
meine Dörfer wimmeln von Einwohnern, mein Fürstenthum ist ein blühender Garten, meine
Unterthanen leben im Wohlstände. In meinem Benares strömen die hervorragendsten Kauf leute
des Landes zusammen, im Vertrauen auf die hier herrschende Sicherheit des Eigenthums. Die
Schätze der Mahratten, Sikhs, Dschats und der endegensten Stämme Indiens häufen sich im
Umkreise meiner Hauptstadt an. Hierher kommen unter dem Schutz der Heiligen furchtlos
Witwen und Waisen. In meinen Besitzungen mag der Reisende jederzeit sein Haupt getrost
hinlegen und ohne Argwohn vor Gefahr der Ruhe pflegen. Werft dagegen einen Blick auf
die* Lage, in welcher sich das von den Engländern eroberte Land befindet: Hunger und Elend,
Strassenraub, die Aecker verwahrlost, die Wohnstätten öde und leer -tfffdas ist der Zustand
des Landes, wie er sich den Augen des. Beobachters darstellt. Diesen Eindringlingen genügte
es nicht, mich zu Grunde zu richten: es gelüstete sie auch nach meinen Gütern, meinem
Schlosse, meiner E h re .... Auf, Freunde und Landsleute! Lasst uns die raubgierigen Ankömmlinge
vertreiben! Es handelt sich um unser aller Wohl, für welches wir gemeinsam einstehen
müssen.“
Schliesslich fiel Ramnagar Warren Hastings in die Hände, der in der fürstlichen Schatzkammer
5 Millionen Mark erbeutete. Der aus 300 Frauen bestehende Harem wurde durchsucht,
sogar die Mutter des Maharadscha ihres Schmuckes beraubt, und auch Benares selbst musste eine
Gontribution von 10 Millionen Mark zahlen. Riesige Beute schleppten die Theilnehmer an diesem
Kriegszuge fort. Der Führer der Truppen, Major Potham, nahm für sich etwa 700000 Mark in
Anspruch, die übrigen Offiziere jeder 80—100000 Mark, die Soldaten bis zu 30000 Mark. Ist
es da ein Wunder, wenn Indien infolge solcher Wirthschaft in seinen Quellen versiegt?-
Nicht zufrieden mit der Einverleibung des Gebietes von Benares nahm die Ostindische
Kompagnie zwei Sultaninnen von Audh zur Strafe für die Tscheit Singh bewiesene Theilnahme
nahezu 60 Millionen Mark ab, wie zur Strafe dafür, dass dieser Theil Indiens von alters her sich
innig mit Benares verbunden fühlte.
Vergebens suchte sich Tscheit Singh in seinem 90 Kilometer von Benares entfernten
Schlosse Bidschirgar zu behaupten; er verbarg sich dann in den Bergen von Bändelkand und starb
zwanzig Jahre später in Gwalior.
Wie reich an ähnlichen traurigen Ereignissen ist doch die jüngste Colonisationsgeschichte
dieses Continents!
Die fürstlichen Reisenden wurden vom Fürsten Prabhu Narayan Singh und seinem ältesten
Sohne empfangen. Der Maharadscha stammt von einem Neffen Tscheit Singh’s ab, den Warren
Hastings zum nominellen Herrscher eingesetzt, dem er aber einen Residenten als eigentlichen
Machthaber beigegeben hatte.
Die fürstliche Familie verfügt noch immer über ansehnliche. Reichthümer und geniesst
seitens der Regierung das Vorrecht, mit 13 Salutschüssen begrüsst zu werden. Sie lebt seit
langem ausserhalb aller politischen Bewegungen, die Indien in seinem Innersten durchbeben. Und
doch wurden in Benares nach der Entthronung der Dynastie zweimal englische Beamte ermordet.
1857 brach auch hier der Aufstand aus. Vor Ingrimm weihte sich einst das Volk dem Hungertod,
dessen moralische Folgen nach indischem Glauben auf die Urheber fallen mussten. Doch
wurde die Unruhe beschwichtigt In Ramnagar schien Ruhe und Zufriedenheit zu herrschen. Es
ist, als ob die stillen Wogen des Ganges, die ins schwüle Meer des Südens die Geheimnisse der
Firnfelder des himmelragenden Himalaya tragen, die Nachfolger Tscheit Singh’s in stille Träumereien
gelullt hätten.
Vor dem Schlosse steht ein Wachtposten in mittelalterlicher Panzerrüstung. In den theil—
weise in europäischem Geschmack ausgestatteten inneren Räumen beschleicht den Besucher aber
ein Gefühl der Enttäuschung.
