
SINGAPUR.
siedelung jährlich um Zehntausende von Einwohnern zunehmen würde und dass aus dem Dunkel
der Wälder, aus Sumpf und Moor sich bald eine Stadt erheben würde, die mit ihrer raschen Entwickelung
die Hauptstadt einer Welt im Kleinen werden sollte. Ihr Wachsthum und ihre Bedeutung
machten sich plötzlich geltend. In Singapur und, den mit ihm verschmolzenen „Straits Settlements“
erwarb England plötzlich eine frische Quelle kolossaler Einkünfte. Diese sind allerdings zum
Theil so lange rein potenziell, als die unerschöpflichen natürlichen Reichthümer der angrenzenden
Halbinsel nicht ausgebeutet werden. Aus diesem Gebiete möchten die Briten offenbar schön
längst die Siamesen, die sich dort festgesetzt haben, auf immer verdrängen.
Die „Löweninsel“ dient ausserdem als ausgezeichnete Kohlenstation, die den englischen
Geschwadern im Falle eines Krieges Gelegenheit bietet, sich immer wieder zu erholen und der
Schrecken der Südsee und insbesondere der ostasiatischen Küsten zu sein. Dieses würde um so
fühlbarer werden, als sich die übrigen Mächte eines so werthvollen Vorzugs nicht zu erfreuen haben.
Es gibt in Singapur vortreffliche Docks und Werften, Werkstätten mit allen Vorrichtungen
zur Reparatur von Schiffen jeder Bauart Der Jahresumsatz der vefhältnissmässig sehr kleinen
Handelscolonie beläuft sich gegenwärtig auf eine Milliarde Mark, wovon gut zwei Drittel auf die
Stadt selbst fallen. Dabei nimmt der Aufschwung des Handels zusehends zu. Die Einfuhr, die
besonders aus Grossbritannien und seinen Colonien kommt, übersteigt beträchtlich die Ausfuhr.
Gegen 4000 Schiffe von zusammen sechs Millionen Tonnen (die Mehrzahl natürlich unter englischer
Flagge), ausserdem Tausende buntfarbiger chinesischer Dschunken und langer malaiischer
„Prauen besuchen den Hafen von Singapur. Hier kann man sögar Flaggen erblicken, wie die
von Dschohotj eines in der Nachbarschaft gelegenen malaiischen Fürstenthums, oder von Sarawak-
auf der Insel Borneo, wo ein kühner Engländer Namens Brooke sich aus eigener Machtvollkommenheit
als Radscha hatte ausrufen lassen und sich thatsächlich ein Königreich gegründet hatte.
Die Bevölkerung Singapurs ist von 150 Seelen auf 180000 gestiegen. In den ganzen „Straits
Settlements“ gibt es keine zweite Stadt dieser Grösse. Die Finanzen der Gesammtcolonie sind in
blühendem Stande. Prächtige, hauptsächlich von Hindus, fanatischen Verbrechern (Thugs), gebaute
Strassen durchkreuzen die Insel Fieberathmende Dschungeln werden gelichtet, Sümpfe und Flussniederungen
werden trocken gelegt. Luxuriöse Villen haben sich auf den Hügeln längs des Ufers erhoben,
wo noch vor kurzem reissende Thiere hausten. Gewaltige Summen werden jetzt auch auf die Befestigung
der Stadt verwendet
Mittwoch, 4. März.
Trotz des trüben Wetters fahren am letzten Tage unsers Aufenthalts in Singapur der
Grossfürst- 1 hronfolger mit seiner Suite und Prinz Georg von Griechenland ans Ufer, um in einspännigen
„gharis ‘ eine Spazierfahrt zu machen. Die „ghari“ sind kleine geschlossene Wagen, die
mit flinken, etwas eigensinnigen einheimischen Pferden bespannt sind. Die Kutscher (Malaien oder
Klings) lenken ausgezeichnet Sie fahren uns rasch am Museum mit ethnologischen und naturwissenschaftlichen
Sammlungen vorbei, dann an einem Museum, das nur von langzopfigen pedantischen
Bürgern des Himmlischen Reichs mit ihren Weibern und Kindern besucht sein soll, vorbei
an dem Denkmal des Gründers der Stadt, Raffles, und an einem originellen Bronze-Elefanten auf
ziemlich hohem Piedestal mit Inschriften in vier Sprachen zur Erinnerung an den Besuch der
„Straits Settlements“ durch den König von Siam.
Des Königs Besitzungen auf der Halbinsel Malakka, die an Erzlagern reich sind, grenzen
an die der Engländer, und diese betrachten sie an manchen Punkten als bestreitbar und-zwar ge-:,
ràde an solchen, wo. es der Colonie Vortheil brächte, dauerhaftere Wurzeln zu treiben und die
Hülfsquellen des fruchtbaren, waldreichen, verhältnissmässig ruhigen Landes ergiebiger auszubeuten.
