
und der Meldungen aus der Fremde in den Tagen dieser uns theuern Epoche! Ich nehme aufs
gerathewohl das Jahr 1675 heraus, als der Zar einen Agenten an den Schah von Indien absandte mit
einer Urkunde in russischer Schrift und dem grossen Siegel des Grossherrn aller Reussfcn, ferner
mit lateinischen und tatarischen Uebersetzungen. Diese waren beigegeben worden, damit sie, wenn
in Indien niemand den russischen Brief zu lesen vermöchte, als Uebersetzung dienen könnten. Man
rüstete mit diesen Sendschreiben den Astrachaner Mamet Issup KassimofF aus. Unsere muhamme-
danischen Unterthanen konnten und mussten selbstverständlich der Regierung als Werkzeug unseres
angestammten Einflusses im Orient dienen.
Vorher schon hatte sich der Engländer Thom Coryat, ein halbverrückter Landstreicher,
bis nach Hindostan durchgeschlichen, nur in der Absicht, auf einem Elefanten zu reiten, aber der
russische Kaufmann Athanasius Nikitin aus Twer reiste bereits 1466—72 „über drei Meere“ dorthin!
Solcher Reisenden wären gewiss nicht wenige aufzuzählen, allein wir haben Asien jederzeit
zwar gewissermaassen als glaubensffemdes Ausland, nichtsdestoweniger aber als uns Völlig verwandt,
ja als uns gehörig betrachtet, — nur einer systematischen Beachtung und Beschreibung halten wir es
für unwerth! Für einen Europäer der damaligen Periode bedeutete der Besuch des Nachbarcontinents
und die Bekanntschaft mit seiner Ungeheuern Bevölkerung und seiner Cultur nichts Geringeres, als
sich und seinen Landsleuten eine neue Welt erschlossen; für einen Russen war es nur ein einfacher
Umzug im heimatlichen, der festen Grenzen entbehrenden, ihm selbst noch ungenügend bekannten
Skythien. Deshalb klingt auch jede Erzählung über russische Gesandtschaften an verschiedene Chane
und Schahs mit Geschenken und Sendschreiben zur Anbahnung freundlicher Beziehungen für ein
russisches Ohr wie etwas ganz Gewohntes, höchst Natürliches. Kaufleute aus; Buchara und Schar-
machan (Samarkand) erschienen bei uns schon zur damaligen Zeit ganz frei und zwanglos, etwa
wie jetzt auf der transkaspischen Eisenbahn, und dieselben Leute wanderten dann frank und frei
die Wolga hinunter bis über die Grenzen Indiens in das Reich der Enkel Tamerlan’s!
Mit dem erwähnten KassimofF reiste auch der Tatar Allaberdei ToporkofF dorthin, Aurangzeb’s
Launen wegen erreichte jedoch keiner von beiden sein ZieL
Dem Gesandten war folgende Instruction mitgegeben worden: Wenn er in die erste Stadt
Indiens komme, so solle er daselbst dem Gebieter der Stadt mittheilen, er sei vom Grossherrn,
Zaren und Grossfursten Alexis Michailowitsch abgesandt, dem Selbstherrscher des ganzen Gross-,
Klein- und Weissrussland, dem Erben, Besitzer, Rechtsnachfolger, Herrn und Gebieter vieler Reiche
und Länder im Osten, Westen und Norden, an Seine Majestät den Grossherrn und Schah Ewrein-
Zeb als Gesandter für nothwendige Staatsgeschäfte. Mit ihm seien aber abgesandt von dem Grossherrn
und Selbstherrscher aller Reussen an Ewrein-Zeb Seine Majestät den Schah Briefe über Freundschaft
und Liebe und andere gut gemeinte Reichsangelegenheiten. Als Geschenk an den Grossmogul
sandte Moskau Zobelpelze, Marienglasspiegel und andere solche „freundliche, kleine Andenken“ .
Ausser Handelsspeculationen und der Instruction, „sich nach der Gesundheit Ihrer indischen
Majestät“ zu erkundigen, beschäftigten den Monarchen von Moskau auch noch andere Erwägungen
christlich-menschenfreundlicher Richtung. Deren Erledigung Männern des Islam aufzutragen, erschien
selbst in jener streng rechtgläubigen Zeit vollkommen angemessen und nicht im mindesten an-
stössig. Der Weisse Zar gebot ihnen eben und dies genügte! . . .
