
in nebelhafter Entfernung, auf der gegenüberliegenden Seite schimmert in bezaubernder Bläue das
Meer hervor, noch näher endlich erstreckt sich im Sonnenscheine das smaragdene Delta des fruchtbringenden
Kaweri. Gerade zu unsern Füssen blinkt ein in Grün versunkenes, ziemlich weit sich
ausdehnendes Städtchen, wandeln braune Menschen hin und her, fliegen zahllose Elstern, fahren
mit weissen Büffeln bespannte Karren, wimmeln Miniaturkaufläden von buntem Handelsgetriebe,
holen Weiber Wasser aus den Brunnen in den kleinen Höfen der Wohnungen der Eingeborenen,
steht gesenkten Hauptes das Vieh, unter den flachen, unscheinbaren Dächern trocknet K o jn . . . über
das ganze Gemälde des einförmigen tagtäglichen Lebens aber giesst die wabernde, durchsichtige
Luft Ströme Lichtes aus.
Die kleine Terrasse, auf der wir uns befinden, ist mit einem Flaggstock und mit einem
ziemlich wohlgestalteten Bild des elefantenköpfigen Ganescha geschmückt, das die Wand eines
Tempelchens ziert Der Rüssel des Schutzpatrons der Wissenschaften und Künste ist in drolliger
Weise zurückgebogen. Das steinerne Gesicht athmet Herzensgüte. Der seltsame Kopf erscheint
bei näherer Betrachtung entschieden nicht misgesfaltet. Bei Puna im Mahrattenlande lebte noch in
unserm Jahrhunderte eine soi-disant Verkörperung dieses Himmelsbewohners: ein wiedergeborener
Knabe (genau wie in den lamaistischen Klöstern!), der von den Brahmanen als ein schon infolge
seiner Geburt auserwähltes übernatürliches Wesen eifersüchtig bewacht wurde. Der Knabe verstand
nur Sanskrit, gab namhaften Gästen Audienz (ganz wie die „Chutuktus“ in Tibet, der
Mongolei und in Peking) und wurde vom Volke als Kettenglied einer ganzen Reihe der geborenen
„Heiligen“ verehrt. So glaubt der heidnische Orient in seiner Art und hält starr daran fest.
In der Mitte unseres Jahrhunderts ging man an die Abtragung der unnützen Befestigungen
des Felsens von Tritschinopoly, in denen einst viele Franzosen, denen das Glück im
Kampfe mit den Engländern nicht hold gewesen war, in Gefangenschaft geschmachtet hatten.
Allerdings befand sich damals ein Clive in den Reihen der Engländer, eine der Hauptheldengestalten
der indobritischen Geschichte, und ausserdem stellten sich dem freien, kühnen Vorgehen der
energischen Söhne Albions keine Hindernisse aus der weiten Feme entgegen, wie dies bei den
Franzosen der Fall war, wo das nur von Intriguen lebende königliche Paris leichtfertigerweise
sofort bereit war, seine besten Vertreter im Orient abzusetzen, und einen der glorreichsten wegen
angeblicher Verrätherei sogar aufs Schaffot schickte.
Montag, 9. Februar.
Nach Besichtigung der Festung unternahmen Ihre Hoheiten einen Ausflug nach der etwa
fünf Kilometer entfernten Insel Schrirangam (oder Seringam), die von den Flüssen Kaweri und
Kolerun gebildet wird. Dort ist alles überbaut mit Pagoden; alles hängt mit dem Cultus zusammen
und bildet nicht nur einen Tempelcomplex ersten Ranges und ein Kloster von gigantischen Dimensionen,
sondern auch ein Netz von Dörfchen, die sich rings an die Tempel anschmiegen.
Der Weg zu diesen Tempeln führt über eine sehr grosse Brücke und durch dichtbelaubte
Alleen, die fast an Bengalen erinnern. Diese münden bald in eine enge Bazarstrasse aus. Die
Equipagen gelangen in dieselbe durch buntgeschmückte thurmartige Thore (Gopuras) mit seltsamer
mythologischer Ornamentik auf dem Dache und N»m der Façade der Stockwerke. Beim Eingang
in die Tempeleinfriedigung bringen abgerichtete Elefanten, denen auf die Stirne Embleme gemalt
sind, die ihre Zugehörigkeit zum Dienste dieses oder jenes Himmelsbewohners bekunden, den
erlauchten Besuchern den gebührenden „Salam“ , d. h. sie bewillkommnen sie mit einer Bewegung
des Rüssels und mit einem Schrei, der ganz an einen unterdrückten Trompetenton erinnert
Die geschmacklose Malerei zweideutigen Charakters unter den Gewölben der „Gopuras“ ,
die Hunderte von granitenen Säulen, die aus Stein gehauenen fabelhaften Reiter, die Lanzenträger
im Kampfe mit Tigern, die Todtenstille innerhalb des Kreises der gigantischen Bauwerke eines und
desselben S tils , nicht ohne. Enttäuschung durchschreitet man den Bereich der Höfe. Ueber
diesen Rayon hinaus, innerhalb des Gebietes des kleinen Haupttempels mit einer vergoldeten Kuppel,
gibt es keinen Zutritt zu den Altären der Götter.
