
Künstler diese Tinten der Wirklichkeit entsprechend wiederzugeben vermöchte — man glaubte
ihm nicht, man hielte ihn für einen überspannten Impressionisten! Aber sieht man nicht in
Indien häufig im Augenblicke des Sonnenunterganges, wie ein bläulich-grüner Strahl vom Horizont
her aus einem Purpurstreifen schiesst, hinter welchem die Sonne soeben zur Ruhe gegangen
ist | ! Dort ist alles Contrast, alles ein unterschiedsloses Amalgam. . . . .
Wie versinkt man in Gedanken über so vieles von dem, was wir in dem hinter uns in
der Ferne entschwindenden Erdtheil geschaut! Jede Einzelheit gewinnt neue bezaubernde Umrisse,
einen schönen Abschluss und unvergleichliche Anziehungskraft. Nicht ohne Grund ergeben sich,
nach meiner Ansicht, zwischen dem von uns heute verlassenen Lande und unserm Skythien
so viele verwandte Züge, die Gleichgestimmtheit der Volksseele und auf den ersten Blick unfassbare
Uebereinstimmungen. Uns eindringlich mit diesem so dankbaren, aber noch völlig unberührten
Forschungsfelde zu beschäftigen, ist, wie ich hoffe, die Aufgabe der nächsten Zukunft.
Einstweilen genügt es, den Zusammenhang festzustellen, zutreffende Erklärungen für ihn aufzusuchen
und ihn für einen ohne allen Zweifel wichtigen Beweis für das zu nehmen, was Russland sogar
für die verhältnissmässig entfernten Theile Asiens offenbar ist und was diese für uns sind.
Wenn man versucht, auf philologischer Grundlage eine brüderliche Verwandtschaft zwischen
der angelsächsischen Rasse und den arischen Elementen Indiens aufzustellen, so, ist das — eine
sentimentale Fiction. Wenn wir dagegen auf die Anknüpfungspunkte zu sprechen kommen, durch
welche das russische Volk historisch und ethnographisch mit Iran und Turan (vom Kaspischen
Meere bis zum Ganges und zum Dekhan) fest zusammenhängt, so ist die Frage durchaus logisch
begründet in dem vergangenen und gegenwärtigen Leben der in Betracht kommenden Länder.
Das blaue Meer dehnt sich auf damastbespanntem Wege weithin aus. Die Fregatte biegt
nach dem südlichen Gestade von Ceylon ab. Die wiedererwachenden Bilder Indiens necken
immer von neuem den geistigen Blick; bald tauchen sie hier auf, bald lodern sie dort empor.
Festung Gwalior. Mauern, hinter denen unter den Grossmoguls die Prätendenten
des Thrones von Dehli schmachteten; in silbernen Ketten, starben sie schliesslich am Bisse einer
in den finstern Kerker gelassenen Cobra. Ausser Prinzen von Geblüt wurden hier hinter den
reich ornamentirten Mauern der Gefängnissthürme dem kaiserlichen Hofe gefährliche oder unbequeme
Häuptlinge aus den Grenzländern gefangen gehalten. Unter anderm verfasste hinter den Wällen
von Gwalior der kühne, von Aurangzeb in Bande geschlagene Afghane Kutschäl, ein Führer
der unbändigen „Kattaks“ , deren wildem Tanze wir in Lahore zugeschaut hatten;" seine weitverbreiteten
mächtigen und rührenden Lieder, die jenseits des Indus noch heute gesungen werden.
Sie entstanden auf den steilen Felsabhängen des stolzen Gwalior, wo bald nachher der grosse
Mahratte Mähadadschi Sindra darauf sann, die Reiterei des südindischen Sultans Tippu, die Recken
der Radschputana, die vorzügliche Artillerie des Nizam, die im Lande beliebten Truppen der
Franzosen und seine eigenen verwegenen Stammesgenossen mit ihren noch frischen Traditionen
aus der Epoche Siwadschis zu einem grossartigen Bunde zu vereinigen, um die immer mächtiger
werdenden Engländer aus Indien zu verdrängen. Damals war es noch möglich, sich solchen
Illusionen hinzugehen. Ungefähr zur selben Zeit wurde der Chevalier von St.-Lubin über Bombay
nach Puna, der Hauptstadt des Mahrattenreichs, mit Geschenken des Königs Ludwig XVI. abgeschickt,
um dort alles zum Kampf gegen die Englisch-Ostindische Compagnie zu ermuntern. Der Instructor
der Armeen des Nizam, General Raymond, gab etwas später seinen Bataillonen die republikanische
Tricolore. In den Marmorhallen von Haiderabad wurde das „£ a ira“ gesungen und nächtlicherweile
die Carmagnole getanzt. Und doch ist von dem glanzvoll raschen Erfolge der Franzosen
in Indien keine nennenswerthe politisch wichtige ,Spur übriggeblieben! Die Sympathien der
Eingeborenen waren aber unbestritten auf französischer Seite. Die Volkspuppenspiele in den Bazaren
fesselten die Hindus noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit Scenen, in denen die Engländer von
den Franzosen geschlagen wurden, und die Zuschauer hatten ihr Vergnügen daran.