„Und wenn es im indischen Reiche Gefangene russischer Abkunft gebe“ , lautet die
Instruction, „so sollen Unterhandlungen angeknüpft werden, damit Seine Majestät der Schah
Seiner Majestät dem Zaren die Freundschaft und Liebe erweise, alle russischen Gefangenen aus
seinem Reiche in das Reich Seiner Majestät des Zaren ohne Lösegeld zu entlassen; auch möchte
er verbieten, dass man Angehörigen des russischen Volkes wider ihren Willen den muhamme-
danischen Glauben aufzwinge. Seine Majestät hingegen werde gebieten, dass man Unterthanen des
Schah, die sich im russischen Reiche befinden und die wünschen, in ihr Reich zurückzukehren,
die Rückkehr ins indische Reich gestatte, ohne Lösegeld, und er wolle verbieten, dass man
irgendeinem in Glaubenssachen Zwang anthue.“
Noch unter Katharina II. notirt der Akademiker Pallas, der die Ethnographie des damaligen
Russland erforschte, in Astrachan die Anwesenheit einer Colonie zahlreicher Hindus (Multanesen)
mit den Formen des Krischna-Cultus. Umgekehrt ist bekannt, dass am Hofe der Grossmoguls
gefangene Russinnen als Wärterinnen geschätzt wurden. .Wie viele Kinder in Dehli und Agra mögen
damals wol auf den Armen ihrer Ammen in süssen Schlummer eingelullt worden sein unter den
wehmuthvollen Klängen von russischen Liedern, die Heimweh und Sehnsucht nach unsern nordischen
Ebenen athmeten! Die Schutzwache der dortigen Harems bestand aus bewaffneten Kalmückinnen
und Tatarinnen, in ihrem bittern Leidenslose sowie auch nach ihrer nordischen Heimat Schwestern
unserer von der Geschichte vergessenen Landsmänninnen Die Lieblingsgemahlin des fanatischen
Aurangzeb war eine griechisch-orthodoxe Georgierin!
Mittwoch, 11 . Februar.
Gestern Abend besichtigten die erlauchten Reisenden beim Abschied von Madura die prächtige
Illumination des am Teppakulam Bungalow .gelegenen Teiches. Es ist Brauch, ihn zuweilen
glänzend zu beleuchten, zu Ehren der Götterbilder, welche man aus dem Hauptheiligthum der Stadt
zum Besuch in die kleine Pagode auf das Inselchen fährt. Hunderttausend Feuerchen werden bei
diesem Anlass auf dem Wasser und am Ufer angezündet. Man setzt die Götterbilder auf einem
besondern Flosse (teppam) über, von welchem auch das Wasserbecken seinen Namen erhalten hat;
Bajaderen wiegen sich vor ihnen in langsamem Tanze, das Volk aber, labt sich anbetend am Schauspiel
Heute Morgen sind wir schon in Tutikorin, wo Seine Kaiserliche Hoheit von der „Pamjat
Asowa“ .und dem „Wladimir Monomach“ erwartet wird. Das Städtchen, das den Endpunkt der
südindischen, bei Madras anfangenden Schmalspurbahn bildet, war früher durch seine sehr
ergiebigen Perlenfischereien berühmt, ausserdem ist: es einer der Hauptorte der Wirksamkeit des
selbstlosen Jesuitenmissionars, des heiligen Franz Xavier, eines Edelmannes aus Navarra, eines
Freundes und Zeitgenossen Loyolas, gewesen. Franz Xavier hatte auf Vermögen, Ruhm und
Glück, auf eine Professur in Paris verzichtet, um sich ganz der Verkündigung des Evangeliums
unter den Heiden, der Heilung der Kranken, der Pflege der Waisen und dem Umgang mit Bettlern
und Parias zu widmen. Mit einem silbernen Glöckchen in der Hand, mit schwarzem Tuchhut,
in einem abgetragenen Kleide, barfuss, trat er auf, mit der eingeborenen Bevölkerung liebenswürdig
verkehrend und -jedermann durch seine edle Haltung > und den sanften Glanz seiner
melancholischen blauen Augen überraschend und fesselnd. Der grosse Xavier schlief nur auf der
nackten Erde, legte unter sein Haupt einen Stein, nährte sich von Almösen, begnügte sich mit
Reis, mit einem Worte, er führte in den Augen des Volkes das Leben eines wahren Fakirs: als
ein wahrer Weltüberwinder höherer Art, recht als einer der Wunderthäter, die ihren innern
Menschen umgewandelt haben, als ein Mahatma, zu denen der Hindu seit ältesten Zeiten glaubensvoll
emporblickt und betet.
Auf der Station Tutikorin, die mit Grün und Früchten tropisch decorirt ist, empfangen
den Grossfürsten-Thronfolger der Admiral Bassargin und die Vertreter der englischen Ortsbehörde.
Die erlauchten Reisenden fahren im Wagen ans Meer, wo auf der fernen Rhede die Umrisse
unserer Kriegsschiffe und der britischen Korvette „Turquoise“ auftauchen. Bei der geringen Tiefe
war es ihnen nicht möglich gewesen, näher als 10 —12 Kilometer ans Ufer zu kommen.
Die See geht hoch. Die Dampf- und Ruderkutter der „Pamjat Asowa“ und des
„Monomach“ müssen mehrere Stunden unter den grössten Anstrengungen an der Einschiffung