
erhebt sich die aus einem einzigen Granitblock gehauene Kuppel der gewaltigen Centralpagode—
Was müssen die Erbauer für Erfindergenies gewesen sein, die die Kuppel mehr als
fünfzig Meter hoch über die Erde emporgehoben haben?
Fünf bronzefarbene Tempelbajaderen empfangen uns beim Eingang in die sehr hohe Umfassung,
wo sich eine kleinere Gruppe röthlicher Tempel von verschiedener Höhe befindet, und
bekränzen die erlauchten Reisenden mit Blumen. Mit ähnlichen Ehrenguirlanden sind auch die Durchgänge
durch den Tempelhof 'geschmückt Es stellt sich heraus, dass es heutzutage hier weder
vom Herkommen geheiligte Geheimdienste, noch selbst Idole mehr gibt, denn im vorigen Jahrhundert
hatte der tollkühne und ebenso voreilige Franzose
Graf de Lally den Peria Kowil besetzt und eine
Festung daraus gemacht. Der Graf, der den Einfluss
seiner Nation in Indien mit Waffengewalt ausbreitete,
trug auch kein Bedenken, gefangene Brah-
manen vor die Mündungen der Kanonen binden und
so érschiessen zu lassen. Von dem Augenblicke an,
als die Anwesenheit europäischer Soldaten das Heiligthum
in seinem sonst unzugänglichen Allerheiligsten
entweihte, hatte dieses in den Augen der abergläubischen
Menge seinen Zauber eingebüsstv Die
Touristen betrachten den Tempel mit Wohlgefallen,
dafür erheben die verarmten Priester von ihnen
Tribut; aber eine Stätte der Andacht und der Verehrung
zu sein hat der kunstvolle Tempel in Tan-
dschor aüfgehört Sein eigentlicher Name ist: Schri
Brihadischwara - Schwami. Sein Erbauer ist der
Oberfeldherr Radscharadscha von der Dynastie der
Tschola, der von 1023 — 64 n. Clin regiert hat.
Sein Sohn Wira oder Radschendraradscha, der bis
1 1 1 4 regierte, stattete den Tempel söwöl mit unbeweglichem
Eigenthum als mit Geldsummen und
Kleinodien aus. Die-Schenkung bezeugen ausführliche
alttamulische Inschriften an den untern Wänden
der Façade des Centraltempels. Sie- gehören nicht
v o n e in e r t e m p e l f a ç a d e in t a n d s c h o r . z u J | g g besonders alten. Es gibt hier viel ältere, aus
dem 4. Jahrhundert,
Die Schriften aus der Zeit des Wira sind ausserordentlich wichtig, da sie das Andenken
an die glorreiche Regierung eines Herrschers bewahren, der es verstanden hat, sich Ceylon,
Dekhan, Bengalen und Oudh zu unterwerfen, und der auf diese Weise das geeinte Südindien zu
einer so hohen Stufe der Macht emporhob, wie es sie zu anderer Zeit nicht erreicht hat. Aus dem
Haupttempel von Tandschor schliessen die Historiker überzeugend auf den Goldreichthum, der
im Lande vorhanden' gewesen sein muss. Er ging wol zum überwiegenden Theil aus den
Goldwäschereien des Landes selbst hervor. Noch die Engländer trafen hiér, im Gebiete der
Präsidentschaft Madras, bei den Sultanen und Radschas, die ihre Macht allmählich einbüssten,
Reste von colossalen Schätzen. Der bekannte Feind der Briten, Tippu, besass ein riesiges
Vermögen; er verbrauchte gewaltige Summen zu politischen Intriguen und zu seinen zahlreichèn
Kriegen.
Dagegen ist das Nichtvorkommen von Silbererzen und der Mangel an umlaufendem
Silber schon für das indische Alterthum auffällig. Analoge Erscheinungen wurden übrigens in
Centralasien beobachtet.
Die von uns besichtigte Gruppe von Heiligthümern ist zu Ehren Schiwa’s, seines
kriegerischen „geistig empfangenen“ Sohnes Kartikeja (er heisst auch Skanda und Subrahmanya,
wörtlich „Schutzpatron der Priesterkaste“ ), aber auch Wischnus errichtet worden. Die Zwistigkeiten
zwischen den Anhängern dieses und jenes Cultes verstummten und verschwanden
scheinbar, sobald es sich darum handelte, den Ruhm der göttlichen Weltherrscher zu erhöhen
oder dieselben auf Erden in die von den
Massen zitternd vergötterten wunderbaren
Schöpfungen der vaterländischen
Baukunst überzuführen,
über deren Schwelle zu treten
ausser den Altardienern jedermann
verboten war. Der
colossale Thurm, der wenig
hinter dem Kutab-Minar
von Dehli zurückbleibt,
erhebt sich mit sechzehn
Stockwerken in die Lüfte.
Indien, du Land der
feurigen Vision, des geistigen
Schwungs und der Ekstase,
Indien, du Heimatstätte der verkörperten
Stimme des Himmels
und des hartnäckigen Kampfes, den
die Verlockungen dieser Erde mit jenem
führen, du bist in allem der Widerschein
und Abglanz deiner eigenen geheimnissvollen
Natur, die sich offenbart in diesen deinen
Denkmälern aus Granit, für welche es keine
ihrer Grösse entsprechende Erklärung gibt, in
diesen deinen ans Wunderbare grenzenden
Schöpfungen, vor denen der moderne Mensch
verstummt!... 1 d e r s t i e r n a n d i in t a n d s c h o r .
Die feine Stuckornamentik dicht unter
den Dächern der Gebäude, die den Zugang bewachenden mehrhändigeri Götterbilder aus schön
polirtem Syenit an den verschlossenen Thüren, die augenscheinlich erst unlängst restaurirte mythör l
logische Malerei und die zweihundert schwarzen konischen Steine (Ungarn) zu beiden Seiten des
Hofes (unter den Arkaden), |f§ welche Originalität beseelt doch an diesen Arbeiten der grossen
unbekannten Bildhauer eine jede kaum bemerkbare Einzelheit; ein jedes Symbol,, ein jedes Bild von
Dämonen oder himmlischen Wesen, von Elefanten mit Figürchen am Ende des Rüssels, oder
von Stieren! Neben diesen ragen fächerähnliche Zierathen hervor, die am nleisten an einen Pfauenschweif
erinnern. Die Phantasie der drawidischen Künstler war offenbar darauf gerichtet,' eine
endlose Zahl ewiger Embleme übereinander aufzuthürmen, übernatürUcher Körper und Köpfe
wunderbarer Scenen schwerverständlichen religiösen Inhalts, mit einem Worte, eine Mischung von