
Nach dem Frühstück haben wir Gelegenheit, uns ah den eigenartigen Erzeugnissen
des einheimischen Kunstgewerbes zu erfreuen, die sich ganz erheblich von denen der Kunsthandwerker
aus dem Norden unterscheiden. Mit Recht zieht George Birdwood eine Parallele zwischen
diesen Gegenständen und den von Homer gepriesenen prächtigen Kunstproducten Sidons oder
den höchst vollendeten analogen Mustern auf assyrischen Bildhauerarbeiten. Die Erzeugnisse des
indischen Kunsthandwerks bestehen 'hauptsächlich aus Metallgefässen mit eleganter Incrustation,
aus Gold- und Silbersachen mit mythologischen Ornamenten, aus Teppichen mit schnörkelhaft
bizarren Zeichnungen, aus feinen .Stickereien, aus Heiligenschreinen mit plump gemalten Gottheiten,
denen Kettchen durch die Nase gezogen sind.
Die erlauchten Reisenden verlassen Tandschor. Es ist Mittag. Unerträgliche Hitze. Die
winzigen engen Waggons auf der Schmalspurbahn glühen geradezu. Die untereinander in keiner
Verbindung stehenden geräumigen Abtheilungen für je zwei Personen, die mit Waschcabinet und
ganz besonders zum Schutze gegen die Sonne mit matten Scheiben und Fensterläden versehen
sind, gibt, es liier unglücklicherweise nicht, obwol sie gerade hier unumgänglich wären.
Von Tandschor nach Tritschinopoly sind es 50 Kilometer. Der Weg ist bei solcher Hitze unangenehm
genug, um so mehr, als er durch eine langweilige, reizlose Gegend führt. Diese zeichnet sich von
altersher durch erstaunliche Fruchtbarkeit aus, die einzig und allein das Werk der hier bis zur Vollendung
entwickelten Bewässerung ist. Deshalb hatte auch das Land längst die Habgier der Muhammedaner
erregt, die grossen Tribut von den tamulischen Radschas zu beziehen bestrebt waren; später (im
17. und 18. Jahrhundert) verlockte es auch die Mahratten zu kühnen UeberfäJlen, denen die zeitweise
Ueberlegenheit de.s Nizam kaum genügend kräftigen Widerstand entgegenzusetzen im Stande war.
Auf der Station werden Ihre Hoheiten von den Vertretern der Behörden empfangen,
worauf sie sich zu der Häusergruppe des Collectors begeben, dem ein wahres kleines Königreich
von 3500 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 1200000 Seelen untergeben ist;
Der eigentliche, nicht nach englischem Geschmack verunstaltete Name der Hauptstadt und
ihres Bezirks lautet tamulisch „Tirussinapalli“ , im Sanskrit „Trischirapura“ , was den Ort des dreiköpfigen
(nämlich „Riesen“) bedeutet Die Muhammedaner nannten diesen nach Madras, wichtigsten
Punkt „Natarnagar“ , nach einem hier begrahenen frommen Scheich Natar.
Das Land ist seit zweitausend Jahren in der Weltgeschichte bekannt. Der Handel mit
dem überseeischen Ausland hatte offenbar zu allen Zeiten eine grosse Ausdehnung. Der Reichthum
der Bewohner, ob er nun den Bodenschätzen oder der Industrie entstammte, muss ein
grösser gewesen sein, da Tritschinopoly zu wiederholten malen den Zankapfel deir ’ weniger begüterten
Nachbarn und der Ankömmlinge fremder Rassen bildete.
Die erlauchten Reisenden begeben sich nach einer alten Festung, welche die sie umgürtenden,
dichtgedrängten städtischen Gebäude, beherrscht. Eine sich allmählich verengende Treppe führt den
Felsen hinauf. In der Dämmerung malen sich unterwegs die schwachen Umrisse eines zu Ehren
Schiwa’s errichteten Tempels ab.. Jedesmal im August versammelt sich darin eine.Menge Pilger;
in den vierziger Jahren ergriff plötzlich ein panischer Schrecken die Wallfahrer, und gegen
500 Menschen aus der jählings fliehenden Menge büssten auf der Unglückstreppe ihr Leben ein.
Der Weg ist reich an eigenartigen Bildhauerarbeiten (Figürchen von Menschen und Löwen),
die sich zu beiden Seiten des durch Gneis führenden Weges hinziehen. Mehrere Säulen tragen
deutlich das Gepräge der Dschaina-Baukunst Gegen das Ende des Aufstiegs hin sind die Stufen
in den Felsen eingehauen; der Weg ist nicht ein gewölbter Gang, sondern schlängelt sich unter
freiem Himmel nach. oben.
Von dem Gipfel des colossalen Gneisfelsens eröffnet sich eine grossartige Aussicht. Roth-
braune Felskuppen erheben sich hier und dort aus der Ebene, niedrige Anhöhen verschwimmen