
Eine solche Gegend, wie die eben beschriebene, stellt
sich uns bei El Mouilah dar , etwa 50 Kilom. südl. von Toug-
gourt. Dort traf ich die Wüstengrasmücke zum ersten Mal.
Ich hatte gerade das Nest der Drymoeca saharae ausgehoben
und die Eierchen vorsichtig verpackt, als ich wieder aufsass und
weiterritt. Kaum hatte mich jedoch das Maulthier auf dem
Rücken, als ich eines kleinen ganz isabellfarbigen Vögelchens
ansichtig wurde, das ganz nach Sylvienart vor mir herflog. Das
kleine Ding war indessen ausserordentlich scheu und unterlag
erst meinen Nachstellungen nach langer Mühe. Es flog von
Strauch zu Strauch mit durchgedrücktem muldenartigem Rücken,
und sang seine niedliche, echt grasmückenartige, geschwätzige
Strophe nach Art der Brillengrasmücke. Endlich sah ich es
kletternd in den Zweigen vor mir und erlegte es. Jubelnd hielt
ich gleich darauf eine mir völlig neue Art in Händen, welche ich
aus dem Gedächtniss als die von Loche in „Revue et Magaz. de
Zool. 1858 beschriebene und gut abgebildete Sylvia deserti erkannte.
Mit dieser Errungenschaft dachte ich aber auch die
Zweifel zu lösen, welche bisher über die unklare und noch wenig
präcisirte Tristram’sche Art deserticöla schwebten, zumal ich mich
einer Fussnote vom Herausgeber des Ibis erinnerte, welche die
von Tristram aufgeführte Art mit der von Loche beschriebenen
als der letzteren näml. Sylvia deserti identificirte. Ich war mir
im Augenblicke so klar über diese Frage, dass ich mich am
liebsten gleich hingesetzt hätte, um dieselbe schriftlich zu erledigen.
Denn dass Tristram neben dieser Form eine zweite
wüstenähnliche in der gleichen oder doch ähnlichen Gegend gefunden
haben sollte, schien mir ebenso unwahrscheinlich, ja nahezu
unmöglich, als dass die von Dixon bei Batna in den Auresbergen
aufgefundene Sylvie die Tristram’sche deserticöla darstellen sollte.
Ich konnte und wollte es nicht glauben, das Tristrams Sylvia
deserticöla eine gute, selbstständige Species wäre, wie das aus
Seebohms Bearbeitung des V. Bandes des „Catalogue of the
Birds in the British Museum“ — hervorging. Mehrfache Correspondenzen
und mündliche Besprechungen über diese Frage bestärkten
mich nur in meiner Ansicht und nur die definitive
Antwort meines verehrten Collegen Th. Pleske in St. Petersburg,
dass nämlich Tristrams Sylvia deserticöla keineswegs mit Sylvia
deserti, Loche Zusammenfalle, machte mich wiederum unsicher
und schob die Klärung dieser wissenschaftlichen Angelegenheit
aufs Ungewisse hinaus. Es blieb mir also nichts anderes übrig,
als den Typus der Tristram’schen Art im Britischen Museum
selbst zu sehen und zu prüfen. Ich reiste daher im August vorigen
Jahres 1893 nach England, besuchte meinen Freund und Collegen
Hartert in Tring und fuhr mit ihm nach London. In der Abtheilung
für Ornithologie hatte ich die Freude, den berühmten Ornithologen
Sharpe kennen zu lernen, und bat ihn nach kurzer Unterredung,
mir den Typus von Sylvia deserticöla, Tristram zu zeigen.
Da war nun jeder Zweifel beseitigt, denn der vorliegende
Balg erwies sich thatsächlich als derselbe Vogel im Winterkleide,
den ich zur Fortpflanzungszeit als einen ausgesprochenen Bergvogel
in Batna kennen gelernt hatte und enthielt nicht im entferntesten
den Gedanken einer Annäherung oder gar Identificirung
mit der Sylvia deserti, Loche. Was mich nun aber über alle Maassen
verwundert, ist das, dass Tristram in den Wintermonaten einem
in der Sahara nur als Zugerscheinung auftretenden Vogel begegnet
ist, während er den meiner Ansicht nach — ausgesprochenen
Standvogel dortiger Gegend nicht gefunden hat oder vollständig
übersehen haben muss. Vorstehende Art hat den Speciesnamen
deserti mit Recht erhalten, während ich die Benennung der
Tristram’schen Sylvia als eine wenig glückliche bezeichnen muss.
Denn jeder Vogel charakterisirt sich erst in der Gegend, wo
er seinem Fortpflanzungsgeschäfte obliegt, ausser dieser Zeit stellt
er den Zusammenhang und die Bedeutung seines Wesens in der
Gegend, in welcher er als Durchzugsvogel auftritt, wenig oder
gar nicht dar. Er ist dann eben ein Findelkind für den Forscher,
welchem er zufällig begegnet, und dieser gibt ihm einen Namen,
und lässt ihn laufen, ohne nach seiner Provenienz zu forschen.
Wissenschaftliche Namen sollten aber immer mit einer gewissen
Vorsicht und Bedachtsamkeit gegeben werden, um den Begriff
derselben nicht plan- und bedeutungslos in die Welt hinaus zu
senden, sondern ihn mit den Trägern gewissermaassen zu verkörpern,
zu verständigen und zu versinnbildlichen, fest und haltbar
zu machen!
Unser Vögelchen ist also eine ausgesprochene Wüstensylvie
und kommt in den von mir beschriebenen Säharadistrikten verbreitet,
jedoch keineswegs dicht und häufig vor. Es mag auch
in den niederen Wüstensträuchern sich wenig zu erkennen geben
und ziemlich versteckt in denselben leben. Den Gesang, der
eine sehr niedliche, leise murmelnde und geschwätzige Grasmücken