Als auf der Insel der englisch-französische Colonialkrieg tobte, an welchem auch südindische
Brahmanisten, Mahratten und Muhammedaner theilnahmen, als die Siegesrufe „Vive le roi“ und die
zum Sturme rufenden Trommelwirbel der Franzosen sich ablösten mit den Klängen des Marsches
der Grenadiere aus Madras und deren ungestümem Angriff, da bestanden die Heiden kategorisch
darauf, dass den Andersgläubigen der Zutritt zu den geheiligten Räumen nicht gestattet werde. Rädsch-
puten verpflichteten sich eidlich, auf der Schwelle der für Sterbliche unzugänglichen Heiligthümer im
Falle der Noth zu sterben. Und als ein Brahmane bemerkte, dass die Europäer dennoch vorzudringen
schienen, stürzte er sich mit einem Fluche vor allem Volke von der Höhe des Thurmes herab.
Die in Südindien verhältnissmässig wenig zahlreichen Wischnuiten halten sich für die Herren
•der Tempel, bei welchen wir uns befinden. Der Name Schrirangam, den die Tempelgruppe und
die Insel selbst trägt, ist nach der Ansicht der Orientalisten aus dem Worte „Schri“ (die „göttliche“ ),
mit welchem Namen die Göttin der Liebe, Lakschmi, die Gemahlin Wischnu’s , verherrlicht zu
werden pflegt, und aus „rangam“ (Tanz) gebildet. Wo könnte das selige Paar der lichten Himmelsbewohner,
die sich freiwillig auf die Erde herniedergelassen haben, grössere Wonne fühlen, als
beim Reigenführen auf der frommen Insel bei Tritschinopoly, die ganz in Grün und Sonnenglanz
versinkt? Von hier gingen manche reformatorisch gestimmte Lehrer des Volkes aus, wie z. B. Rama-
nudscha Atscharya im 1 1 . oder 12. Jahrhundert, der heute noch als eine Verkörperung der mythischen
Schlange Sescha, auf welcher, der Gott des Lichtes im Urmeere rufrte, göttlich verehrt wird.
Die Bewahrer des „Göttervermögens“ sie sind in der Tfrat unermesslich reich! — zeigen
den erlauchten Reisenden einen Theil desselben. Hinter einem Vorhang liegen auf Tischen
Diademe und Armbänder aus schlecht geschliffenen Diamanten, Smaragden und Rubinen. ArirG'
spangen, Ringe und Schuhe der „unsichtbaren Götter“ blitzen von Gold und Edelsteinen. Gewaltige
Gefässe aus dem edelsten Metall, ebensolche Ketten, deren Feinheit bemerkenswerth,
ferner alte Münzen, das ist das Verzeichniss der Schätze Wischnus, Der berühmteste Diamant
des russischen Kronschatzes, der Orlow, der unter Katharina der Grossen erworben wurde, soll
ebenfalls Eigenthum der hiesigen Tempel gewesen sein.
Was Dimensionen und Anzahl betrifft, nehmen die Tempel von Schrirangam in Südindien
wol den ersten Rang ein. Die überaus massiven Bauten gehören wahrscheinlich fast ausschliesslich ,
dem vorigen Jahrhundert an; sie wurden zum Theil in chaotischer Anordnung emporgethürtnt,
machen auch keinen harmonischen Eindruck. Die zügellose Phantasie der drawidischen Baumeister
und Bildhauer entwickelte sogar in ihrer normalen Spannung eine krankhaft glühende Gewalt
der Schöpferkraft, wie sie nur etwa das Gehirn eines in Fieberphantasien schwebenden Europäers
zu entfalten vermöchte.
Abends, unmittelbar vor der Abreise aus Tritschinopoly, bewunderten Ihre Hoheiten die
Illumination des Felsens und des an seinem Fusse gelegenen Wasserreservoirs, auf welchem die
winzigen Nachen der hiesigen Pyrotechniker hurtig hin und her glitten. Es wurde ein grandioses
Feuerwerk abgebrannt. Die Burg war durch flimmernd#jfeuerguirlanden erleuchtet, und in Grün,
Blau, Orange spielende Lichtgarben loderten an dem ungefügen Felsen der Festung hoch empor.
Dienstag, 10. Februar.
Ein heisser Morgen. Madura. Wiederum im Bereich eines abgeschlossenen Götterhofes.
Wiederum unschöne Tempelbajaderen, die unsern Pfad mit Blumen bestreuen.
Orientreise. ‘11. jq