
Trotz der riesenhaft angewachsenen Reiseliteratur und des in den letzten Jahren so erleichterten
Besuchs von Ländern wie Java, trotz des Interesses, das jetzt für solche Gebiete wach
geworden ist, wéiss ‘doch .die europäische Lesewelt nur wenig über die Vergangenhijlja sogar
über die Gegenwart dieser Länder unter dem Aequator. Ihre GeschicUte'ist fast noch ganz un-
erforscht, der Charakter der Bevölkerung und ihre Lebensanschauung sind erst höchst mangelhaft
aufgehellt. Die infolge dessen; lückenhaften Nachrichten geben den Schilderungen der Reisenden
nothwendigerweise einen dürftigen Anstrich.
Wie kommt es z. B., pjg||Niederländisch-Indien nur von einer Hand -¿Oll wejsser Beamter
und Pflanzer regiert wird,:' rón Männern allerdings, deren Wort mit der That überemstimmt und
bei denen nicht Fortschrittsphräsen Hand in Hand mit Vergewaltigung gijaen? Die Holländer sind
in dieser Beziehung offenherzig und nüchtern; unnütze Sentimentalität ist'ihnen fremd.
Die Bevölkerung Javas ist verhältnissmäSSjg dicht und besteht im grösser, und ganzen aus
einer Rasse; zudem ist sie ziemlich kriegerisch veranlagt und etwas widerspenstigen CharakteSSi
Trotzdem ist die Sicherheit der Europäer hier viel weniger in Gefahr als die der Engländer in In d iQ
p sich, , dass d id f glücklichen Länder unter Hoflands Aegide gegenwärtig
eine Phase ihrer,Cuitar durchleben, in welcher sie sich wachsend zum Islam hingezogen fühlen?':
Die Grundlagen des hohem Lebens der Javaner sir.d doch so innig verknüpft mit l e f f uralten
Einflüssen seitens des Heidenthums in Hindostán und Südchina! Was für ein Geschick harrt noch
dieser-Colonie, die sich zwar eines ungewöhnlichen Reichthüms erfreut, sich aber politisch in einer
unvorteilhaften Lage befindet?
Lose Tagebuchnotizen mögen innerhalb der Grenzen der Möglichkeit einer kurzen Beant-
wortung solcher Fragen gewidmet sein.
NocVÄnd es keine dreihundert Jahre, seit Vertreter der germanischen Rasse den Spuren
der Portugiesen zu folgen begannen und sich auf Java festsetzten. Erst 16 10 legte der Seemann
Pieter Both die häctorei Batavia an, nahe bei der alten Hauptstadt Jacatra („Siegesstadt“ ) am
Husse Tjiflwungi r Anfinglich liess sich schwer vpräussefien, wehflgl europäische Volk ( fle B lo n i-
satoren aus dem Vaterlande Vasco da Gamas verdrängen würde: ob die Franzosen, die Hofländer
oder die Engländer. Die letztem dachten damals noch nicht daran, im Orient die Oberherrschaft
zur See zu beanspruchen;, erst spät bemächtigten sie sich dieses Platzes, indem .sie die unverzeihliche
Fahrlässigkeit der ändern Nationen ausnutzten.
Damals bildete die indisch-malaiische Welt für die Briten ein verlockendest Ziel als däs
Reich der Grossmoguls. Nichtsdestoweniger verfügte die niederländische Regierung über Energie
und Mittel genug, um dem fremden Einflüsse zu begegnen.
Im Laufe eines halben Jahrhunderts verfünffachte sich die Bevölkerung der Insel Java.
Gleichwol -bietet die Insel der zukünftigen eingeborenen Generation noch lange genügend freies
Land und ausreichende Nahrung, wenn nicht etwa Millionen Chinesen die Insel überschwemmen
sollten, was leicht möglich ist Der Grosse Ocean mit den bezaubernden Fesdandstheilchen an
seinen Rändern ist der Weg, auf welchem der BevölkerungsübersehlJ des Himmlischen Reiches
seinen Abfluss findet und auch später finden w ird lj/ J. Bei uns in Russland denken manche
Pessimisten, dass ein Vordringen der Zopfträger nach Sibirien nicht ausgeschlossen ist; doch ist
dies schwerlich der Fall Nur die bitterste Noth könnte jene£;;ackerbauende Volk,~das seinen
Instincten nach dem Süden angehört, veranlassen, dort einzuwandern; ist doch Sibirien ein Erdstrich,
wo allein der chinesische Kaufmann sich ein weites Feld der Thätigkeit eröffnen könnte,
dagegen ist hier unter keinen Umständen jemals ein Andrang ackerbautreibender Gelbgesichter zu
erwarten. Java dagegen mag wol früher oder später nach dem Rechte des Starkem zur Arena
der weitem Entwickelung Chinas werden. Der Kampf um dessen Zukunft dürfte hier einst leicht
entbrennen, sobald die drückende Enge in der Heimat einer lebenskräftigen halben Milliarde
Menschen den Zwang auferlegt, zur Selbsterhaltung nach Südosten auszuwandern. Alsdann
geht die ziemlich passive malaiische Rasse trotz ihrer Begabtheit unausweichlich einer Leidensperiode
entgegen.
