
ihr zweites Vaterland betrachten. Ehen mit eingeborenen Weibern, das volle Bemeistern der
einheimischen Sprache, Ausbeutung der indolenten Bevölkerung, schlaue Wahrnehmung des Augenblicks,
wenn es gilt, den Behörden gefällig zu sein, alles fesselt die Gelbgesichter an den Boden von
Java. Der Chinese ist auf der Smaragdinsel und in ihren Nachbarländern überall vertreten. Er
ist Fabrikant, Gutsbesitzer, Pächter; aber auch als Architekt, als Wucherer und Pfandleiher, als
Schreiber, Buchdrucker, Kutscher und Koch; kurz als alles, was man nur verlangen mag, ist er thätig.
Ein Vertreter der zahlreichsten Rasse verschafft sich gewöhnlich auf künstlichem Wege einen
Credit und wird, heute noch ein halber Bettelmann, morgen schon ein Kapitalist. Unermüdlich erweitert
er seine Handelsoperationen, fährt in einer Equipage aus, schleicht sich mehr und mehr
in das Vertrauen europäischer Handelshäuser ein, die ihn nicht controliren können, da er seine
Bücher in chinesischer Weise führt — und plötzlich erklärt er sich eines schönen Tages bankrott!
Selten gibt es Mittel, den Zusammenbruch solcher Eintagsfirmen vorauszusehen. Man ist hier
jedoch schon so sehr an solche Katastrophen gewöhnt,: dass derlei Ereignisse den zwischen den
Weissen und den Chinesen bestehenden modus vivendi nicht zu stören vermögen. Die letztem
sind in den holländischen Colönien mit einer Extrasteuer, von 4 bis 100 Mark per Zopf, belegt und
haben ausserdem schwere
Abgaben zu zahlen.
Dieses halbfremde
Element ist angewiesen,
eigene Stadtviertel zu
bewohnen, und steht
unter der Aufsicht und
Verwaltung eigener, der
Regiemng verantwortlicher
sogenannter Majore,
Kapitäne und Lieutenants
, die aus der
Mitte der Chinesen gewählt
werden.
THEATER VON BATAVIA.
Die heranwachsende Generation der Gelbgesichter zeichnet sich durch grosse Fähigkeiten
aus und gibt sich alle Mühe, in europäisch geleiteten Schulen eine gewisse Bildung zu erlangen.
In der Absicht, Beamte heranzuziehen, die geläufig chinesisch sprechen und den Behörden in
ihrem Verkehr mit den Unterthanen sich nützlich erweisen können, commandirt die Regierung
ins Himmlische Reich junge Leute ab, die sich eine gründliche Kenntniss der chinesischen Cultur
und Sprache erwerben müssen. Solche Sinologen erhalten, wenn sie als Dragomane nach Java
zurückkehren, Anstellungen von etwa 10—120 0 0 Mark Jahresgehalt; doch gibt.»es ihrer nur fünf.
Vom politischen Standpunkt aus hält man das Himmlische Reich vorläufig noch mit
Recht für starr und für unfähig, selbst auf die ihm ökonomisch wichtigen Gegenden Asiens einen
activen Druck auszuüben. Es ist aber die Frage, ob diese Auffassung nicht unzureichend ist.
Potenziell ist das „Land der Mitte“ etwas so Ungeheueres und Mächtiges, dass gar nicht abzusehen
ist, wozu es sich im Laufe einiger Jahrzehnte entwickeln wird. Wenn Japan es verstanden
hat, auf der Bahn materieller Reformen und. technischer Vervollkommnungen rasch vorwärts zu
schreiten, so liegen keine Gründe vor, dass nicht auch China, nur in viel grösserm Maassstabe,
erwachen werde. Seine Bevölkerung ist nicht minder begabt und im ganzerTauch nicht weniger
bildungsbedürftig als die Bewohner der Nachbarinsel, die sich mit vollem Bewusstsein endlich entschlossen
haben, beim Abendlande in die Lehre zu gehen. Welche äussere Ursachen es auch immer
sein werden, die das Reich der Mitte aus seinem sogenannten Stillstand herausführen können — .
