
Die rangältesten Brahmanen führen uns durch düstere Galerien, über glattpolirte Fliesen,
an einer endlosen Reihe verschiedengestaltiger Götterbilder geringem Werthes mit einem geronnenen
Lächeln auf dem granitenen Antlitz oder an fabelhaften Geschöpfen entlang. Dürfte es
nicht an der Zeit sein, einige Worte darüber zu sagen, was hinter den vielen geheimnissvollen
Seitenthüren und finster gähnenden Corridoren verborgen sein mag, wohin keines Uneingeweihten
Fuss dringen darf? Leider klingt die Antwort ziemlich unsicher und nüchtern.
Die Götterbilder, die vollkommen unsichtbar, oder richtiger, in der unnahbaren Tiefe der
Tempel verborgen, maasslose Verehrung gemessen, gelten zum Unterschied von den Bildsäulen,
die von sterblichen Künstlern herrühren, für selbsterschaffen und mit besonderm Leben begabt:
Deshalb werden ihnen auch überirdische Ehrenbezeigungen erwiesen und werden die wunderbaren
Verkörperungen auch in einer geheimnissvollen Umgebung erhalten und gemessen überhaupt, die
sorgsamste Pflege. Die seltsamen Puppen befinden sich in einem engen, dumpfen Raume, nach
Art desjenigen, den wir in dem jetzt für die Augen Andersgläubiger zugänglichen, aber ehemals
ebenfalls verschlossenen Edfu sahen.
Aegypten hat im Göttercultus manche merkwürdige mit Indien gemeinsame Züge. Dort
beteten die Volkshaufen zu irgendeinem beinahe immer unsichtbaren Geschöpfe (z. B. einem Ochsen,
einem Krokodil), das diesen oder jenen Himmelsbewohner verkörpern sollte; hier in Indien ist der
Gegenstand der Verehrung noch viel weniger complicirt. Während der Nacht wird er auf ein
kostbares Lager gelegt, in der Morgendämmerung wird er gewaschen und in theurè Gewebe
gesteckt und ihm hierauf eine Erfrischung aus Gewürzen, sowie auch anderes Essbares vorgesetzt,
das dann unter die reichen Gläubigen vertheilt wird. Mit wohlriechenden Harzen eingerieben, sitzt
er da in der Positur eines Menschen, der wachend träumt; man lässt ihn von neuem zur Erholung
auf sein Lager nieder, er wird mit Musik ergötzt u. s. w. So ziehen sich in sublimer Langeweile
Tage, Monate, Jahre dahin, für das Volk aber macht das keinen Unterschied; es dürstet nach Wunderbarem,
es will den wahren Sachverhalt nicht kennen, es sehnt sich, im Nebel ferner Räucherwolken
zu Ehren des Götterbildes dessen unbestimmte Züge zu erfassen und im Gedächtniss zu behalten.
Wenn man um den Tempel von Madu'ra herumgeht, begreift man nach und nach, weshalb
die vor zweihundert Jahren gegründete katholische Mission sehr rasch ein Abbild heidnischer
Ketzereien wurde und harte Vorwürfe von seiten der rechtgläubigen, streng kirchlichen Kreise des
Abendlandes auf sich beschwor. Der Boden, auf dem die römische Kirche wirken und schaffen
sollte, erwies sich in Wirklichkeit so ganz ungeeignet, zu gleicher Zeit aber auch so vielversprechend,
dass ein Eiferer des endgültigen Triumphes der Wahrheit sich unwillkürlich zu der Idee verleiten
liess, es stehe eine Massenbekehrung der frommen Hindus -zum Christenthum in Aussicht. Katholische
Missionare gingen unwillkürlich in das ihnen sympathische Milieu treuherziger Anhänger
des unermesslichen heidnischen Pantheons ein und machten deren, Glaubenssätzen gewisse Con-
cessiorten, seif es auch- nur, um eine Annäherung an die Eingeborenen im Geiste der Liebe
höchster Ordnung zu erwirken.
- Derjenige, der hier zuerst gerade in dieser Richtung schaffen sòlite, Roberto de Nobilis,
war mit einem, Päpste verwandt und Neffe des mächtigen Cardinais Bellarmin; der junge Mann
wollte ein, begeisterter' Träger -und Verkünder der friedlichen Missionsziele werden. Er reiste
nach Madurä mit dem geheimen Plane, die Brahmanen mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen,
begünstigte stillschweigend das Gerücht, er sei ein grösser Contemplator und Asket, ein Brahmane
und Fürst aus dem fernen Abendlande, erreichte allmählich in den Augen des abergläubischen
Volkes Berühmtheit, und indem. er sich in die complicirten Details des einheimischen Ritus
vertiefte und sich die Landessprache und das Sanskrit zu eigen machte, erschien er bald als ein
„Heiliger“ , so etwas wie eine Verkörperung Schiwä’s, als Zauberer und Lehrer des Volkes. Die
GOPURAS VON SCHRIRANGAM.