Beschreibung
Loche’s änzupassen suchte. Auch Dresser’s eigenes Urtheil über
diese Art in seinen „Birds of Europe“ klärte die Frage nicht.
Eine viel genauere, bessere Beschreibung giebt H. Seebohm, der
gründliche Sylvienkenner im V. Bande des „Catalogue ofthe Birds
in the British Museum“. Die beigefügte Abbildung jedoch lässt
den Unterschied zwischen Tristram’s gesammelten Stücken und
meiner Suite so crass hervortreten, dass ich wiederum dem Gedanken
der Verwechselung beider Arten Baum geben musste.
Schliesslich löste sich für mich die Frage erst endgültig dadurch,
dass ich den Typus — einen ¿-Vogel im Balg —; im British
Museum, mit eigenen Augen sah und prüfte. Darnach stellte es
sich ohne Zweifel heraus, dass Tristram wirklich eine echte, gute
Art entdeckt hatte, welche zwar im Winterkleid eine auffallende,
grosse Verschiedenheit mit meinem in Batna gesammelten Vogel
zeigte, die aber dennoch die Identität des letztem schlagend
bewies, während auch nicht im entferntesten daran zu denken war,
dass Loche’s Sylvia deserti sich mit der Tristram’schen Sylvia
deserticola deckte. Soviel zur Klärung dieser schwierigen Frage.
Das Verbreitungsgebiet dieser seltenen Sylvie scheint eng
begrenzt zu sein. Canon Tristram hat die. 3 ersten Exemplare
im Winter auf dem Zuge in der südlichen algerischen Sahara
erbeutet; dort traf ich sie trotz grösster Aufmerksamkeit in den
Frühjahrsmonaten nicht, wohl aber in Batna, im Auresgebirge
und deren Ausläufern, wo sie Brutvogel ist. Zuerst hat sie dort
Dixon entdeckt, der eine richtige und sehr gute Beschreibung
der an Ort und Stelle baobachteten Vögel giebt. Leider haben
er und sein Reisebegleiter Mr. Elwes unter dem Eindrücke gestanden,
. dass diese Grasmücke Sylvia conspicillata sei, weshalb
beide versäumten, mehrere Exemplare davon zu schiessen und
nach Europa zu bringen. Nun hat aber Tristram’s Grasmücke
ausser den braunen Flügeln und dem aschgrauen Köpfchen mit
der Brillengrasmücke nichts gemein, fällt vielmehr durch die
intensiv weinröthliche Brust- und Bauchfärbung sofort auf und
entfernt sich schon dadurch ganz ungemein von der Sylvia con-
spidllata. Dagegen sieht der Vogel dem Provencesänger ausserordentlich
ähnlich, wie er auch in seinen Lebensgewohnheiten
ein echter und wahrer Vertreter der Gattung Melisophilus1) ist.
Ich habe mich daher auch täuschen lassen und die vorliegende
Art als den Provencesänger betrachtet, wobei mir allerdings
die braune Flügelfärbung aus dem Gedächtniss als mit der
wahren provincialis nicht recht stimmen wollend vorschwebte.
Dieser Irrthum ist aber verzeihlich, weil Tristram’s Grasmücke
in der That als eine reizende Diminutivform des Provencesängers
aufgefasst werden kann, freilich mit dem Unterschiede brauner
Flügelfärbung. —
Als Brutvogel bewohnt sie die Maquissträucher und belebt
dieselben in wunderbar schöner und hervorragender Weise. Die
Vegetation, so häufig und charakteristisch im ganzen Mittelmeergebiete,
erstreckt sich auch mit ihren Strauch- und Buschformen
weit bis in den Atlas hinein. Doch nimmt man wahr, dass jene
nicht überall die gleichen Repräsentanten hat, und — zumal tief
im Gebirge, wenn auch stets denselben Charakter im Grossen und
Ganzen wahrend — doch mitunter ein anderes Aussehen gewinnt.
So auch im Auresgebiete. Man vermisst in ersterer Linie die
dunkelgrünen, mit bräunlichem Glanze umflossenen, dichten Büsche
der Pistacia lentiscus, die gerade eine hervorstechende Pflanze der
Maquissträucher am Mittelmeere ist und die den Charakter der
Vegetation an Form und Farbe wahrt. Mit dem Verschwinden dieser
Sträucher schwindet auch der typische Farbenton, ich möchte sagen
der Hauch, welcher über dem ganzen Gepräge lagert. Dazu kommt,
dass die Abhänge mit der immergrünen Eiche so bestanden sind,
dass diese zur Charakterpflanze wird und geradezu in die Stelle der
Pistacie oder Lentiske rückt. Sie stehen hier in Buschform in nur
i) Die. Gattung Melizophilus [von (ieh%w = cantare (singen)
und (piiog — amans (liebend)] ist meiner Ansicht nach sehr gut begründet
und muss entschieden aufrecht gehalten werden. Die 3 hierhin gehörigen
Vögel Mel. provincialis, deserticolus, Tristr. und sardus, Temm.
stimmen durch ihre schmale, schmächtige Form, durch den Schwanz, der
länger ist als die Flügel, durch das nackte, mit feinen Federchen zart
umkränzte, meist rothe Augenlid, und durch die eigenthümliche Beschaffenheit
der Federn, welche grossstrahlig locker einander aufliegen, sehr wohl
überein. Am nächsten stehen sie der Gattung Pyrophthalma, die trotz
ihrer grossen Aehnlichkeit sich dennoch durch die grösseren Formen und
Gestalten von der Gattung Melieophilus entfernt. — Der Verfasser.