
NACH DEM S T IL L EN OCEAN.
D i e „Pamjat Asowa“ und der „Wladimir Monomach“ dampfen hinaus nach Singapur,
zu den „Thoren der Sonne“ (Solis Portus des Geographen Ptolemäus), nach dem „Goldlande“
Malakka (vielleicht dem antiken Ophir)___
In dem Maasse, als die Tage dahinfliessen und man auf all das Geschaute, hinter uns
Zurückgelassene schärfer hinblickt, fühlt die Seele ihre Schwingen sich regen. Denn schon
dehnt sich unser Weg nicht mehr in die wilde Fremde, sondern heimwärts! ' So paradox es
klingt: für das Herz eines jeden Russen, vor allem für unsere Marine ist der sturmdurchtobte
„Stille Ocean“ eine zweite Heimat, das freie Meer!. . .
Hat uns bisher die-zu Zeiten mühselige Reise in das Gebiet culturhistorischer und politischer,
anfechtbarer Betrachtungen geführt, so werden und müssen die kommenden hochwichtigen Ankerplätze,
Haltestellen und Erlebnisse in dieser Beziehung noch interessanter erscheinen. Auch das
Kommende bringt ja eine Kette wenig bekannter, merkwürdiger Länder (mit viel selbständigerer
Lebensordnung als das anglo-indische Reich!), die in ihrer Widerstandskraft gegenüber der zerstörenden
Wirksamkeit der abendländischen Civilisation ablehnungsfähiger sind äls das geduldige
Aegypten oder das winzige Ceylon. Man kann sich davon leicht überzeugen, sobald man sich
vergegenwärtigt, wohin die Fahrt der „Pamjat Asowa“ geht. Diese hat nun nicht mehr für längere
Zeit in Häfen zu ankern, die für den russischen Seemann augenblicklich Nullpunkte sind, wie das
kosmopolitische Suez oder das streng commerzielle Bombay und Kolombo! Charakteristischere,
sympathischere, aufrichtiger gastfreundliche Gestade harren nach Singapur unser.
Nach Batavia zu fahren, das niederländische Gebiet unter dem Aequator zu betreten, ein
uns aufrichtig und uneigennützig zugethanes kleines nordisches Volk an seiner Arbeit zu beobachten,
wie, es väterlich für die Eingeborenen sorgt, ist dies nicht ein Genuss eigener Art?
Was für uns und unsere äussere Entwickelung unter Peter dem Grossen das ehrliche, arbeitsame
Holland bedeutet hat, ist in Russland jedem Schulkinde bekannt. In Batavia unter der Flagge des
Thronfolgers einzulaufen, mit dem Donner der Salutschüsse den freundschaftlichen Willkomm zu
erwidern, mit unsern schmucken Panzerschiffen vor den Nachkommen der bescheidenen Lehrer
des Reformators und Gründers unsers russischen Weltreichs zu erscheinen — ist ein schöner
historischer Moment. Die Holländer werden sicherlich unsere Stimmung schätzen und aus ihrer
Freude kein Hehl machen.
Die kurze Reise ins Innere von Java wird viel ungezwungener und gemüthlicher
ausfallen als die qualvoll-hastigen Kreuz- und Querfahrten durch das riesige Kaiserreich der
Königin Victoria. Schon die Aussicht auf die Besteigung des Gipfels eines thätigen Vulkans lässt
uns die Tage bis zu unserer Landung an der niederländisch-indischen Küste mit Ungeduld
zählen. Dann kommt Siam, der europäischen Welt noch so gut als völlig unerschlossen! Und
doch besitzt es eine eigene Cultur und ein auf Grund seiner politisch-ökonomischen Unabhängigkeit
von Europa normales Staatswesen! Der König Tschulalongkorn, heisst es, rüste sich eifrigst
zum Empfang des russischen Geschwaders, um mit märchenhaftem Glanze den theuern Gast und
seine Landsleute zu bewillkommnen. Das Land des von oberflächlichen Touristen erfundenen
„Weissen Elefanten“ wird uns jedenfalls genug Gelegenheit zu Beobachtungen sowie zu lebendig
gefärbten Schilderungen bieten.
