
— Wir fahren an einem schnurgeraden Kanal entlang; zu beiden Seiten scheint eher ein
Wald als die Vorstadt eines grossen Centrums zu liegen. Batavia zeichnet sich dadurch aus,
dass es sich über einen weiten Raum erstreckt, den eine erdrückende tropische Vegetation
überdeckt. Man weiss nicht, wo die Wohnstätten der braunen Menschen anfangen und das
undurchdringliche Dschungel aufhört. Die Waggons rollen eine unbedeutende Anhöhe hinan,
zwischen Bananen, Banianen, gigantischen Cacteen und Kokospalmen. In diesen tropischen
Hainen liegt die Hauptstadt einer ausgedehnten Colonie mit geräuschlos belebten Strassen und im
Blätterdickicht verlorenen Häusergruppen, von einem Hauche blutiger geschichtlicher Erinnerungen
durchweht.
Die Geschichte der Insel gleicht im grossen und ganzen derjenigen Indiens. Ihr Anfang
verliert sich im Dunkel der Vorzeit Jeder Fussbreit Landes, ist hier entweder vom Mythus oder
von irgendeinem tragischen Ereigniss umwoben. Natürlich herrscht zwischen 'den Javanern und
den Bewohnern Indiens ein grösser Unterschied in Bezug auf die Fähigkeit, mit der Menschheit
verschiedener Epochén und Himmelsstriche in geistigen Verkehr zu treten. Aber dieser Theil
ùnsèrs Erdballs. (Jlu der gesammten niederländischen Besitzungen in Asien) lenkte doch schon
seit den. ältesten Zeiten die Blicke fremdländischer Seefahrer, Eroberer und Missionare auf sich.
Die Insel Java ist keineswegs ein jungfräulicher Urwald, der erst durch die Ankunft der Weissen
aus seinem Schlummer geweckt wurde; sie hatte von alters her den Charakter einer sehr eigenartigen
Welt, aus welcher, wie von einem Lichtherde aus, benachbarte Länder (Sumatra, Borneo,
Malakka) vieles empfingen.
Die geographische Lage Javas ist im wesentlichen schon Ptolemäus (im 2. Jahrh. n. Chr.)
bekannt gewesen. Die Chinesen und Hindus haben es schon vor der. christlichen Zeitrechnung
besucht, um dort Handel zu treiben und Faetoreien anzulegen. Phönizische und alexandrinische
Kaufleute holten aus Java Gewürze und machten das Abendland,. obschon in sehr verwirrter
Darstellung, mit dem Charakter des Sunda-Archipels bekannt Als die Erben dieser Vermittlerrolle
folgten die Araber, die mit der malaiischen Rasse auf Madagaskar und dem Rothen Meere in
Berührung getreten waren. Die ersten Muhammedaner fühlten sich von dem natürlichen Drange
beseelt,. die olivenfarbige Rasse in ihren Heimatländern aufzusuchen. Von europäischen Reisenden
drang .als erster Marco Polo dorthin, nach ihm im 14. Jahrhundert der zum Islam übefgetretene
Venetianer Nicola Conti.
Es. ist leicht möglich, dass die sorglosen Portugiesen von sich aus ihre Aufmerksamkeit
nicht so bald auf Java gelenkt hätten, wenn nicht in ihren asiatischen-Besitzungen eine Gesandtschaft
erschienen wäre, die um Hülfe wider, den auf der Insel erstarkten Islam bat, einen Glauben, den
die Lusitanier stets als ihren Erbfeind betrachteten. Deswegen drangen sie auch in diese ihnen neuen
Gegenden und legten so den Grund zur allmählichen Einmischung Europas in das ihm vorher
ganz fremde Leben der indo-malaiischen Bevölkerung.
Diè javanischen Sagen erzählen von den Thaten eines Helden, Namens Saka, der im 1. Jahrhundert
unserer Zeitrechnung hier den Keim der Civilisation legte und die Formen des indischen
Culturlebens auf den noch jungfräulichen Boden des Malaienthums übertrug, das bisher noch mit
keiner höhern Cultur in innigere Berührung getreten war, da die Einwirkung seitens Chinas sich nur in
einem ganz geringen Grade fühlbar machte. Im Laufe von 13 Jahrhunderten stand die brahmanisch-
buddhistische Welt in directer Beziehung zu dem Sunda-Archipel, entfaltete in dem reichen Lande
ihre Schöpferthätigkeit und hinterliess den Eingeborenen Meisterwerke der Baukunst und Bildhauerei,
die nach- Grössenverhältnissen und Symmetrie der Umrisse so erstaunlich sind, dass
selbst ihre indische Heimat nichts an Alter und Stil Ebenbürtiges aufzuweisen hat. Der Naturforscher
Wallace, ein Kenner Javas, bemerkt augenscheinlich mit Recht: „Die Urbevölkerung des
STRASSE IN BATAVIA.