Diese Thatsachen sind jedenfalls an sich interessant, doch die Einbildungskraft weilt noch
lieber bei den verschiedenartigsten Erscheinungen des religiös-geschichtlichen Lebens der von uns
soeben verlassenen Halbinsel Unwillkürlich blickt man nach dem, was einst Schauriges und
Phantastisches gewesen. "Da tritt in erster Linie der Brauch der Witwenverbrennung hervor.
Echt tragische und tief rührende Bilder tauchen vor dem Blicke empor...
Ein Scheiterhaufen ist errichtet. Die Bestattung soll in kurzem erfolgen. Scharenweise
drängt sich das Volk herbei und bildet um den Holzstoss einen dichten Kreis.. Alles harrt des
grossen Moments, da der Leichnam des Verstorbenen auf den Scheiterhaufen gehoben und das
Feuer angelegt werden soll. Dieser Augenblick ist gekommen. Alle durchbebt nur der eine
Gedanke: wird die Witwe ihrem Gemahl folgen und mit ihrem Opfertode seine Seligkeit fördern?
Doch siehe da, mag ihr auch kalter Schreck.das Herz und die Sinne erfassen, sie will für ihren
Gatten ihr Leben hingeben; muthig sfihreitet sie dem Scheiterhaufen zu. Hunderte von Händen
strecken sich der den Flammen sich widmenden Witwe entgegen: „Nimm zum Andenken in die
bessere Welt unsere besten Geschenke für den theuern Verstorbenen mit dir!“ Der eine gibt eine
Blume, der andere einen Schmuckgegenstand, wieder ein anderer eine wohlriechende Essenz u. s. w.
Alles um die „Sati“ herum ist so sehr von dem Bewusstsein der Wichtigkeit und Rühmlichkeit
der That des Weibes durchdrungen, dass sogar die niedriger stehenden Geschöpfe Antheil daran
zu nehmen trachten. Als man den Leichnam des grossen Sikh-Königs Rändschit Singh verbrannte,
flogen zu seinen auf dem Scheiterhaufen sterbenden Frauen zwei Tauben, als ob sie sich danach
sehnten, mit ihnen den Tod zu erleiden. Dieses Ereigniss verewigte man in Lahore durch marmorne
Lotusblumen, die in die Grabsteinplatte des Herrschefs des Pendschab eingefügt wurden. . .
Kann man gleichmüthig von der Grundstimmung der Völker sprechen, unter denen sich
eine solche Auffassung des Lebens und seiner Fortsetzung nach dem Tode, entwickelt hat? Was
soll man von einem Lande denken, welches eine solch erhabene Verkörperung der Schönheit
errichtet hat wie die Burg von Dschodpur, oder solch einen Tempel der raffinirtesten einheimischen
Kunst wie den Winterpalast von Alwar? Wer, der in Marwar weilte, wird je die
erstere vergessen mit ihren Felspalästen, wer das Mosaik auf den Spiegeln der Galerie hinter dem
Durbar-Saal Mangal Singlis in Alwar, die Blumenguirlanden auf dem Glase, Imitationen von
Smaragden und Rubinen, märchenhafte Bilder über den Thüreii? In solchen Farben blüht und
prangt noch das Indien der RadsChputen, das in und durch sieL Selbst eine unerschöpflich eigenartige
Welt darstellt! Und die Armee des europäisch erzogenen Maharadscha von Alwar mit ihren
grauen Uniformen, blauen goldgestickten Turbanen und dunkeln Gamaschen, welch schöne Haltung
der Soldaten Mangal Singh’s ! Doch nicht zur Vertheidigung seines Fürstenthums unterhält er
diese Armee, nur als unschuldigen Zeitvertreib, der ihm unter ändern Vergnügungen von den
fremdländischen Behörden gestattet ist!
Bilder an Bilder flimmern in der langen Folge der Erinnerung au f. . . Tadsch! Eine Gruft,
worin sogar die Luft durchdrungen ist von dem Wehen des Ueberirdischeri. Spricht man unter
diesen schattigen lieblichen Gewölben auch nur ein Wort, so steigt der Laut mit sich verstärkender
Kraft unter die Kuppel hinauf; wenige Worte gehen, ausgesprochen, schon in eine zarte Musik
über, süss zerfliessen und verschwimmen sie ins unbekannte Weite, verklingen und kehren
plötzlich mit leisem Klageruf zurück . . . verhallend zwischen dem beseelten Stein und den reich
ornamentirten Inschriften, von denen die'eine sagt: „Irdisches Dasein, du bist die Brücke, über