Der Aufenthalt in Saigon wird bei den Ehrenbezeigungen für eine befreundete Nation
durch echt französischen Enthusiasmus gekennzeichnet sein. Uns Russen, die wir beinahe
nie mit vollem Bewusstsein auf Süd- und Ostasien hinblicken, um die Lage der europäischen
Colonisatoren in der Fremde näher kennen zu lernen und ihr Verfahren zu ergründen, wird ein
Besuch der neuen Hauptstadt des indochinesischen Reiches, das von Paris aus regiert wird,
nach der Besichtigung der imposanten britischen Besitzungen und des patriarchalisch regierten Java
doppelt lehrreich und doppelt nützlich sein. Dieser Besuch kommt um so gelegener, als jed.e anschauliche
Ziffer, jede schärfer hervortretende Besonderheit, jede Erscheinung lebensfreudigen
Schaffens und Strebens dort in den Colonien uns die Frage aufdrängen muss: werden wir
Russen, die wir doch in Asien bis zur Stunde das grösste Ansehen gemessen, unsere historische
Rolle, unsere von den Vorfahren ererbte Mission, Führer des Orients zu sein, jedem, dem
es- beliebt sie aufzugreifen, freiwillig abtreten? Es ist gewiss ein anormaler Zustand, wenn die
Vertreter der abendländischen Nationen, nur von dem Standpunkte aus, ihre eigene materielle
Wohlfahrt zu fördern, die Völker Süd- und Ostasiens, uralte Völker, denen ,sie in jeder Hinsicht
verhasst sind, mit Kanonen dazu zwingen, mit ihnen in Verkehr zu treten. Vom todten Birma,
Kambodscha, Annam zu schweigen, schwebt Siam am Vorabend gefährlicher, von aussen drohender
Katastrophen; Japan an der Schwelle furchtbarer Bürgerkriege. China steht einzig mit schlangen-
hafter Klugheit auf der Wacht für seine und, unbewusst, auch für unsere russischen Interessen
und blickt wol zuweilen beklommenen Herzens nach dem schweigsamen Norden, dem einzigen
Staate, von welchem das in den Principien der Selbstherrschaft erzogene „Land der Mitte“ moralische
Unterstützung und eine Allianz auf dem Boden der gegenseitigen politischen Ziele erwarten darf.
In jenem Norden des Nebels, der Waldwildniss und der Fröste, dort/herrschen noch fast
überall uranfängliche Stille, tiefste Ruhe, .unbewegliche Starrheit. Erst am Ende dieses Jahrhunderts,
erst mit der Anlage neuer Verkehrswege, kann eine neue Aera mit unerwarteten Folgen
anbrechen; bis dahin aber lastet auf dem Lande Schwermuth, wie das Leben der Urbevölkerung
selbst stets war. Um so mehr muss die russische politische Intelligenz sich klar darüber sein,
wenn man eine lehrreiche Parallele ziehen will zwischen den uns eröflneten und den sich uns
eröffnenden Ländern Asiens mit seinem Indien, seinem smaragdgrünen Java, den unerschöpflichen
natürlichen Reichthümern der indochinesischen Länder, der sich selbst vertrauenden Lebenskraft
des Himmlischen Reichs u. s. w. auf der einen Seite, und auf der ändern Seite mit den Moorgründen,
Urwäldern und Wüsteneien der sibirischen Grenzgebiete unsers Reichs, welches, bei
all seiner scheinbaren Dürftigkeit und Rauheit, nach meiner festen Ueberzeugung berufen ist, ein
Herd des Lichtes zu werden für alle mit uns nachbarlich zusammenhängenden unermesslichen
Räume mit ihrer zahllosen Bevölkerung.
Das winzige Holland hat in Asien mehr als dreissig Millionen Unterthanen, dazu noch
unter dem Aequator, wo die Natur das reine Paradies ist, — das grösste und mächtigste Reich in
Asien zählt auf dem dritten Theil des Continents nicht einmal die Hälfte dieser Zahl