
Auf unsrer Fahrt durch die Stadt eilen wir an zahlreichen Kaufläden, an armseligen
Werkstätten fleissiger Handwerker vorbei. In erster Linie fesseln die Kupferarbeiten, die sich durch
ganz Indien eines hohen Rufes erfreuen. Es sind Krüge, Schüsseln, sogenannte Lotas, auch
Becher, die dazu dienen, die Pilger auf längere Zeit mit dem heiligen Gangeswasser zu ihren
Waschungen zu versehen. Auch Leuchter, Lampen, Glocken und Räuchergefässe werden sehr
hübsch angefertigt. Jahrtausende hindurch haben sich deren elegante charakteristische Formen
erhalten. Das Wunderland Indien hat sich in manchen Dingen des äussern Lebens selbst in den
Einzelheiten die vorhistorischen Formen bewahrt. In den überlieferten Gestalten der religiösen
Sinnbilder und der mythischen Figuren schaut der Hindu auf seinem kupfernen Hausrat noch heute
die Urzeit seiner Heimat, liest er die uralten Götter- und Heldensagen.
Die Stadt Schiwas kann nicht nur als das Mekka des Hinduthums, als das Athen brahma-
nischer Weisheit, sondern auch als das Birmingham indischen Gewerbfleisses bezeichnet werden,
obwol es unter dem europäischen Mitbewerb vielfach hat leiden müssen.
Unermüdlich fleissige Hände verarbeiten hier Edel- und andere Metalle in kunstvoller
Weise und schmücken die Erzeugnisse mit Ornamenten so zart wie das Geäder eines Blattes
oder die bunten Federchen eines Vogels. Ausserdem werden grosse Mengen Brokat, Seidenstoffe,
Musselin, Sättel, Waffen mit kostbarer Damascirung hergestellt, die den Fabrikaten von Ahmedabad
in nichts nachstehen. In früheren besseren Zeiten, besonders als die reichsten Fürsten hierher
kamen oder sich durch glänzende Gesandtschaften vertreten Hessen, hat die Arbeit der Bürger von
Benares reicheren Lohn gefunden. Im Besitz uralter metallurgischer Geheimnisse verstehen die
Leute noch heute mit den einfachsten Werkzeugen, oft nur mit gewöhnhchen Nägeln, prächtige
Werke zu schaffen; angeborene Handfertigkeit und ein scharfes künstlerisches Auge kommen ihnen
dabei zu statten. Auf Schritt und Tritt sieht man neben einem brillentragenden Graukopf einen
frischen Jungen an derselben Arbeit thätig.
An den Arbeiten der Kupferschmiede mussten wir besonders die Eleganz und den Farbenglanz
bewundern. Zum Theil erklärt sich dieser aus der benutzten Legirung, die neben dem
Kupfer noch Quecksilber, Zinn, Blei, Gold und Silber enthält Solche Geräthe werden von den
■Fremden gern als Andenken gekauft
Zu den beliebtesten und zahlreichsten Erzeugnissen dieser Art gehören die gottesdienstfichen
Geräthe, auch Götterfiguren in allen Formen und Grössen, die freüich abendländischen Begriffen von
Schönheit oder Erhabenheit nur selten entsprechen mögen. Auch andere Handwerker dienen auf
analoge Weise den Bedürfnissen der Menge; Töpfer z. B. fertigen. Götterbilder, die von den
Gläubigen nach geschehener Verehrung andachtsvoH in den Strom versenkt werden.
Wir fahren an einem grossen, halb in gothischem, halb in indo-arabischem Stil erbauten
Gebäude vorüber. Es ist eine der hervorragendsten Hochschulen für die Eingeborenen, die sich
aus einer vor hundert Jahren gegründeten Sanskritschule entwickelt hat. In der letzten Zeit ist die
Zuhörerschar unter der Leitung des talentvollen Director Griffith und des Orientalisten Arthur
Venis auf etwa 700 angewachsen.
