
sichtbare Siam lässt sich nur von den Masten aus erblicken. Der sehr fühlbare Wogengang verdoppelt
die Illusion, als ob wir noch auf hoher See wären. Auf der Rhede liegen die direct von
Singapur ausgelaufenen russischen Kanonenboote „Mandschu“ und „Koreaner“ und unter anderm
auch das uns von Singapur bekannte siamesische Kriegsschiff „Mongkut Radschkumar“ , auf
welchem aus Bangkok zur Bewillkommnung des Grossfürsten -Thronfolgers zwei Brüder Sr. Majestät
entgegengefahren sind: die Minister des Auswärtigen und des Hofes. Sie kommen sofort
an Bord der „Pamjat Asowä“ , den Grossfürsten nochmals zu begrüssen.
Trotz des starken Wogenganges stattet ihnen Se. Kaiserl. Hoheit auf dem Kutter einen
Besuch ab. Wir müssen uns mit Bedienung und Bagage auf die beste königliche Jacht
„Apollo“ begeben, um Bangkok zu erreichen. Dieses Schiff steht unter dem Commando eines Dänen,
Commodore de Richelieu, aus dem berühmten französischen Geschlechte. T r geniesst hierzulande
allgemeine Hochachtung wegen seiner nützlichen diplomatischen Rathschläge und als vortrefflicher
Instructor. Interessant ist schon der Umstand, dass der hiesige Hof sich in derartigen Angelegenheiten
weder an Engländer, noch an Deutsche wendet, sondern an das verhältnissmässig kleine Reich, von
welchem ihm weder Ränke, noch bedenklicher Einfluss drohen. Es zeigt sich darin die Weisheit
des Herrschers, der zwar geneigt ist, vom Abendlande die vielseitigsten Kenntnisse zu empfangen,
zugleich aber auch durch die Erfahrungen seiner Vorgänger auf. dem Throne, sowie seiner nunmehr
ins Unglück gestürzten Nebenbuhler in der Nachbarschaft belehrt ist, welche Gefahr das
Vertrauen auf die Fremden mit ihren gefährlichen Colonisationsprojecten in sich birgt. Die wohlhabende
Jugend Siams begiebt sich gern nach Amerika und Europa, um fremde Einrichtungen
und Sitten zu studiren und sich aus eigener Anschauung über ausländische Lebensformen, sowie
über • materiellen Fortschritt zu unterrichten. Es gibt Prinzen königlichen Geblüts, die dort recht
ernst und fleissig studiren, die sich gebildete Erzieher und Gouvernanten hach Siam verschreiben
lassen, den Fremden Nebenämter im Staate verschaffen, gleichwohl aber ein Princip hochhalten
und vertheidigen: „Siam für die Siamesen.“ Wiewol das Land sich äusserlich nicht so glücklicher
Bedingungen einer raschen Entwickelung erfreut wie Japan, so gelangt es dennoch, nach Maassgabe
seiner Kräfte, Jahr für Jahr zu grösserer Wohlfahrt, und wenn über den materiell schwachen Staat
nicht plötzlich irgendeine schwere Katastrophe hereinbricht, so kann es noch in den ersten Jahren
des 20. Jahrhunderts eine höchst sympathische Erscheinung gewähren und hoffentlich sogar unter
den aufgeklärten Nationen mit hervorragender Vergangenheit eine Rolle spielen.
Freitag; 20. März.
Früher Morgen. Die königliche Jacht passirt gemessenen Laufes die seichte Mündung des
Menam. Es wäre der Technik nicht allzuschwer, die hemmende Barre vollständig zu beseitigen,
die das sonst tiefe Fahrwasser des Stromes unterbricht; allein die Siamesen stemmen sich aus
politischen Erwägungen dagegen, dass europäischen Panzerschiffen die Einfahrt in denselben
erleichtert werde. Links glänzen auf Bambuspfählen ausgebreitete Fischernetze. Ein kleiner Leuchtthurm
ragt einsam unmittelbar aus den Wogen hervor. Das niedrige dichtbelaubte Ufer tritt immer
schärfer zu Tage. Die feuchte Tropenvegetation überwuchert dasselbe und entzieht einstweilen
das Land unsern Blicken.
Kanonenschüsse . . . der übliche Salut. . . Paknam. Die erste siamesische Stadt mit einer
schönen, kleinen Festung und einer weissen, in einer glockenförmigen vergoldeten Kuppel
endigenden Pagode auf einem Eiland mitten in der sich schlängelnden Strömung. Häuschen auf
Flössen, Pfahlbauten am Ufer, dahinter etwas höher in der Mitte des freundlichen Oertche'ns ein
Gebäude ganz europäischen Stils mit Telegraphendrähten. Mit Bastmatten bedeckte, hauptsächlich
PAKNAM.
mit getrockneten Fischen beladene Boote, die eher riesigen
Tonnen gleichen, huschen behend auf dem Strome dahin, dank
dem Eifer der gewandten Ruderer, die,, der Stimme nach,
zum nicht geringen Theile Weiber mit breitkrämpigen Strohhüten
und hellem Gewände sind.
Vor noch verhältnissfnässig ganz kurzer Zeit durften
Kriegsschiffe fremder Nationen nicht über die Festungswerke
von Paknam hinaus landeinwärts nach Bangkok fahren, ohne
ihre Kanonen den Behörden zu übergeben. Wahrscheinlich gewärtigten
die misstrauischen Siamesen seitens der weissgesichtigen Eindringlinge nichts Gutes
und ergriffen alle Maassregeln, um deren überaus rege Wissbegierde und Unternehmungslust in
Sachen der Erforschung des Landes, womit sie ihre geheimen Colonialbestrebungen zu verhüllen
gedachten, in Schranken zu halten; Jetzt ist das anders. Die Regierung freut sich sogar
offenkundig über die Aufmerksamkeit, die Europa und Amerika dem Lande widmen. Was aber
Russland betrifft, so weiss sie den Besuch, den unser Geschwader unter der Flagge des Thronfolgers
dem Menam abstattet, voll und geziemend zu würdigen. Ein russisches Kanonenboot
hat die Sandbank der Mündung hinter dem „Apollo“ passirt und bewegt sich majestätisch
hinter uns her. Der zum Ersticken heisse Tag ist in seine Rechte getreten. Auf dem Verdeck
der Jacht ist ein Frühstück servirt. Bis zur Haupt- und Residenzstadt bleiben noch zwei
Stunden (40 Kilometer). Wir durchschneiden die Wasserfläche in eintöniger Landschaft, wo das
Laubwerk alle menschliche Cultur überwuchert zu haben scheint Von Zeit zu Zeit gleicht die
Umgebung fast einer Wildniss, während doch, wie wir wissen, ringsumher der Puls regsten
Lebens schlägt Die Natur und die Menschen haben sich gleichsam verschworen, sich vor neugierigen
Blicken durch die spanischen Wände undurchdringlichen Grüns zu bergen, um unter der