einem Stillstände, der für das Reich, das so viele Jahrhunderte überdauert hat, etwas ganz Vernünftiges
und Normales gewesen ist — eine neue Aera wird es ohne Zweifel in eine Wirbelströmung
hineinziehen, wird es künstlich in.Bewegung setzen und zu neuem Leben anregen,
soweit dies die Natur eines gutmüthigen Riesenvolkes zulässt. Das Schlussergebniss der
Wiedergeburt dieser Menschenmillionen, die mit Recht stolz sein dürfen auf ihre uralte, selbsterworbene
Cultur, muss die Chinesen anspornen, eine ihren innigsten Wünschen entsprechende
Regierung zu bekommen, welche die Unterthanen zu Reichthum und Ruhm und zu einer gewissen
Rolle vor dem Areopag der Grossmächte führen könnte. Chinas Herrschern gehört in der Zukunft
die Oberherrschaft über den Stillen Ocean an Asiens Gestaden. Europa runzelt die Stirn schon
bei dem Gedanken an solche Vermessenheit der gelben Rasse. Diese aber hegt im stillen, wenn
auch noch unklar, nur den einen Gedanken: wie werden wir im Stande sein, die Gefahr von
uns abzuwenden, dass die „überseeischen Teufel“ unsere Küsten in Beschlag nehmen (wobei
zu bemerken ist, dass Russland für die Bürger des Himmlischen Reiches eine politisch näher
stehende, in manchen Beziehungen geistesverwandte Macht ist, die nicht nach Art der ändern
sich auf Colonialpolitik verlegt), dann aber: auf welche Weise sollen wir im nächsten Jahrhundert den
Ueberschuss unserer leidensvollen Arbeiterbevölkerung vor dem Hungertode retten? Soll diese Gefahr
nicht eintreten, so bedarf China für die Ernährung seines Bevölkerungsüberschusses im 20. Jahrhundert
der für das Reich der Mitte natürlichen Colonien Annam, Cochinchina und Kambodscha,
Siam und Birma, der ausgedehnten" Malaienländer, Formosas, der Philippinen, Borneos, Sumatras
und Javas. Unter welcher Dynastie dann China auch stehen möge, mit der Zeit wird es sich unvermeidlich
eine nicht zu verachtende Kriegsflotte schaffen. Alsdann wird der Kampf ums Dasein sich
schonungslos geltend machen. .
Mit welchen Mitteln behauptet sich das kleine Holland im fernen Ostasieii? In wessen
Schutz stehen dort die Interessen dieses sympathischen Königreichs?
Die indisch-niederländischen Besitzungen stehen unter der Verwaltung eines Generalgouverneurs
, dem ein besonderes Inspectionscomit^ in der Hauptstadt übergeordnet ist. Die Regierung
von Java besteht aus sieben Departements:-dem des Innern, des Unterrichts und des Gewerbewesens,
der technischen Angelegenheiten, d. h. genauer: des Eisenbahnen- und Post- und
Telegraphenwesens, der Finanzen, der Justiz, des Militärwesens und der Marine. Der Präsident
der höchsten Behörde sitzt auch im „Rath von Indien“ , der aus durch Erfahrung erprobten Verwaltungsbeamten
zusammengesetzt ist, und hat das Recht, im Nothfalle auch selbständig und gegen
die Ansicht des Raths, aber unter strenger persönlicher Verantwortlichkeit zu entscheiden. Der
hiesige Vicekönig bezieht über 200 000 Mark Gehalt, eine bescheidene Summe, wenn man sie mit
dem vergleicht, was England seinem Vertreter mit splendider Freigebigkeit aus den indischen
Finanzen zuerkennt! Der. Colonialregierung ist das Recht eingeräumt., den einheimischen Fürsten
Krieg zu erklären und mit ihnen Frieden zu schüessen, Todesurtheile zu bestätigen u. dgl.
Die Hauptobliegenheit des Generalgouverneurs besteht in der Sorge für das Wohl der
eingeborenen Bevölkerung im weitesten Sinne des Wortes. Die Bedürfnisse des eingeborenen
Elements sollen vor allem ändern dem Statthalter des Königs am Herzen liegen. Um die ihm
anvertrauten Millionen Menschen vor nicht vertrauenswürdigen Colönisatoren zu schützen, ist er
ermächtigt, Abenteurer aus seinem Reiche auszuweisen. Zur Controle der Thätigkeit auf Java
gibt es ein eigenes Amt, das sämmtliche Nachweise über die Ein- und Ausgaben prüft.
Das Colonialleben ist in seinen Grundzügen so durchaus patriarchalisch, dass es angebracht
ist, darüber ein paar Worte zu sprechen. .