Der Hafen von Batavia ist ganz neuen Ursprungs. Die mächtigen Wellenbrecher hinter
uns, die Werkstätten, der Eisenbahndamm längs des Hafenkanals, auf welchem Schiffe jeder Grösse
schwimmen, alles ist gleichsam erst von gestern und legt beredtes Zeugniss ab für die sorgfältigen
Bemühungen der Behörden, die etwas sinkende Bedeutung Batavias wieder zu heben. Die
unbequeme Rhede, die zunehmende Versandung des Fahrwassers infolge der Flussanschwemmungen,
die Concurrenz von Singapur im Weltverkehr bestimmten endlich die bedächtigen Holländer,
12 Millionen Mark für die neuen Hafenanlagen von Tandjunk Priok auszugeben. Im Jahresdurchschnitt
kommen etwa 850 Schiffe von 780 Millionen Tonnen hierher. Zwei Drittel der Ladungen
werden mit Dampfern befördert (auf 450-holländische rechnet man gewöhnlich 125 englische und
25 französische, in der letzten Zeit kamen auch einige siamesische dazu); der Rest geht in Segel-
schiffen. Mehr und mehr machen sich im Schiffsverkehr die norwegische, deutsche und italienische
Flagge bemerkbar. Auch Oesterreich-Ungarn betheiligt sich mit wachsendem Antheil an
der Ausfuhr nach Niederländisch-Indien.
Bis 1825 wahrte die niederländische Regierung das Recht des Handelsverkehrs mit Java
eifersüchtig ausschliesslich ihren Unterthanen. Dann aber begriff sie den Vortheil der Eröffnung
der javanischen Häfen für die Handeltreibenden anderer Nationen. Bei der Freigebung des Handels
blieb nur das Recht der Küstenschiffahrt monopolisiert, wurde aber fast ganz den Eingeborenen
überlassen. Die Behörden wachen streng darüber, dass ohne ihr Vorwissen kein Opium, keine
Feuerwaffen und kein Pulver eingefuhrt werden. Die Ausfuhr archäologischer Gegenstände ist
verboten, was übrigens keineswegs verhindert, dass solche in fremde Museen gerathen.
Im Innern der Insel haben fast den gesammten Handel die Araber, die muhammedänischen
Inder und die Chinesen in den Händen, wobei den letztem wie gewöhnlich der Löwenantheil
zufällt Die Javaner sind noch allzu apathisch und lassen sich leicht ausbeuten.
Früher (noch im 17. Jahrhundert) war es den Angehörigen des Himmlischen Reiches, nicht
gestattet, ihre Handelsoperationen übermässig auszudehnen. Sie schliessen sich nun immer enger zu
Geheimbünden zusammen und reissen einen Handels- und Gewerbszweig näch dem ändern an sich;
sie sind die besten Tischler, Steinmetze,, Schmiede, Maler, Schuster, Uhrmacher u. s. w. Und
doch gab es eine Zeit, wo die Autochthonen an geschickten Handwerkern keinem, ändern Volke nachstanden,
grosse Handelstalente besassen und sich selbständig zu entwickeln vermochten, ja sogar
auf die Nachbarvölker einen bedeutenden Cultureinfiuss ausübten! ___
Gerade vor uns liegt der Hafen in der Nähe des Bahnhofs Tandjunk Priok.
Es folgt die übliche Vorstellung der zum Empfange der erlauchten Reisenden Abgeordneten.
Dann verlassen wir den Hafen, um die etwa acht Kilometer entfernte höher gelegene europäische
Stadt zu erreichen. Als die Locomotive sich schon in Bewegung zu setzen begann, durchbrach
die Volksmasse alle Schranken und strömte auf den Perron. Die sonst so phlegmatischen Holländer
begleiteten den hohen Gast mit sechsfachem Hurrahruf.___