Die exotische Universität steht vielleicht gerade da, wo Kapila und andere brahmanische
Weise ihre vielverschlungenen philosophischen Systeme entwickelten und der grosse Grammatiker
Panini den Bau seiner götdichen Muttersprache erkennen lehrte. Wie um an jene Zeit zu erinnern,
ragt hinter der Schule ein merkwürdiger Denkstein empor, den man mit den Trümmern mancher
Bildsäulen aus den nächsten Umgebungen hierher geschafft hat
Vor der Stadt erhebt sich hinter einer Mauer ein Tempel mit verziertem Dache. Affengeschrei
dringt von dort gedämpft zu uns herüber. Ein paar rothhaarige Affen lugen neugierig
aus dem Geäste auf den Weg. Es ist ein berühmtes Heiligthum der blutdürstigen Durga, in
dessen Nachbarschaft sich Hunderte der boshaften faulen Geschöpfe tummeln. Die Hindu begegnen
ihnen mit grösser Achtung und spenden ihnen nicht nur reichüch Nahrung, sondern ertragen
auch aUen Schabernak mit Geduld. Lange haben die Affen um Benares als unantastbare
Wesen gegolten. Jetzt sucht man sich mit Zustimmung der einsichtigeren Priester der unverschämten
Gäste allmählich zu entledigen, indem man sie scharenweise bei Nacht in die Dschungeln
des jenseitigen Gangesufers schafft.
Sieben Kilometer von der Stadt Hegt auf einem steilen Abhang am rechten Gangesufer
Ramnagar, die Residenz des Maharadscha von Benares, der hier jedoch keinerlei obrigkeitliche Gewalt
mehr ausübt. Sein prunkvoUer Titel sticht traurig gegen die Bescheidenheit seiner wirkHchen
Bedeutung äb, trotzdem er hier zu Lande als der einzige Fürst echt brahmanischen Geblütes gilt,
wenn auch einer untergeordneteren Kastenabtheilung entstammend.
Der Zeitlauf ist nun einmal ohne Erbarmen. Vor den Resten der von ihm zerstörten
Schöpfungen des Menschengeistes kann man sich mit der Geschichte ihres Aufblühens versöhnen,
vor erhabenen Ruinen bleibt man mit stummer Ehrfurcht stehen. Tritt uns aber eine dem Untergang.
geweihte historische Gestalt mit Fleisch und Blut entgegen, in einer nicht mehr dazu passenden
Umgebung, so fühlt sich unser Empfinden durch das Misverhältniss noch schmerzHcher verletzt
Aehnlich ergeht es einem heute bei der Annäherung an Ramnagar, vor welchem drei bis
vier Elefanten, die unentbehrlichen Prunkthieré bei jedem indischen Empfang, Wache halten.
Ramnagar! Heute ein wesenloser, wenn auch noch stolzér Ñame, noch vor hundert Jahren
fühlte sich hier ein begabter Hindufürst als unbeschränkter Herrscher! Trotz des steten Anrückens
des Islam (vom 12. Jahrhundert an), trotz der Annäherung der Europäer stand noch das Fürstengeschlecht
beim Volke, mit dem es innig , verwachsen war, in hohem Ansehen.
| j|IUms Jahr 1780 weigerte sich der Maharadscha Tscheit Singh, der Engfisch-Ostindischen
Kompagnie mehr als 1000 Sepoys als Hilfstruppen zii steUen. Er hatte den Engländern für
angeblichen Schutz riesige Summen gezahlt und war der ewigen Forderungen müde geworden,
nachdem die Kompagnie so weit gegangen war, ihm zur Strafe eine Busse von zehn Milfionen
Mark aufzuerlegen. Der Generalgouverneur Warren Hastings eilte mit einer starken Escorte nach
Ramnagar und Hess den ahnungslosen Radscha am frühen Morgen tückisch in seinem Palais verhaften,
obschon ihm dieser am vorhergehenden Tage ehrfurchtsvoU entgegengekommen war und
zum Zeichen seiner Ergebenheit den Turban auf die Knie gelegt hatte. Das Volk empörte sich;
selbst die sonst so stiUen Wallfahrer versuchten mit Waffengewalt die Befreiung des gefiebten Fürsten.
Mehr als dreihundert engfische Soldaten mussten die dem Maharadscha zugefügte Schmach mit ihrem
Leben büssen. Während des Aufstands entkam der Fürst, indem er sich an zusammengeknüpften
Binden die Mauer hinab in einen bereit gehaltenen Kahn flüchtete. Auf die Nachricht von seiner
gelungenen Flucht zögen die Hindus in die Stadt zurück, bfieben aber eines Angriffs seitens der
Engländer gewärtig. Tscheit Singh bat Warren Hastings brieflich um Verzeihung. Die Nachbarländer
befanden sich in Gärung, schon drang die Empörung bis nach Audh, aber als die Ostindische
Kompagnie ein starkes Heer geschulter Mannschaften aussandte, zerstreuten sich die 30000
freiwilfigen Vertheidiger. Vergebens steHte der Radscha von Benares in einem Sendschreiben den
stammverwandten Herrschern vor Augen, wie glücklich sein Land, wie unglücklich aber die von
den Engländern besetzten Gebiete seien. Vergebens schrieb er: „Meine Ländereien sind angebaut,