
Des Schicksals der Aussätzigen in Indien hat sich erst in unsern Tagen Wesley Bailey
angenommen, der die „Leper Mission to India“ gegründet hat Die Zahl der versorgten Unglücklichen
beläuft sich auf annähernd 1500, wovon mindestens. zwei Fünftel auf Bengalen
kommen. Die zur Isolirung der Kranken errichteten Asyle gewähren die Möglichkeit, jedem von
ihnen für 10 Mark monatlich Kost und Unterkunft zu geben. Die von der furchtbarsten aller
Krankheiten Befallenen, aus der Mitte ihrer Angehörigen Verstossenen-haben sich früher zuweilen,
bis die englischen Behörden sich einmischten, mit ihrer eigenen Zustimmung lebendig begraben
lassen. Diese Sitte hatte den Namen Samadh. Man führte den von der Qual des Lebens ermatteten
Aermsten unter dem- betäubenden Klang der Trommeln und Gongs zum Grabe, legte
ihn dann in die Grube und schüttete diese, langsam mit Erde zu.
Wäre es nicht an der Zeit, dass endlich an der Wende unseres bewegten Jahrhunderts der
abendländische Mensch, der Colonisator, auf das ihm rassen- und glaubensfremde Asien nicht
allein mit dem Gefühle des Mitleids blickte, die Kränkungen bedauernd, die er den Eingeborenen
seit 400 Jahren zugefügt hat und noch immer zufügt, sondern dass er noch weiter ginge auf
dieser Bahn, den Orientalen psychisch näher zu treten, Völkern, in denen der göttliche Funke
niemals erloschen, ja sogar nicht selten zu immer neuem Glanze aufgeflammt ist, wie ein
reines Kirchenlicht vor dem Bildnisse des Erlösers, der die Sünden der Welt auf sich genommen?
Am Ausgange aus der Kirche von Schwarz werden Ihre Hoheiten durch eingeborene
Christen mit melancholischem Gesang und primitiv klingender Musik empfangen. Man soll
früher versucht haben, Choräle bei ihnen einzuführen-, was für sie nach dem Urtheile der Missionare
söwol in geistigem als in moralischem Sinne erspriesslich gewesen wäre; allein der Versuch hatte
nicht den geringsten Erfolg. Die Eingeborenen lieben von jeher nur ihre heimatlichen Weisen
mit ihrem schwer wiederzugebenden fremdartigen Rhythmus, weshalb sie sich auch selbst beim
christlichen Gottesdienst fast ausschliesslich nur an ihre einheimischen Melodien halten. Ein
gründlicher theoretischer Kenner des Missionswesens- in Asien, der deutsche Pastor Grundemann,
erblickt in diesem unmittelbaren Ausdruck der religiösen Gefühle das Unterpfand der Möglichkeit, den
Glaubenslehren des Abendlandes unter den heidnischen Culturvölkern die weiteste Verbreitung zu geben.
In Tandschor starb vor etwa 25 Jahren im Greisenalter der tamulische Dichter und urwüchsige
Componist Wedanaichen. Er war Christ, erhielt aber trotzdem vom hiesigen Maharadscha Geldunterstützung;
er schrieb eine Menge Lieder und Musikstücke, die nicht allein von seinen christlichen
Stammesgenossen, sondern auch von Brahmanisten noch gesungen und gespielt werden.
Sind das nicht die Enkel dieses Dichtercomponisten gewesen, die hier soeben am bescheidenen
Grabe^ des ehrwürdigen Schwarz gespielt und gesungen haben?
Wir nähern uns dem verödeten, verwahrlosten Palast von Tandschor, der in der Mitte
des 16. Jahrhunderts erbaut oder erheblich erweitert worden sein solL Die erlauchten Reisenden
werden am Eingänge von einem jugendlich aussehenden, ziemlicH reich gekleideten Hindu
empfangen, der, von den Witwen des verstorbenen Fürsten an Sohnesstatt angenommen, als
dessen Nachfolger gilt, jedoch die Anerkennung der britischen Regierung nicht erhalten hat. Diese
bestreitet jenen Frauen, von ihrem Standpunkte aus mit vollem Rechte, die Befugniss, die Fiction
einer Dynastie aufrechtzuerhalten, die in Wirklichkeit lange nicht mehr besteht und deren Existenz
fortzuführen jedes historischen Sinnes bar wäre. Der Bezirk büsste von dem Augenblicke an
seine politische Bedeutung ein, als die Franzosen und Engländer unter anderm auch um ihn
in Streit geriethen. Die Franzosen erlitten schliesslich eine Niederlage, theilweise, weil sie unter
Lally rücksichtslos auf die einheimischen Tempel das Feuer eröffneten. Das Volk, das anfänglich
mehr Sympathien für die bourbonischen Fahnen als für die Kaufherren von Madras hegte, empörte
sich wegen dieser Religionsverhöhnung gegen die Franzosen. Man muss indessen der
Wahrheit gemäss beifügen, dass die Hauptschuld der fanatischen Vergewaltigung auf den unter
den Franzosen dienenden irischen Emigranten lastet. Selbstverständlich kam solch übereiltes Vorgehen
wie gewöhnlich den Engländern zugute. Die Tochter des 1853 verstorbenen Siwadschi,
mit welchem thatsächlich das Geschlecht jener Mahratten ausstarb, die in den Jahren 15 7 5—77
diesen gesegneten südindischen District erobert hatten, verarmte allmählich und schleppte ihr Dasein
SAAL IM SCHLÖSSE ZU TANDSCHOR.
bis zu den siebziger Jahren als kummervolles Opfer der Wandelbarkeit des Schicksals hin, was sie
aber nicht hinderte, sich bei der Zusammenkunft mit dem englischen Thronerben mit grösser
Würde zu benehmen und beim Abschied zu sagen: „Ich bitte, meiner königlichen Schwester, der
Prinzessin von Wales, meinen fürstlichen Gruss zu entbieten.“
Ein Durbar-Saal im Palaststil der alten einheimischen Radschas bildet ein ziemlich effect-
volles Viereck, in dessen Hintergrund eine Bildsäule von weissem Marmor prangt, eine Arbeit
des Bildhauers Flaxman; sie stellt den letzten einheimischen Herrscher dar, den uns bekannten
Scharfodschi. Die Statue ist auf einem gewaltigen Stück schwarzen Granits aufgestellt, an dessen
Sockel sich ein Relief befindet, das den Kampf irgendwelcher Dämonen gegen die Himmels