Wo! dringen ausgewanderte Chinesen mit Schaufel und Axt (zum Theil unter britischem Schutz)
immer tiefer und tiefer in diese Wildniss vor, einstweilen jedoch ist ihre Wirksamkeit bis zu einem
gewissen Grade nützlich. Es sind hundert Jahre her, dass ein bildschöner Kapitän der Ostindischen
Compagnie. Namens Sight, in den sieh eine Tochter des malaiischen Sultans von Kedah verliebt
hatte, ,ypn seinem Schwiegervater zur Mitgift eine mit dichten Dschungeln bewachsene Gegend
erhielt Da kam der Kapitän auf den trefflichen Einfall, eine Kanone mit Dollars zu laden und
in das Dickicht afeZuschiessen, um die Eingeborenen sofort zur Lichtung des Urwaldes und
zur Aufsuchung des .Edelmetalls zu veranlassen. Die Söhne des Himmlischen Reichs kamen bald zur
Einsicht, wie vortheilhaft es für sie sei, diese Arbeiti||nergisch in die Hand zu nehmen, sie wurden
darin um so mehr bestärkt, das ganze Land einen unerschöpflichen Reichthum an Zinn aufweist
yjind nocb-obendrein nichj^elten gediegenes Gold sowie auch Silbererze gefunden werden.
• Dfe'Urbevolkerung sieht der Aügheutung der heimatlichen Naturschätze durch die Fremden
vollkommen gleichgültig zu, doch fehlt ;f s keineswegs; an religiösem und stammesthümlichem
Widerstreit zwischen den einheimischen Muhammedanern und den gelbgesichtigen Heiden. Dies
kommt den Engländern sehr gelegen', da sönst die Chinesen bald politisch unangenehm werden
könnten. Auch so ist sicher Singapur in Wirklichkeit nicht mehr efee europäische Stadt, sondern
ein vorgeschobener Posten des nach Äden und Westen Hrdringenden Ostasiens,f; welches in
kiirger Frist auf friedlichste Weise in die Color.ien der Weissen eindringt, um sich darin festzusetzen.
Heutzutage wäre es geradezu undenkbar, sie daraus auf die Dauer zu verdrängen. Schritt für
Schritt reissen sie Handel und Gewerbe an sich, machen sich unentbehrlich und trachten insgeheim,
-gnen Staat im Staate zu bilden. Ja, sie scMiessen sich, je nach der Provinz ihrer Heimat (die
Provinzen des Himmlischen Reiches sind ja einander infolge ihrer rieslgÄ Dimensionen und Stammes-
mannichfaltigkeit ziemlich fremd) zu fest organisirten Geheimgesellschaften zusammen. Der darin
herrschende Geist, der die einzelnen zu einheitlichem-^örgehen gegen die Welt ausserhalb 'solcher
Geheimbünde verpflichtet, erhält eine festgeschlossene Phalanx, auch wenn es sich nur um 'die
Ueberwindung vön Hindernissen für einen materiellen Eifolg handelt
Die furchtbare Macht der Geheimbünde wäre geradezu eine Bedrohung der Eingeborenen
und der Colonisatoren. wenn sich diese grossen Gesellschaften nicht unter sich selbst befehdeten.
Schliesslich müssen aber die Rasseninsüncte die Oberhand über Zank und Zwietracht gewinnen,
und dann entsteht erst recht die Frage: wie.; soll man diesKtlnnienge Von Chinesen im Zaume
halten? Wäre .es nicht noch riskirter, Malaien zu bewaffnen und gegen siSiauszuspielen?
Weichen gewaltigen Umfang die chinesische Einwanderung angenommen hat, zeigt z. 11.
der Andrang im-Jahre 1850. In diesem Jahrefsjiimten aus dem Reicll|der Ä tte i^ jj& '.Je rso n en
hierher, darunter nur 5542 Weiber. Eine solche Anhäufung unverheiratheter Männer erzeugt offenbar
ganz abstossende Resultate in Bezug auf Sittlichkeit. Doch dürfte eine stärkere Einwanderung von
Chinesinnen- schwerlich.eine-grosse Abhulfe bieten. SelbsÄoh den indischen Einwanderern kommt
nur etwa der vierte Theil in Begleitung von Frauen.
Die Engländer haben klugerweise in Singapur einen bf||pdern; :Cuiatei:v|,,Protector“ ) für
die Chinesen eingesetzt Unter den zu diesem Amte vortrefflich vorbereiteten Männern hat sich
besonders der Sinologe Dennis bewährt; In seinen MüsSesiunden hat fer sich eingehend mit den
wichtigsten Sagen und Märchen der ihm anvertrauten Fremdlinge bekannt gemacht
Unter den hiesigen Chinesen verstehen viele ein gewaltiges Kapital zu erraffen und eine
gewisse Stellung einzunehmen. Im gesetzgebenden Rath der'Colome sitzt auch ihr Stellvertreter.
______ ■’k.-f.J. _____