
Wucht der senkrechten Strahlen der Sonne nur um so behaglicher ihrer Arbeit obzuliegen. Das
Märchenland, genannt Siam, zögert augenscheinlich, sich vor den hohen Reisenden in all seinem
Glanze und seiner Pracht, in all seinem Zauberreiz, in all seiner Herrlichkeit und wetterleuchtenden
Schönheit zu entfalten........
Die natürlichen Reichthümer und der potenzielle Wohlstand des Landes am Menamstrome
mit all den umliegenden, von Siam abhängigen Ländern (auf Malakka und weiterhin im Norden
im Gebiete der Laosstämme) sind sehr gross. Die Einnahmen des Königs belaufen sich mindestens
auf 40 Millionen Mark. Gold und Silber, Edelsteine, Eisen, Blei, Steinkohle, edle Hölzer, Reis,.
Gewürze, Früchte sind in unerschöpflicher Fülle vorhanden, nicht etwa nur für die bescheidenen
Bedürfnisse des Volkes, dem noch bis vor kurzem Meermuscheln als kleine Umgangsmünze zu
genügen vermochten, sondern auch für den Export im grössten Maassstabe. Mehr als drei Viertel
des Reichsterritoriums (etwa 180000 englische Quadratmeilen) liegen noch brach, sind mit
Dschungeln bedeckt und harren noch der Rodung.
Die Schiffahrt des Landes ist noch in der Entwickelung begriffen; allerdings schreitet sie
langsamer vorwärts, als man hätte erwarten dürfen, denn bisher machen die siamesischen Schiffe
noch nicht fünf Procent der auslaufenden aus. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass eine grössere
Anzahl ausländischer Schiffe unter siamesischer Flagge fährt, weil sie dadurch verschiedener Privilegien
theilhaftig werden. Die Procentziffer erscheint um so geringfügiger, wenn man erwägt,
dass von der Gesammtsumme aller mit Siam in Handelsverkehr stehenden Dampf- und Segelschiffe
gegen 60 Procent auf die Engländer und über 30 Procent auf die Deutschen entfallen. Der
Antheil der Franzosen am Handel mit Siam ist bisher noch unbedeutend, selbst verglichen mit
den österreichischen, italienischen und norwegischen Handelsschiffen. Unter den Gesellschaften,
die den Passagierverkehr mit dem Meerbusen von Siam vermitteln, verdient die „Blue Funnel Line“ ,
nach den blauen Schornsteinen so genannt, besondere Aufinerksamkeit. Das deutsche Consulat
studirt höchst umsichtig die Bedürfnisse, den Charakter des Volkes und die dasselbe bewegenden
Fragen und bietet alles auf, um Deutschland den Wettbewerb mit dem britischen Handel zu
ermöglichen und seinen Import von Jahr zu Jahr zu steigern. Unter den Handelsfirmen Bangkoks
nimmt das Haus Markwald den ersten Rang ein. Dasselbe besitzt unter anderm eine Fabrik zur
Reinigung des Reises mit einer Maschine von 400 Pferdekräften. Und das trotz der Nähe von
Indien, Singapur und Hongkong! In jüngster Zeit erleiden das über Triest kommende Bier und
die Zündhölzchen Abbruch von seiten wohlfeiler Nachahmungen japanischen Ursprungs; nur das böhmische
Glas hat hier keine Imitation zu befürchten. Der Haupthandel bewegt sich im Verkehr mit
den Ländern des Westens. Der Import von Baumwollstoffen, der sich beinahe auf 55—65 Millionen
Mark beläuft, ist in fortwährendem Wachsthum begriffen. Ein grösser Theil derselben wird in
Ahmedabad aufgekauft. Uebrigens übersteigt bisjetzt der Export den Import um zehn Millionen.
Die ausgedehnte Viehzucht Siams, besonders in den nördlichen Provinzen, gestattet z. B. in Birma
die Einfuhr einer Kuh sammt Kalb zu acht Mark.
Me nam Chau Phya, fürstliche Mutter der Gewässer, nennen die Eingeborenen ihren Nil,
der, wenn er austritt, eine ungeheuere Ebene befruchtet. Ihm entstammen die blühenden Niederungen
Siams, für welches er dem Meerbusen einen Theil abgerungen hat, indem er dessen Ufer
durch Ablagerung von organischen Resten und Sand nach Süden weiter schob. Noch vor zwei-
bis dreihundert Jahren lagerte sich an manchen Stellen, wo jetzt von üppigem Pflanzenwuchs eingerahmte
Tempel glänzen, die Salzwoge der Brandung mit trägem Schwall über den vollständig
nackten Boden.
Je weiter wir den Schlangenlauf-des Stromes hinauffahren, desto belebter und volkreicher
erscheint er uns. Aus dem Blätterdickicht treten fort und fort allerlei gewerbliche Etablissements,
Schulgebäude, Villen des Europäerviertels, der hohe Giebel des Zollamts, die Schutzmauern des
Königspalastes und die glänzenden, wundersam gebogenen Dächer der Tempel hervor. Der
„Apollon“ fährt an einer ganzen Reihe von flaggengeschmückten Segelschiffen, Kanonenbooten
und Jachten entlang. Wir dampfen durch sozusagen regelrechte Strassen, die nur aus den
SIAMESISCHE PFAHLBAUTEN.
schwimmenden Bauten derjenigen Stadtbewohner bestehen, die ständig' auf dem Menam und
seinen zahllosen Kanälen .hausen. .Interessante Männer- und Weibergestalten, die man nach Kleidung
und Haartracht allerdings nicht voneinander zu unterscheiden vermag, kauern gruppenweise
auf den unscheinbaren Verandas dieser eigenartigen Schaukelwohnungen (rua), die an tief in den
Schlammboden eingerammten Pfählen befestigt sind. Bei. stürmischem Wetter reissen dieselben
häufig lo s ,. ohne jedoch ihren Bewohnern grossen Schaden zu bringen. Der Wind treibt eben
einen solchen Werkstatt-Laden, ein solches typisches siamesisches „home“ sanft den Strom hinunter
— sie aber binden ihr Schiffhaus auf der' unfreiwilligen Stromfahrt bei der ersten Gelegenheit
ganz einfach von neuem an freistehende Pfosten kunstreich an. Diese Leichtigkeit des Ortswechsels
bewährt ihre Vortrefflichkeit ganz besonders bei Gelegenheit von Brandfällen, die gar
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