Vor dem Maharadscha und seinen Gästen erklingen die wehmutsvollen Weisen eines
indischen Tanzes. Drei verblühte Bajaderen schweben in langsamen Reigen inmitten des Gemaches.
Seit den ältesten Zeiten müssen diese Mädchen bei jedem feierlichen Empfange auf-
treten. Selbst die Götter im indischen Paradiese erfreuen sich an solcher Kunstleistung.
Beim fürstlichen Schlosse soll ein den Andersgläubigen verschlossener Tempel des Veda
Vyasa, des Sammlers der Veda-Hymnen, stehen. Nach dem heiligen Benares unterwegs, fand Veda
Vyasa, es sei für ihn schon Glücks genug, bis Ramnagar gelangt zu sein. Darum segnete er das
bis dahin unscheinbare Ufer und machte es weithin berühmt. Noch jetzt werden jährlich im Januar
und Februar Feste gefeiert, zu denen Wallfahrer aus allen Theilen Indiens, , selbst aus der'stolzen
Nachbarstadt, zusammenströmen. In Ramnagar befindet sich auch eine Bildsäule der Ganga: Die
Göttin trägt ein Diadem und sitzt auf einem Krokodil, das selbst wieder den Strom verkörpern soff
Sie hat vier Hände; in der einen trägt sie eine Lotosblume, in einer ändern eine Schale, die
dritte ist etwas gesenkt, die vierte leicht erhoben.
Glut und Sonnenglanz liegen auf dem königlichen Ganges. In einer geräuipigen; bunt
bemalten Barke mit zwei hölzernen Rossen am Bug fahren wir unmerklich den Tempeln von
Benares langsam zu.
Worauf beruht die Bedeutung des „göttlichen“ Stromes und woher rührt der Glaube an
seine wunderthätigen Eigenschaften?
Das Wasser geniesst im Orient allgemeine Verehrung. Der Schlangencultus selbst hängt
wahrscheinlich mit den Vorstellungen der Urzeit über das strömende Element zusammen. Die
Vedas verherrlichen die belebenden Flussquellen als Göttinnen, als die „Mütter der Erde“ . Wo die
Natur eine Stiefmutter ist, wo alles von der Bewässerung abhängt, ist es natürlich, wenn der
Mensch dem personificirten Ursprung aller Fruchtbarkeit seine Verehrung darbringt.
Welcher andere indische Strom wäre den sich kümmerlich abmühenden Bauern, der Hauptmasse
des indischen Volkes, von grösserm Werthe als der Ganges?
Tausend Kilometer weit ist er der Nährvater. Das Schicksal ganzer Generationen hängt
von seinen nie versiegenden Wassermassen, von der befruchtenden Kraft seines Schlammes ab.
Im - allgemeinen ist der Ganges wasserreicher als der Nil. In einem fast unzugänglichen Theile
des Himalaya entspringt der bedeutendste Strom Indiens in einer Höhe von 4500 Meter aus einem
mächtigen Gletscher.
Die Brahmanen verklären in ihrer Weltanschauung seinen .Ursprung aus eisigen Gefilden
mit poetischem Nimbus. Die Wischnuverehrer sind überzeugt, dass er aus dem Vaikuntha, dem
lichtstrahlenden Paradiese ihres Gottes, kommt, wo er unter dessen wunderthätigen Fusstapfen
hervorquillt. Die Schiwagläubigen lassen den seiner irdischen Incamation zustrebenden Strom
aus dem Himmel von dem froststarrenden Haupthaare ihres Gottes niedersteigen. Der furchtbare
Schiwa war auf den Zinnen seines Kailasa in der Betrachtung der in eisiger Todesöde rings
um ihn liegenden Bergwelt wie erstarrt, als er sich plötzlich die Lage der nach Wasser lechzenden
südlichen Länder vergegenwärtigte und den befruchtenden Wassermassen ihren Weg dorthin wies,
die sich denn auch mit gewaltiger Macht von Haupt und Schulter dieses Herrn der Welt ergossen.
Wol ist Schiwa’s Wirken Zerstörung, aber er ist zugleich der Urgrund alles Werdens!
Der Ganges ist der heiligste Strom Indiens; daher wird auch das Gedächtnissfest (Dassachara)
seines wunderbaren Werdens hoch gefeiert. Wer in dieser Zeit Blumen und Kräuter opfert und
im Strom badet, tilgt die Sünden von zehn früheren Wiedergeburten. Brahmanen vom Ufer der
Orientreise. II. - • ' ' 2